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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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den Führer machen mußte. Vieles im Tower lang¬
weilte mich, aber Traitors-Gate nie, vielleicht deshalb
nicht, weil es ziemlich zu Anfang liegt, so daß ich, wenn
wir's erreichten, immer noch bei Frische war, nicht ab¬
gestumpft durch all die Schrecklichkeiten, die dann weiter¬
hin folgen."

"Also Traitors-Gate muß ich sehn?"

"Unbedingt. Freilich, wenn ich dann wieder er¬
wäge, daß an dieser berühmten Stelle nichts unmittel¬
bar Wirkungsvolles zu sehn ist, so muß ich mich bei
meinen Ratschlägen auf Ihre Phantasie verlassen können.
Und ob das geht, weiß ich nicht. Wer aus der Mark
ist, hat meist keine Phantasie."

Der alte Graf und Armgard schwiegen, und auch
Melusine sah wohl, daß sie mit ihrer Bemerkung etwas
zu weit gegangen war. Irgend eine Reparierung schien
also geboten. "Ich will's aber doch mit Ihnen wagen,"
nahm sie das Gespräch wieder auf und lachte. "Trai¬
tors-Gatte. Nun sehen Sie, Sie kommen da vom Ein¬
gange her einen schmalen Gang entlang, und mit einem
Male haben Sie statt der grauen Steinwand ein eisen¬
beschlagenes Holzthor neben sich. Hinter diesem Thor
aber befindet sich ein kleiner, ganz unten in der Tiefe
gelegener Wasserhof, von dem aus eine mehrstufige
Treppe heraufführt und an eben der Stelle mündet, an
der Sie stehn. Und nun rechnen Sie dreihundert Jahre
zurück. Wem sich die Pforte damals aufthat, um sich
hinter ihm wieder zu schließen, der hatte vom Leben
Abschied genommen .... Es sind da, verzeihen Sie das
Wort, lauter glibbrige Stufen und wer alles stieg diese
Stufen hinauf: Essex, Sir Walter Raleigh, Thomas Morus
und zuletzt noch jene Clanhäuptlinge, die für Prince Charlie
gefochten hatten und deren Köpfe, wenige Tage
später, von Temple-Bar herab, auf die City niedersahen."

"Liegt, Gott sei Dank, weit zurück."

den Führer machen mußte. Vieles im Tower lang¬
weilte mich, aber Traitors-Gate nie, vielleicht deshalb
nicht, weil es ziemlich zu Anfang liegt, ſo daß ich, wenn
wir’s erreichten, immer noch bei Friſche war, nicht ab¬
geſtumpft durch all die Schrecklichkeiten, die dann weiter¬
hin folgen.“

„Alſo Traitors-Gate muß ich ſehn?“

„Unbedingt. Freilich, wenn ich dann wieder er¬
wäge, daß an dieſer berühmten Stelle nichts unmittel¬
bar Wirkungsvolles zu ſehn iſt, ſo muß ich mich bei
meinen Ratſchlägen auf Ihre Phantaſie verlaſſen können.
Und ob das geht, weiß ich nicht. Wer aus der Mark
iſt, hat meiſt keine Phantaſie.“

Der alte Graf und Armgard ſchwiegen, und auch
Meluſine ſah wohl, daß ſie mit ihrer Bemerkung etwas
zu weit gegangen war. Irgend eine Reparierung ſchien
alſo geboten. „Ich will’s aber doch mit Ihnen wagen,“
nahm ſie das Geſpräch wieder auf und lachte. „Trai¬
tors-Gatte. Nun ſehen Sie, Sie kommen da vom Ein¬
gange her einen ſchmalen Gang entlang, und mit einem
Male haben Sie ſtatt der grauen Steinwand ein eiſen¬
beſchlagenes Holzthor neben ſich. Hinter dieſem Thor
aber befindet ſich ein kleiner, ganz unten in der Tiefe
gelegener Waſſerhof, von dem aus eine mehrſtufige
Treppe heraufführt und an eben der Stelle mündet, an
der Sie ſtehn. Und nun rechnen Sie dreihundert Jahre
zurück. Wem ſich die Pforte damals aufthat, um ſich
hinter ihm wieder zu ſchließen, der hatte vom Leben
Abſchied genommen .... Es ſind da, verzeihen Sie das
Wort, lauter glibbrige Stufen und wer alles ſtieg dieſe
Stufen hinauf: Eſſex, Sir Walter Raleigh, Thomas Morus
und zuletzt noch jene Clanhäuptlinge, die für Prince Charlie
gefochten hatten und deren Köpfe, wenige Tage
ſpäter, von Temple-Bar herab, auf die City niederſahen.“

„Liegt, Gott ſei Dank, weit zurück.“

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[286/0293] den Führer machen mußte. Vieles im Tower lang¬ weilte mich, aber Traitors-Gate nie, vielleicht deshalb nicht, weil es ziemlich zu Anfang liegt, ſo daß ich, wenn wir’s erreichten, immer noch bei Friſche war, nicht ab¬ geſtumpft durch all die Schrecklichkeiten, die dann weiter¬ hin folgen.“ „Alſo Traitors-Gate muß ich ſehn?“ „Unbedingt. Freilich, wenn ich dann wieder er¬ wäge, daß an dieſer berühmten Stelle nichts unmittel¬ bar Wirkungsvolles zu ſehn iſt, ſo muß ich mich bei meinen Ratſchlägen auf Ihre Phantaſie verlaſſen können. Und ob das geht, weiß ich nicht. Wer aus der Mark iſt, hat meiſt keine Phantaſie.“ Der alte Graf und Armgard ſchwiegen, und auch Meluſine ſah wohl, daß ſie mit ihrer Bemerkung etwas zu weit gegangen war. Irgend eine Reparierung ſchien alſo geboten. „Ich will’s aber doch mit Ihnen wagen,“ nahm ſie das Geſpräch wieder auf und lachte. „Trai¬ tors-Gatte. Nun ſehen Sie, Sie kommen da vom Ein¬ gange her einen ſchmalen Gang entlang, und mit einem Male haben Sie ſtatt der grauen Steinwand ein eiſen¬ beſchlagenes Holzthor neben ſich. Hinter dieſem Thor aber befindet ſich ein kleiner, ganz unten in der Tiefe gelegener Waſſerhof, von dem aus eine mehrſtufige Treppe heraufführt und an eben der Stelle mündet, an der Sie ſtehn. Und nun rechnen Sie dreihundert Jahre zurück. Wem ſich die Pforte damals aufthat, um ſich hinter ihm wieder zu ſchließen, der hatte vom Leben Abſchied genommen .... Es ſind da, verzeihen Sie das Wort, lauter glibbrige Stufen und wer alles ſtieg dieſe Stufen hinauf: Eſſex, Sir Walter Raleigh, Thomas Morus und zuletzt noch jene Clanhäuptlinge, die für Prince Charlie gefochten hatten und deren Köpfe, wenige Tage ſpäter, von Temple-Bar herab, auf die City niederſahen.“ „Liegt, Gott ſei Dank, weit zurück.“

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 286. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/293>, abgerufen am 22.11.2024.