den Führer machen mußte. Vieles im Tower lang¬ weilte mich, aber Traitors-Gate nie, vielleicht deshalb nicht, weil es ziemlich zu Anfang liegt, so daß ich, wenn wir's erreichten, immer noch bei Frische war, nicht ab¬ gestumpft durch all die Schrecklichkeiten, die dann weiter¬ hin folgen."
"Also Traitors-Gate muß ich sehn?"
"Unbedingt. Freilich, wenn ich dann wieder er¬ wäge, daß an dieser berühmten Stelle nichts unmittel¬ bar Wirkungsvolles zu sehn ist, so muß ich mich bei meinen Ratschlägen auf Ihre Phantasie verlassen können. Und ob das geht, weiß ich nicht. Wer aus der Mark ist, hat meist keine Phantasie."
Der alte Graf und Armgard schwiegen, und auch Melusine sah wohl, daß sie mit ihrer Bemerkung etwas zu weit gegangen war. Irgend eine Reparierung schien also geboten. "Ich will's aber doch mit Ihnen wagen," nahm sie das Gespräch wieder auf und lachte. "Trai¬ tors-Gatte. Nun sehen Sie, Sie kommen da vom Ein¬ gange her einen schmalen Gang entlang, und mit einem Male haben Sie statt der grauen Steinwand ein eisen¬ beschlagenes Holzthor neben sich. Hinter diesem Thor aber befindet sich ein kleiner, ganz unten in der Tiefe gelegener Wasserhof, von dem aus eine mehrstufige Treppe heraufführt und an eben der Stelle mündet, an der Sie stehn. Und nun rechnen Sie dreihundert Jahre zurück. Wem sich die Pforte damals aufthat, um sich hinter ihm wieder zu schließen, der hatte vom Leben Abschied genommen .... Es sind da, verzeihen Sie das Wort, lauter glibbrige Stufen und wer alles stieg diese Stufen hinauf: Essex, Sir Walter Raleigh, Thomas Morus und zuletzt noch jene Clanhäuptlinge, die für Prince Charlie gefochten hatten und deren Köpfe, wenige Tage später, von Temple-Bar herab, auf die City niedersahen."
"Liegt, Gott sei Dank, weit zurück."
den Führer machen mußte. Vieles im Tower lang¬ weilte mich, aber Traitors-Gate nie, vielleicht deshalb nicht, weil es ziemlich zu Anfang liegt, ſo daß ich, wenn wir’s erreichten, immer noch bei Friſche war, nicht ab¬ geſtumpft durch all die Schrecklichkeiten, die dann weiter¬ hin folgen.“
„Alſo Traitors-Gate muß ich ſehn?“
„Unbedingt. Freilich, wenn ich dann wieder er¬ wäge, daß an dieſer berühmten Stelle nichts unmittel¬ bar Wirkungsvolles zu ſehn iſt, ſo muß ich mich bei meinen Ratſchlägen auf Ihre Phantaſie verlaſſen können. Und ob das geht, weiß ich nicht. Wer aus der Mark iſt, hat meiſt keine Phantaſie.“
Der alte Graf und Armgard ſchwiegen, und auch Meluſine ſah wohl, daß ſie mit ihrer Bemerkung etwas zu weit gegangen war. Irgend eine Reparierung ſchien alſo geboten. „Ich will’s aber doch mit Ihnen wagen,“ nahm ſie das Geſpräch wieder auf und lachte. „Trai¬ tors-Gatte. Nun ſehen Sie, Sie kommen da vom Ein¬ gange her einen ſchmalen Gang entlang, und mit einem Male haben Sie ſtatt der grauen Steinwand ein eiſen¬ beſchlagenes Holzthor neben ſich. Hinter dieſem Thor aber befindet ſich ein kleiner, ganz unten in der Tiefe gelegener Waſſerhof, von dem aus eine mehrſtufige Treppe heraufführt und an eben der Stelle mündet, an der Sie ſtehn. Und nun rechnen Sie dreihundert Jahre zurück. Wem ſich die Pforte damals aufthat, um ſich hinter ihm wieder zu ſchließen, der hatte vom Leben Abſchied genommen .... Es ſind da, verzeihen Sie das Wort, lauter glibbrige Stufen und wer alles ſtieg dieſe Stufen hinauf: Eſſex, Sir Walter Raleigh, Thomas Morus und zuletzt noch jene Clanhäuptlinge, die für Prince Charlie gefochten hatten und deren Köpfe, wenige Tage ſpäter, von Temple-Bar herab, auf die City niederſahen.“
„Liegt, Gott ſei Dank, weit zurück.“
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0293"n="286"/>
den Führer machen mußte. Vieles im Tower lang¬<lb/>
weilte mich, aber Traitors-Gate nie, vielleicht deshalb<lb/>
nicht, weil es ziemlich zu Anfang liegt, ſo daß ich, wenn<lb/>
wir’s erreichten, immer noch bei Friſche war, nicht ab¬<lb/>
geſtumpft durch all die Schrecklichkeiten, die dann weiter¬<lb/>
hin folgen.“</p><lb/><p>„Alſo Traitors-Gate muß ich ſehn?“</p><lb/><p>„Unbedingt. Freilich, wenn ich dann wieder er¬<lb/>
wäge, daß an dieſer berühmten Stelle nichts unmittel¬<lb/>
bar Wirkungsvolles zu ſehn iſt, ſo muß ich mich bei<lb/>
meinen Ratſchlägen auf Ihre Phantaſie verlaſſen können.<lb/>
Und ob das geht, weiß ich nicht. Wer aus der Mark<lb/>
iſt, hat meiſt keine Phantaſie.“</p><lb/><p>Der alte Graf und Armgard ſchwiegen, und auch<lb/>
Meluſine ſah wohl, daß ſie mit ihrer Bemerkung etwas<lb/>
zu weit gegangen war. Irgend eine Reparierung ſchien<lb/>
alſo geboten. „Ich will’s aber doch mit Ihnen wagen,“<lb/>
nahm ſie das Geſpräch wieder auf und lachte. „Trai¬<lb/>
tors-Gatte. Nun ſehen Sie, Sie kommen da vom Ein¬<lb/>
gange her einen ſchmalen Gang entlang, und mit einem<lb/>
Male haben Sie ſtatt der grauen Steinwand ein eiſen¬<lb/>
beſchlagenes Holzthor neben ſich. Hinter dieſem Thor<lb/>
aber befindet ſich ein kleiner, ganz unten in der Tiefe<lb/>
gelegener Waſſerhof, von dem aus eine mehrſtufige<lb/>
Treppe heraufführt und an eben der Stelle mündet, an<lb/>
der Sie ſtehn. Und nun rechnen Sie dreihundert Jahre<lb/>
zurück. Wem ſich die Pforte damals aufthat, um ſich<lb/>
hinter ihm wieder zu ſchließen, der hatte vom Leben<lb/>
Abſchied genommen .... Es ſind da, verzeihen Sie das<lb/>
Wort, lauter glibbrige Stufen und <hirendition="#g">wer</hi> alles ſtieg dieſe<lb/>
Stufen hinauf: Eſſex, Sir Walter Raleigh, Thomas Morus<lb/>
und zuletzt noch jene Clanhäuptlinge, die für Prince Charlie<lb/>
gefochten hatten und deren Köpfe, wenige Tage<lb/>ſpäter, von Temple-Bar herab, auf die City niederſahen.“</p><lb/><p>„Liegt, Gott ſei Dank, weit zurück.“<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[286/0293]
den Führer machen mußte. Vieles im Tower lang¬
weilte mich, aber Traitors-Gate nie, vielleicht deshalb
nicht, weil es ziemlich zu Anfang liegt, ſo daß ich, wenn
wir’s erreichten, immer noch bei Friſche war, nicht ab¬
geſtumpft durch all die Schrecklichkeiten, die dann weiter¬
hin folgen.“
„Alſo Traitors-Gate muß ich ſehn?“
„Unbedingt. Freilich, wenn ich dann wieder er¬
wäge, daß an dieſer berühmten Stelle nichts unmittel¬
bar Wirkungsvolles zu ſehn iſt, ſo muß ich mich bei
meinen Ratſchlägen auf Ihre Phantaſie verlaſſen können.
Und ob das geht, weiß ich nicht. Wer aus der Mark
iſt, hat meiſt keine Phantaſie.“
Der alte Graf und Armgard ſchwiegen, und auch
Meluſine ſah wohl, daß ſie mit ihrer Bemerkung etwas
zu weit gegangen war. Irgend eine Reparierung ſchien
alſo geboten. „Ich will’s aber doch mit Ihnen wagen,“
nahm ſie das Geſpräch wieder auf und lachte. „Trai¬
tors-Gatte. Nun ſehen Sie, Sie kommen da vom Ein¬
gange her einen ſchmalen Gang entlang, und mit einem
Male haben Sie ſtatt der grauen Steinwand ein eiſen¬
beſchlagenes Holzthor neben ſich. Hinter dieſem Thor
aber befindet ſich ein kleiner, ganz unten in der Tiefe
gelegener Waſſerhof, von dem aus eine mehrſtufige
Treppe heraufführt und an eben der Stelle mündet, an
der Sie ſtehn. Und nun rechnen Sie dreihundert Jahre
zurück. Wem ſich die Pforte damals aufthat, um ſich
hinter ihm wieder zu ſchließen, der hatte vom Leben
Abſchied genommen .... Es ſind da, verzeihen Sie das
Wort, lauter glibbrige Stufen und wer alles ſtieg dieſe
Stufen hinauf: Eſſex, Sir Walter Raleigh, Thomas Morus
und zuletzt noch jene Clanhäuptlinge, die für Prince Charlie
gefochten hatten und deren Köpfe, wenige Tage
ſpäter, von Temple-Bar herab, auf die City niederſahen.“
„Liegt, Gott ſei Dank, weit zurück.“
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 286. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/293>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.