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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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"Ah, gratuliere, Lorenzen. Kreuzabnahme; Rubens.
Das ist ja ein wunderschöner Stich. Oder eigentlich
Aquatinta. Dergleichen wird hier wohl im siebenmeiligen
Umkreis nicht oft betroffen werden, nicht einmal in dem
etwas heraufgepufften Rheinsberg; in Rheinsberg war
man für Watteausche Reifrockdamen auf einer Schaukel,
aber nicht für Kreuzabnahmen und dergleichen. Und
stammt auch sicher nicht aus dem sogenannten Schloß
Ihres liebenswürdigen alten Herrn drüben, Riesenkathe
mit Glaskugel davor. Ach, wenn ich diese Glaskugeln
sehe. Und daneben das hier! Wissen Sie, Lorenzen,
das Bild hier ruft mir eine schöne Stunde meines Lebens
zurück, einen Reisetag, wo ich mit Großfürstin Wera
vom Haag aus in Antwerpen war. Da sah ich das
Bild in der Kathedrale. Waren Sie da?"

Lorenzen verneinte.

"Das wäre was für Sie. Dieser Rubens im Original,
in seiner Farbenallgewalt. Es heißt immer, daß er nur
Flamänderinnen hätte malen können. Nun, das wäre
wohl auch noch nicht das Schlimmste gewesen. Aber
er konnte mehr. Sehen Sie den Christus. Wohl jedem,
der draußen war, und zu dem die Welt mal in andern
Zungen redete! Hier blüht der Bilderbogen, Türke links,
Russe rechts. Ach, Lorenzen, es ist traurig, hier ver¬
sauern zu müssen."

Als er so gesprochen, ließ er sich, vor sich hin¬
starrend, in die Sofa-Ecke nieder, ganz wie in andre
Zeiten verloren, und sah erst wieder auf, als ein junges
Ding ins Zimmer trat, groß und schlank und blond,
und dem Pastor verlegen und errötend etwas zuflüsterte.

"Meine gute Frau Kulicke," sagte Lorenzen, "läßt
eben fragen, ob wir unsern Imbiß im Nebenzimmer
nehmen wollen? Ich möchte beinahe glauben, es ist
das beste, wir bleiben hier. Es heißt zwar, ein E߬
zimmer müsse kalt sein. Nun, das hätten wir nebenan.

„Ah, gratuliere, Lorenzen. Kreuzabnahme; Rubens.
Das iſt ja ein wunderſchöner Stich. Oder eigentlich
Aquatinta. Dergleichen wird hier wohl im ſiebenmeiligen
Umkreis nicht oft betroffen werden, nicht einmal in dem
etwas heraufgepufften Rheinsberg; in Rheinsberg war
man für Watteauſche Reifrockdamen auf einer Schaukel,
aber nicht für Kreuzabnahmen und dergleichen. Und
ſtammt auch ſicher nicht aus dem ſogenannten Schloß
Ihres liebenswürdigen alten Herrn drüben, Rieſenkathe
mit Glaskugel davor. Ach, wenn ich dieſe Glaskugeln
ſehe. Und daneben das hier! Wiſſen Sie, Lorenzen,
das Bild hier ruft mir eine ſchöne Stunde meines Lebens
zurück, einen Reiſetag, wo ich mit Großfürſtin Wera
vom Haag aus in Antwerpen war. Da ſah ich das
Bild in der Kathedrale. Waren Sie da?“

Lorenzen verneinte.

„Das wäre was für Sie. Dieſer Rubens im Original,
in ſeiner Farbenallgewalt. Es heißt immer, daß er nur
Flamänderinnen hätte malen können. Nun, das wäre
wohl auch noch nicht das Schlimmſte geweſen. Aber
er konnte mehr. Sehen Sie den Chriſtus. Wohl jedem,
der draußen war, und zu dem die Welt mal in andern
Zungen redete! Hier blüht der Bilderbogen, Türke links,
Ruſſe rechts. Ach, Lorenzen, es iſt traurig, hier ver¬
ſauern zu müſſen.“

Als er ſo geſprochen, ließ er ſich, vor ſich hin¬
ſtarrend, in die Sofa-Ecke nieder, ganz wie in andre
Zeiten verloren, und ſah erſt wieder auf, als ein junges
Ding ins Zimmer trat, groß und ſchlank und blond,
und dem Paſtor verlegen und errötend etwas zuflüſterte.

„Meine gute Frau Kulicke,“ ſagte Lorenzen, „läßt
eben fragen, ob wir unſern Imbiß im Nebenzimmer
nehmen wollen? Ich möchte beinahe glauben, es iſt
das beſte, wir bleiben hier. Es heißt zwar, ein E߬
zimmer müſſe kalt ſein. Nun, das hätten wir nebenan.

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[221/0228] „Ah, gratuliere, Lorenzen. Kreuzabnahme; Rubens. Das iſt ja ein wunderſchöner Stich. Oder eigentlich Aquatinta. Dergleichen wird hier wohl im ſiebenmeiligen Umkreis nicht oft betroffen werden, nicht einmal in dem etwas heraufgepufften Rheinsberg; in Rheinsberg war man für Watteauſche Reifrockdamen auf einer Schaukel, aber nicht für Kreuzabnahmen und dergleichen. Und ſtammt auch ſicher nicht aus dem ſogenannten Schloß Ihres liebenswürdigen alten Herrn drüben, Rieſenkathe mit Glaskugel davor. Ach, wenn ich dieſe Glaskugeln ſehe. Und daneben das hier! Wiſſen Sie, Lorenzen, das Bild hier ruft mir eine ſchöne Stunde meines Lebens zurück, einen Reiſetag, wo ich mit Großfürſtin Wera vom Haag aus in Antwerpen war. Da ſah ich das Bild in der Kathedrale. Waren Sie da?“ Lorenzen verneinte. „Das wäre was für Sie. Dieſer Rubens im Original, in ſeiner Farbenallgewalt. Es heißt immer, daß er nur Flamänderinnen hätte malen können. Nun, das wäre wohl auch noch nicht das Schlimmſte geweſen. Aber er konnte mehr. Sehen Sie den Chriſtus. Wohl jedem, der draußen war, und zu dem die Welt mal in andern Zungen redete! Hier blüht der Bilderbogen, Türke links, Ruſſe rechts. Ach, Lorenzen, es iſt traurig, hier ver¬ ſauern zu müſſen.“ Als er ſo geſprochen, ließ er ſich, vor ſich hin¬ ſtarrend, in die Sofa-Ecke nieder, ganz wie in andre Zeiten verloren, und ſah erſt wieder auf, als ein junges Ding ins Zimmer trat, groß und ſchlank und blond, und dem Paſtor verlegen und errötend etwas zuflüſterte. „Meine gute Frau Kulicke,“ ſagte Lorenzen, „läßt eben fragen, ob wir unſern Imbiß im Nebenzimmer nehmen wollen? Ich möchte beinahe glauben, es iſt das beſte, wir bleiben hier. Es heißt zwar, ein E߬ zimmer müſſe kalt ſein. Nun, das hätten wir nebenan.

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/228>, abgerufen am 22.11.2024.