"Mein lieber Papa. Wenn du diese Zeilen er¬ hältst, sind wir schon auf dem Wege. ,Wir' das will sagen: unser Oberst, unser zweitältester Stabsoffizier, ich und zwei jüngere Offiziere. Aus deinen eignen Soldatentagen her kennst du den Charakter solcher Ab¬ ordnungen. Nachdem wir ,Regiment Königin von Gro߬ britannien und Irland' geworden sind, war dies ,uns drüben vorstellen' nur noch eine Frage der Zeit. Dieser Mission beigesellt zu sein, ist selbstverständlich eine große Ehre für mich, doppelt, wenn ich die Namen, über die wir in unserm Regiment Verfügung haben, in Er¬ wägung ziehe. Die Zeiten, wo man das Wort ,historische Familie' betonte, sind vorüber. Auch an Tante Adel¬ heid hab' ich in dieser Sache geschrieben. Was mir persönlich an Glücksgefühl vielleicht noch fehlen mag, wird sie leicht aufbringen. Und ich freue mich dessen, weil ich ihr, alles in allem, doch so viel verdanke. Daß ich mich von Berlin gerade jetzt nicht gerne trenne, sei nur angedeutet; du wirst den Grund davon unschwer erraten. Mit besten Wünschen für dein Wohl, unter herzlichen Grüßen an Lorenzen, wie immer dein Woldemar."
Dubslav saß am Kamin, als ihm Engelke den Brief brachte. Nun war der Alte mit dem Lesen durch und sagte: "Woldemar geht nach England. Was sagst du dazu, Engelke?"
"So was hab' ich mir all immer gedacht."
"Na, dann bist du klüger gewesen als ich. Ich habe mir gar nichts gedacht. Und nu noch drei Tage, so stellt er sich mit seinem Oberst und seinem Major vor die Königin von England hin und sagt: "Hier bin ich."
"Ja, gnäd'ger Herr, warum soll er nich?"
"Is auch 'n Standpunkt. Und vielleicht sogar der richtige. Volksstimme, Gottesstimme. Na, nu geh
„Mein lieber Papa. Wenn du dieſe Zeilen er¬ hältſt, ſind wir ſchon auf dem Wege. ‚Wir‘ das will ſagen: unſer Oberſt, unſer zweitälteſter Stabsoffizier, ich und zwei jüngere Offiziere. Aus deinen eignen Soldatentagen her kennſt du den Charakter ſolcher Ab¬ ordnungen. Nachdem wir ‚Regiment Königin von Gro߬ britannien und Irland‘ geworden ſind, war dies ‚uns drüben vorſtellen‘ nur noch eine Frage der Zeit. Dieſer Miſſion beigeſellt zu ſein, iſt ſelbſtverſtändlich eine große Ehre für mich, doppelt, wenn ich die Namen, über die wir in unſerm Regiment Verfügung haben, in Er¬ wägung ziehe. Die Zeiten, wo man das Wort ‚hiſtoriſche Familie‘ betonte, ſind vorüber. Auch an Tante Adel¬ heid hab' ich in dieſer Sache geſchrieben. Was mir perſönlich an Glücksgefühl vielleicht noch fehlen mag, wird ſie leicht aufbringen. Und ich freue mich deſſen, weil ich ihr, alles in allem, doch ſo viel verdanke. Daß ich mich von Berlin gerade jetzt nicht gerne trenne, ſei nur angedeutet; du wirſt den Grund davon unſchwer erraten. Mit beſten Wünſchen für dein Wohl, unter herzlichen Grüßen an Lorenzen, wie immer dein Woldemar.“
Dubslav ſaß am Kamin, als ihm Engelke den Brief brachte. Nun war der Alte mit dem Leſen durch und ſagte: „Woldemar geht nach England. Was ſagſt du dazu, Engelke?“
„So was hab' ich mir all immer gedacht.“
„Na, dann biſt du klüger geweſen als ich. Ich habe mir gar nichts gedacht. Und nu noch drei Tage, ſo ſtellt er ſich mit ſeinem Oberſt und ſeinem Major vor die Königin von England hin und ſagt: „Hier bin ich.“
„Ja, gnäd'ger Herr, warum ſoll er nich?“
„Is auch 'n Standpunkt. Und vielleicht ſogar der richtige. Volksſtimme, Gottesſtimme. Na, nu geh
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„Mein lieber Papa. Wenn du dieſe Zeilen er¬
hältſt, ſind wir ſchon auf dem Wege. ‚Wir‘ das will
ſagen: unſer Oberſt, unſer zweitälteſter Stabsoffizier,
ich und zwei jüngere Offiziere. Aus deinen eignen
Soldatentagen her kennſt du den Charakter ſolcher Ab¬
ordnungen. Nachdem wir ‚Regiment Königin von Gro߬
britannien und Irland‘ geworden ſind, war dies ‚uns
drüben vorſtellen‘ nur noch eine Frage der Zeit. Dieſer
Miſſion beigeſellt zu ſein, iſt ſelbſtverſtändlich eine große
Ehre für mich, doppelt, wenn ich die Namen, über die
wir in unſerm Regiment Verfügung haben, in Er¬
wägung ziehe. Die Zeiten, wo man das Wort ‚hiſtoriſche
Familie‘ betonte, ſind vorüber. Auch an Tante Adel¬
heid hab' ich in dieſer Sache geſchrieben. Was mir
perſönlich an Glücksgefühl vielleicht noch fehlen mag,
wird ſie leicht aufbringen. Und ich freue mich deſſen,
weil ich ihr, alles in allem, doch ſo viel verdanke.
Daß ich mich von Berlin gerade jetzt nicht gerne
trenne, ſei nur angedeutet; du wirſt den Grund davon
unſchwer erraten. Mit beſten Wünſchen für dein Wohl,
unter herzlichen Grüßen an Lorenzen, wie immer dein
Woldemar.“
Dubslav ſaß am Kamin, als ihm Engelke den
Brief brachte. Nun war der Alte mit dem Leſen durch
und ſagte: „Woldemar geht nach England. Was ſagſt
du dazu, Engelke?“
„So was hab' ich mir all immer gedacht.“
„Na, dann biſt du klüger geweſen als ich. Ich
habe mir gar nichts gedacht. Und nu noch drei Tage,
ſo ſtellt er ſich mit ſeinem Oberſt und ſeinem Major
vor die Königin von England hin und ſagt: „Hier
bin ich.“
„Ja, gnäd'ger Herr, warum ſoll er nich?“
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der richtige. Volksſtimme, Gottesſtimme. Na, nu geh
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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 290. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/297>, abgerufen am 22.11.2024.
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