Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

Bild:
<< vorherige Seite

stammt, -- finden Sie diese Lehre, dieses Dogma, diese
Thatsache."

"Ja, ist es eine Thatsache?"

"Schwer zu sagen. Aber es wird als Thatsache
genommen. Und das ist ebensogut. Blut sühnt."

"Blut sühnt," wiederholte Molchow. "Gewiß. Daher
haben wir ja auch unsere Duellinstitution. Aber wo wollen
Sie hier die Blutsühne hernehmen? In diesem Spezial¬
falle ganz undurchführbar. Der Hauslehrer ist drüben
in England geblieben, wenn er nicht gar nach Amerika
gegangen ist. Und wenn er auch wiederkäme, er ist nicht
satisfaktionsfähig. Wär' er Reserve-Offizier, so hätt'
ich das längst erfahren ..."

"Ja, Herr von Molchow, das ist die hiesige An¬
schauung. Etwas primitiv, naturwüchsig, das sogenannte
Blutracheprinzip. Aber es braucht nicht immer das
Blut des Übelthäters selbst zu sein. Bei den Orien¬
talen ..."

"Ach, Orientalen ... dolle Gesellschaft ..."

"Nun denn meinetwegen, bei fast allen Völkern
des Ostens sühnt Blut überhaupt. Ja mehr, nach
orientalischer Anschauung -- ich kann das Wort nicht
vermeiden, Herr von Molchow; ich muß immer wieder
darauf zurückkommen -- nach orientalischer Anschauung
stellt Blut die Unschuld als solche wieder her."

"Na, hören Sie, Rektor."

"Ja, es ist so, meine Herren. Und ich darf sagen,
es zählt das zu dem Feinsten und Tiefsinnigsten, was
es giebt. Und ich habe da auch neulich erst eine Ge¬
schichte gelesen, die das alles nicht bloß so obenhin
bestätigt, sondern beinahe großartig bestätigt. Und noch
dazu aus Siam."

"Aus Siam?"

"Ja, aus Siam. Und ich würde Sie damit be¬
helligen, wenn die Sache nicht ein bißchen zu lang wäre.

ſtammt, — finden Sie dieſe Lehre, dieſes Dogma, dieſe
Thatſache.“

„Ja, iſt es eine Thatſache?“

„Schwer zu ſagen. Aber es wird als Thatſache
genommen. Und das iſt ebenſogut. Blut ſühnt.“

„Blut ſühnt,“ wiederholte Molchow. „Gewiß. Daher
haben wir ja auch unſere Duellinſtitution. Aber wo wollen
Sie hier die Blutſühne hernehmen? In dieſem Spezial¬
falle ganz undurchführbar. Der Hauslehrer iſt drüben
in England geblieben, wenn er nicht gar nach Amerika
gegangen iſt. Und wenn er auch wiederkäme, er iſt nicht
ſatisfaktionsfähig. Wär' er Reſerve-Offizier, ſo hätt'
ich das längſt erfahren ...“

„Ja, Herr von Molchow, das iſt die hieſige An¬
ſchauung. Etwas primitiv, naturwüchſig, das ſogenannte
Blutracheprinzip. Aber es braucht nicht immer das
Blut des Übelthäters ſelbſt zu ſein. Bei den Orien¬
talen ...“

„Ach, Orientalen ... dolle Geſellſchaft ...“

„Nun denn meinetwegen, bei faſt allen Völkern
des Oſtens ſühnt Blut überhaupt. Ja mehr, nach
orientaliſcher Anſchauung — ich kann das Wort nicht
vermeiden, Herr von Molchow; ich muß immer wieder
darauf zurückkommen — nach orientaliſcher Anſchauung
ſtellt Blut die Unſchuld als ſolche wieder her.“

„Na, hören Sie, Rektor.“

„Ja, es iſt ſo, meine Herren. Und ich darf ſagen,
es zählt das zu dem Feinſten und Tiefſinnigſten, was
es giebt. Und ich habe da auch neulich erſt eine Ge¬
ſchichte geleſen, die das alles nicht bloß ſo obenhin
beſtätigt, ſondern beinahe großartig beſtätigt. Und noch
dazu aus Siam.“

„Aus Siam?“

„Ja, aus Siam. Und ich würde Sie damit be¬
helligen, wenn die Sache nicht ein bißchen zu lang wäre.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0262" n="255"/>
&#x017F;tammt, &#x2014; finden Sie die&#x017F;e Lehre, die&#x017F;es Dogma, die&#x017F;e<lb/>
That&#x017F;ache.&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Ja, i&#x017F;t es eine That&#x017F;ache?&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Schwer zu &#x017F;agen. Aber es wird als That&#x017F;ache<lb/>
genommen. Und das i&#x017F;t eben&#x017F;ogut. <hi rendition="#g">Blut &#x017F;ühnt</hi>.&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Blut &#x017F;ühnt,&#x201C; wiederholte Molchow. &#x201E;Gewiß. Daher<lb/>
haben wir ja auch un&#x017F;ere Duellin&#x017F;titution. Aber wo wollen<lb/>
Sie hier die Blut&#x017F;ühne hernehmen? In die&#x017F;em Spezial¬<lb/>
falle ganz undurchführbar. Der Hauslehrer i&#x017F;t drüben<lb/>
in England geblieben, wenn er nicht gar nach Amerika<lb/>
gegangen i&#x017F;t. Und wenn er auch wiederkäme, er i&#x017F;t nicht<lb/>
&#x017F;atisfaktionsfähig. Wär' er Re&#x017F;erve-Offizier, &#x017F;o hätt'<lb/>
ich das läng&#x017F;t erfahren ...&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Ja, Herr von Molchow, das i&#x017F;t die hie&#x017F;ige An¬<lb/>
&#x017F;chauung. Etwas primitiv, naturwüch&#x017F;ig, das &#x017F;ogenannte<lb/>
Blutracheprinzip. Aber es braucht nicht immer das<lb/>
Blut des Übelthäters &#x017F;elb&#x017F;t zu &#x017F;ein. Bei den Orien¬<lb/>
talen ...&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Ach, Orientalen ... dolle Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft ...&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Nun denn meinetwegen, bei fa&#x017F;t allen Völkern<lb/>
des O&#x017F;tens &#x017F;ühnt Blut überhaupt. Ja mehr, nach<lb/>
orientali&#x017F;cher An&#x017F;chauung &#x2014; ich kann das Wort nicht<lb/>
vermeiden, Herr von Molchow; ich muß immer wieder<lb/>
darauf zurückkommen &#x2014; nach orientali&#x017F;cher An&#x017F;chauung<lb/>
&#x017F;tellt Blut die Un&#x017F;chuld als &#x017F;olche wieder her.&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Na, hören Sie, Rektor.&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Ja, es i&#x017F;t &#x017F;o, meine Herren. Und ich darf &#x017F;agen,<lb/>
es zählt das zu dem Fein&#x017F;ten und Tief&#x017F;innig&#x017F;ten, was<lb/>
es giebt. Und ich habe da auch neulich er&#x017F;t eine Ge¬<lb/>
&#x017F;chichte gele&#x017F;en, die das alles nicht bloß &#x017F;o obenhin<lb/>
be&#x017F;tätigt, &#x017F;ondern beinahe <hi rendition="#g">großartig</hi> be&#x017F;tätigt. Und noch<lb/>
dazu aus Siam.&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Aus Siam?&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Ja, aus Siam. Und ich würde Sie damit be¬<lb/>
helligen, wenn die Sache nicht ein bißchen zu lang wäre.<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[255/0262] ſtammt, — finden Sie dieſe Lehre, dieſes Dogma, dieſe Thatſache.“ „Ja, iſt es eine Thatſache?“ „Schwer zu ſagen. Aber es wird als Thatſache genommen. Und das iſt ebenſogut. Blut ſühnt.“ „Blut ſühnt,“ wiederholte Molchow. „Gewiß. Daher haben wir ja auch unſere Duellinſtitution. Aber wo wollen Sie hier die Blutſühne hernehmen? In dieſem Spezial¬ falle ganz undurchführbar. Der Hauslehrer iſt drüben in England geblieben, wenn er nicht gar nach Amerika gegangen iſt. Und wenn er auch wiederkäme, er iſt nicht ſatisfaktionsfähig. Wär' er Reſerve-Offizier, ſo hätt' ich das längſt erfahren ...“ „Ja, Herr von Molchow, das iſt die hieſige An¬ ſchauung. Etwas primitiv, naturwüchſig, das ſogenannte Blutracheprinzip. Aber es braucht nicht immer das Blut des Übelthäters ſelbſt zu ſein. Bei den Orien¬ talen ...“ „Ach, Orientalen ... dolle Geſellſchaft ...“ „Nun denn meinetwegen, bei faſt allen Völkern des Oſtens ſühnt Blut überhaupt. Ja mehr, nach orientaliſcher Anſchauung — ich kann das Wort nicht vermeiden, Herr von Molchow; ich muß immer wieder darauf zurückkommen — nach orientaliſcher Anſchauung ſtellt Blut die Unſchuld als ſolche wieder her.“ „Na, hören Sie, Rektor.“ „Ja, es iſt ſo, meine Herren. Und ich darf ſagen, es zählt das zu dem Feinſten und Tiefſinnigſten, was es giebt. Und ich habe da auch neulich erſt eine Ge¬ ſchichte geleſen, die das alles nicht bloß ſo obenhin beſtätigt, ſondern beinahe großartig beſtätigt. Und noch dazu aus Siam.“ „Aus Siam?“ „Ja, aus Siam. Und ich würde Sie damit be¬ helligen, wenn die Sache nicht ein bißchen zu lang wäre.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/262
Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 255. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/262>, abgerufen am 22.11.2024.