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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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von musikalischem Ohr ist mir geblieben --, so war es
Chopin, was Armgard zu Beginn der Stunde spielte ..."

Wrschowitz verneigte sich.

"Chopin, für den ich eine Vorliebe habe, wie für alle
Polen, vorausgesetzt, daß sie Musikanten oder Dichter oder
auch Wissenschaftsmenschen sind. Als Politiker kann ich
mich mit ihnen nicht befreunden. Aber vielleicht nur des¬
halb nicht, weil ich Deutscher und sogar Preuße bin."

"Sehr warr, sehr warr," sagte Wrschowitz, mehr
gesinnungstüchtig als artig.

"Ich darf sagen, daß ich für polnische Musiker, von
meinen frühesten Leutnantstagen an, eine schwärmerische
Vorliebe gehabt habe. Da gab es unter anderm eine
Polonaise von Oginski, die damals so regelmäßig und
mit so viel Passion gespielt wurde, wie später der Erl¬
könig oder die Glocken von Speier. Es war auch die Zeit
vom ,Alten Feldherrn' und von ,Denkst du daran, mein
tapferer Lagienka'."

"Jawohl, Herr Graff, eine schlechte Zeit. Und warr
mir immerdarr eine besondere Lust zu sehen, wie das
Sentimentalle wieder fällt. Immer merr, immer merr.
Ich hasse das Sentimentalle de tout mon coeur."

"Worin ich," sagte Woldemar, "Herrn Doktor Wrscho¬
witz durchaus zustimme. Wir haben in der Poesie genau
dasselbe. Da gab es auch dergleichen, und ich bekenne,
daß ich als Knabe für solche Sentimentalitäten geschwärmt
habe. Meine besondere Schwärmerei war ,König Renes
Tochter' von Henrik Hertz, einem jungen Kopenhagener,
wenn ich nicht irre ..."

Wrschowitz verfärbte sich, was Woldemar, als er es
wahrnahm, zu sofortigem raschen Einlenken bestimmte.
"... König Renes Tochter, ein lyrisches Drama. Aber
schon seit lange wieder vergessen. Wir stehen jetzt im
Zeichen von Tolstoj und der Kreuzersonate."

"Sehr warr, sehr warr," sagte der rasch wieder be¬

von muſikaliſchem Ohr iſt mir geblieben —, ſo war es
Chopin, was Armgard zu Beginn der Stunde ſpielte ...“

Wrſchowitz verneigte ſich.

„Chopin, für den ich eine Vorliebe habe, wie für alle
Polen, vorausgeſetzt, daß ſie Muſikanten oder Dichter oder
auch Wiſſenſchaftsmenſchen ſind. Als Politiker kann ich
mich mit ihnen nicht befreunden. Aber vielleicht nur des¬
halb nicht, weil ich Deutſcher und ſogar Preuße bin.“

„Sehr warr, ſehr warr,“ ſagte Wrſchowitz, mehr
geſinnungstüchtig als artig.

„Ich darf ſagen, daß ich für polniſche Muſiker, von
meinen früheſten Leutnantstagen an, eine ſchwärmeriſche
Vorliebe gehabt habe. Da gab es unter anderm eine
Polonaiſe von Oginski, die damals ſo regelmäßig und
mit ſo viel Paſſion geſpielt wurde, wie ſpäter der Erl¬
könig oder die Glocken von Speier. Es war auch die Zeit
vom ‚Alten Feldherrn‘ und von ‚Denkſt du daran, mein
tapferer Lagienka‘.“

„Jawohl, Herr Graff, eine ſchlechte Zeit. Und warr
mir immerdarr eine beſondere Luſt zu ſehen, wie das
Sentimentalle wieder fällt. Immer merr, immer merr.
Ich haſſe das Sentimentalle de tout mon cœur.“

„Worin ich,“ ſagte Woldemar, „Herrn Doktor Wrſcho¬
witz durchaus zuſtimme. Wir haben in der Poeſie genau
dasſelbe. Da gab es auch dergleichen, und ich bekenne,
daß ich als Knabe für ſolche Sentimentalitäten geſchwärmt
habe. Meine beſondere Schwärmerei war ‚König Renés
Tochter‘ von Henrik Hertz, einem jungen Kopenhagener,
wenn ich nicht irre ...“

Wrſchowitz verfärbte ſich, was Woldemar, als er es
wahrnahm, zu ſofortigem raſchen Einlenken beſtimmte.
„... König Renés Tochter, ein lyriſches Drama. Aber
ſchon ſeit lange wieder vergeſſen. Wir ſtehen jetzt im
Zeichen von Tolſtoj und der Kreuzerſonate.“

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[165/0172] von muſikaliſchem Ohr iſt mir geblieben —, ſo war es Chopin, was Armgard zu Beginn der Stunde ſpielte ...“ Wrſchowitz verneigte ſich. „Chopin, für den ich eine Vorliebe habe, wie für alle Polen, vorausgeſetzt, daß ſie Muſikanten oder Dichter oder auch Wiſſenſchaftsmenſchen ſind. Als Politiker kann ich mich mit ihnen nicht befreunden. Aber vielleicht nur des¬ halb nicht, weil ich Deutſcher und ſogar Preuße bin.“ „Sehr warr, ſehr warr,“ ſagte Wrſchowitz, mehr geſinnungstüchtig als artig. „Ich darf ſagen, daß ich für polniſche Muſiker, von meinen früheſten Leutnantstagen an, eine ſchwärmeriſche Vorliebe gehabt habe. Da gab es unter anderm eine Polonaiſe von Oginski, die damals ſo regelmäßig und mit ſo viel Paſſion geſpielt wurde, wie ſpäter der Erl¬ könig oder die Glocken von Speier. Es war auch die Zeit vom ‚Alten Feldherrn‘ und von ‚Denkſt du daran, mein tapferer Lagienka‘.“ „Jawohl, Herr Graff, eine ſchlechte Zeit. Und warr mir immerdarr eine beſondere Luſt zu ſehen, wie das Sentimentalle wieder fällt. Immer merr, immer merr. Ich haſſe das Sentimentalle de tout mon cœur.“ „Worin ich,“ ſagte Woldemar, „Herrn Doktor Wrſcho¬ witz durchaus zuſtimme. Wir haben in der Poeſie genau dasſelbe. Da gab es auch dergleichen, und ich bekenne, daß ich als Knabe für ſolche Sentimentalitäten geſchwärmt habe. Meine beſondere Schwärmerei war ‚König Renés Tochter‘ von Henrik Hertz, einem jungen Kopenhagener, wenn ich nicht irre ...“ Wrſchowitz verfärbte ſich, was Woldemar, als er es wahrnahm, zu ſofortigem raſchen Einlenken beſtimmte. „... König Renés Tochter, ein lyriſches Drama. Aber ſchon ſeit lange wieder vergeſſen. Wir ſtehen jetzt im Zeichen von Tolſtoj und der Kreuzerſonate.“ „Sehr warr, ſehr warr,“ ſagte der raſch wieder be¬

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/172>, abgerufen am 22.11.2024.