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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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Das war ein gutes Wort, das ich Ihnen nicht vergessen
will. Und dieser Lorenzen war Ihr Lehrer und Erzieher?"

"Ja, mein Lehrer und Erzieher. Zugleich mein
Freund und Berater. Der, den ich über alles liebe."

"Gehen Sie darin nicht zu weit?" lachte Melusine.

"Vielleicht, Gräfin, oder sag' ich lieber: gewiß. Und
ich hätte dessen eingedenk sein sollen, gerade heut und
gerade hier. Aber so viel bleibt: ich liebe ihn sehr, weil
ich ihm alles verdanke, was ich bin, und weil er reinen
Herzens ist."

"Reinen Herzens," sagte Melusine. "Das ist viel.
Und Sie sind dessen sicher?"

"Ganz sicher."

"Und von diesem Unikum erzählen Sie uns erst
heute! Da waren Sie neulich mit dem guten Wrschowitz
bei uns und haben uns allerhand Schreckliches von Ihrem
misogynen Prinzen wissen lassen. Und während Sie den
in den Vordergrund stellen, halten Sie diesen Pastor
Lorenzen ganz gemütlich in Reserve. Wie kann man so
grausam sein und mit seinen Berichten und Redekünsten
so launenhaft operieren! Aber holen Sie wenigstens nach,
was Sie versäumt haben. Die Fragen drängen sich ordent¬
lich. Wie kam Ihr Vater auf den Einfall, Ihnen einen
solchen Erzieher zu geben? Und wie kam ein Mann wie
dieser Lorenzen in diese Gegenden? Und wie kam er
überhaupt in diese Welt? Es ist so selten, so selten."

Armgard und die Baronin nickten.

"Ich bekenne, mich quält die Neugier, mehr von ihm
zu hören," fuhr Melusine fort. "Und er ist unverheiratet?
Schon das allein ist immer ein gutes Zeichen. Durch¬
schnittsmenschen glauben sich so schnell wie möglich ver¬
ewigen zu müssen, damit die Herrlichkeit nicht ausstirbt.
Ihr Lorenzen ist eben in allem, wie mir scheint, ein Aus¬
nahmemensch. Also beginnen."

"Ich bin dazu besten Willens, Frau Gräfin. Aber

Das war ein gutes Wort, das ich Ihnen nicht vergeſſen
will. Und dieſer Lorenzen war Ihr Lehrer und Erzieher?“

„Ja, mein Lehrer und Erzieher. Zugleich mein
Freund und Berater. Der, den ich über alles liebe.“

„Gehen Sie darin nicht zu weit?“ lachte Meluſine.

„Vielleicht, Gräfin, oder ſag' ich lieber: gewiß. Und
ich hätte deſſen eingedenk ſein ſollen, gerade heut und
gerade hier. Aber ſo viel bleibt: ich liebe ihn ſehr, weil
ich ihm alles verdanke, was ich bin, und weil er reinen
Herzens iſt.“

„Reinen Herzens,“ ſagte Meluſine. „Das iſt viel.
Und Sie ſind deſſen ſicher?“

„Ganz ſicher.“

„Und von dieſem Unikum erzählen Sie uns erſt
heute! Da waren Sie neulich mit dem guten Wrſchowitz
bei uns und haben uns allerhand Schreckliches von Ihrem
miſogynen Prinzen wiſſen laſſen. Und während Sie den
in den Vordergrund ſtellen, halten Sie dieſen Paſtor
Lorenzen ganz gemütlich in Reſerve. Wie kann man ſo
grauſam ſein und mit ſeinen Berichten und Redekünſten
ſo launenhaft operieren! Aber holen Sie wenigſtens nach,
was Sie verſäumt haben. Die Fragen drängen ſich ordent¬
lich. Wie kam Ihr Vater auf den Einfall, Ihnen einen
ſolchen Erzieher zu geben? Und wie kam ein Mann wie
dieſer Lorenzen in dieſe Gegenden? Und wie kam er
überhaupt in dieſe Welt? Es iſt ſo ſelten, ſo ſelten.“

Armgard und die Baronin nickten.

„Ich bekenne, mich quält die Neugier, mehr von ihm
zu hören,“ fuhr Meluſine fort. „Und er iſt unverheiratet?
Schon das allein iſt immer ein gutes Zeichen. Durch¬
ſchnittsmenſchen glauben ſich ſo ſchnell wie möglich ver¬
ewigen zu müſſen, damit die Herrlichkeit nicht ausſtirbt.
Ihr Lorenzen iſt eben in allem, wie mir ſcheint, ein Aus¬
nahmemenſch. Alſo beginnen.“

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[196/0203] Das war ein gutes Wort, das ich Ihnen nicht vergeſſen will. Und dieſer Lorenzen war Ihr Lehrer und Erzieher?“ „Ja, mein Lehrer und Erzieher. Zugleich mein Freund und Berater. Der, den ich über alles liebe.“ „Gehen Sie darin nicht zu weit?“ lachte Meluſine. „Vielleicht, Gräfin, oder ſag' ich lieber: gewiß. Und ich hätte deſſen eingedenk ſein ſollen, gerade heut und gerade hier. Aber ſo viel bleibt: ich liebe ihn ſehr, weil ich ihm alles verdanke, was ich bin, und weil er reinen Herzens iſt.“ „Reinen Herzens,“ ſagte Meluſine. „Das iſt viel. Und Sie ſind deſſen ſicher?“ „Ganz ſicher.“ „Und von dieſem Unikum erzählen Sie uns erſt heute! Da waren Sie neulich mit dem guten Wrſchowitz bei uns und haben uns allerhand Schreckliches von Ihrem miſogynen Prinzen wiſſen laſſen. Und während Sie den in den Vordergrund ſtellen, halten Sie dieſen Paſtor Lorenzen ganz gemütlich in Reſerve. Wie kann man ſo grauſam ſein und mit ſeinen Berichten und Redekünſten ſo launenhaft operieren! Aber holen Sie wenigſtens nach, was Sie verſäumt haben. Die Fragen drängen ſich ordent¬ lich. Wie kam Ihr Vater auf den Einfall, Ihnen einen ſolchen Erzieher zu geben? Und wie kam ein Mann wie dieſer Lorenzen in dieſe Gegenden? Und wie kam er überhaupt in dieſe Welt? Es iſt ſo ſelten, ſo ſelten.“ Armgard und die Baronin nickten. „Ich bekenne, mich quält die Neugier, mehr von ihm zu hören,“ fuhr Meluſine fort. „Und er iſt unverheiratet? Schon das allein iſt immer ein gutes Zeichen. Durch¬ ſchnittsmenſchen glauben ſich ſo ſchnell wie möglich ver¬ ewigen zu müſſen, damit die Herrlichkeit nicht ausſtirbt. Ihr Lorenzen iſt eben in allem, wie mir ſcheint, ein Aus¬ nahmemenſch. Alſo beginnen.“ „Ich bin dazu beſten Willens, Frau Gräfin. Aber

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/203>, abgerufen am 22.11.2024.