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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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Medizindoktor, sondern ein Musikdoktor. Sie haben von
ihm rein zufällig noch nicht gehört, weil erst vorige Woche,
nach einer langen, langen Pause, die Musikstunden wieder
aufgenommen wurden. Er ist aber schon seit Jahr und
Tag Armgards Lehrer."

"Musikdoktor? Giebt es denn die?"

"Lieber Stechlin, es giebt alles. Also natürlich auch
das. Und so sehr ich im ganzen gegen die Doktorhascherei
bin, so liegt es hier doch so, daß ich dem armen Wrscho¬
witz seinen Musikdoktor gönnen oder doch mindestens ver¬
zeihen muß. Er hat den Titel auch noch nicht lange."

"Das klingt ja fast wie 'ne Geschichte."

"Trifft auch zu. Können Sie sich denken, daß Wrscho¬
witz aus einer Art Verzweiflung Doktor geworden ist?"

"Kaum. Und wenn kein Geheimnis ..."

"Durchaus nicht; nur ein Kuriosum. Wrschowitz hieß
nämlich bis vor zwei Jahren, wo er als Klavierlehrer,
aber als ein höherer (denn er hat auch eine Oper kom¬
poniert), in unser Haus kam, einfach Niels Wrschowitz,
und er ist bloß Doktor geworden, um den Niels auf seiner
Visitenkarte los zu werden."

"Und das ist ihm auch geglückt?"

"Ich glaube ja, wiewohl es immer noch vorkommt,
daß ihn einzelne ganz wie früher Niels nennen, entweder
aus Zufall oder auch wohl aus Schändlichkeit. In
letzterem Falle sind es immer Kollegen. Denn die Musiker
sind die boshaftesten Menschen. Meist denkt man, die
Prediger und die Schauspieler seien die schlimmsten. Aber
weit gefehlt. Die Musiker sind ihnen über. Und ganz
besonders schlimm sind die, die die sogenannte heilige
Musik machen."

"Ich habe dergleichen auch schon gehört," sagte Wol¬
demar. "Aber was ist das nur mit Niels? Niels ist
doch an und für sich ein hübscher und ganz harmloser
Name. Nichts Anzügliches drin."

Medizindoktor, ſondern ein Muſikdoktor. Sie haben von
ihm rein zufällig noch nicht gehört, weil erſt vorige Woche,
nach einer langen, langen Pauſe, die Muſikſtunden wieder
aufgenommen wurden. Er iſt aber ſchon ſeit Jahr und
Tag Armgards Lehrer.“

„Muſikdoktor? Giebt es denn die?“

„Lieber Stechlin, es giebt alles. Alſo natürlich auch
das. Und ſo ſehr ich im ganzen gegen die Doktorhaſcherei
bin, ſo liegt es hier doch ſo, daß ich dem armen Wrſcho¬
witz ſeinen Muſikdoktor gönnen oder doch mindeſtens ver¬
zeihen muß. Er hat den Titel auch noch nicht lange.“

„Das klingt ja faſt wie 'ne Geſchichte.“

„Trifft auch zu. Können Sie ſich denken, daß Wrſcho¬
witz aus einer Art Verzweiflung Doktor geworden iſt?“

„Kaum. Und wenn kein Geheimnis ...“

„Durchaus nicht; nur ein Kurioſum. Wrſchowitz hieß
nämlich bis vor zwei Jahren, wo er als Klavierlehrer,
aber als ein höherer (denn er hat auch eine Oper kom¬
poniert), in unſer Haus kam, einfach Niels Wrſchowitz,
und er iſt bloß Doktor geworden, um den Niels auf ſeiner
Viſitenkarte los zu werden.“

„Und das iſt ihm auch geglückt?“

„Ich glaube ja, wiewohl es immer noch vorkommt,
daß ihn einzelne ganz wie früher Niels nennen, entweder
aus Zufall oder auch wohl aus Schändlichkeit. In
letzterem Falle ſind es immer Kollegen. Denn die Muſiker
ſind die boshafteſten Menſchen. Meiſt denkt man, die
Prediger und die Schauſpieler ſeien die ſchlimmſten. Aber
weit gefehlt. Die Muſiker ſind ihnen über. Und ganz
beſonders ſchlimm ſind die, die die ſogenannte heilige
Muſik machen.“

„Ich habe dergleichen auch ſchon gehört,“ ſagte Wol¬
demar. „Aber was iſt das nur mit Niels? Niels iſt
doch an und für ſich ein hübſcher und ganz harmloſer
Name. Nichts Anzügliches drin.“

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[162/0169] Medizindoktor, ſondern ein Muſikdoktor. Sie haben von ihm rein zufällig noch nicht gehört, weil erſt vorige Woche, nach einer langen, langen Pauſe, die Muſikſtunden wieder aufgenommen wurden. Er iſt aber ſchon ſeit Jahr und Tag Armgards Lehrer.“ „Muſikdoktor? Giebt es denn die?“ „Lieber Stechlin, es giebt alles. Alſo natürlich auch das. Und ſo ſehr ich im ganzen gegen die Doktorhaſcherei bin, ſo liegt es hier doch ſo, daß ich dem armen Wrſcho¬ witz ſeinen Muſikdoktor gönnen oder doch mindeſtens ver¬ zeihen muß. Er hat den Titel auch noch nicht lange.“ „Das klingt ja faſt wie 'ne Geſchichte.“ „Trifft auch zu. Können Sie ſich denken, daß Wrſcho¬ witz aus einer Art Verzweiflung Doktor geworden iſt?“ „Kaum. Und wenn kein Geheimnis ...“ „Durchaus nicht; nur ein Kurioſum. Wrſchowitz hieß nämlich bis vor zwei Jahren, wo er als Klavierlehrer, aber als ein höherer (denn er hat auch eine Oper kom¬ poniert), in unſer Haus kam, einfach Niels Wrſchowitz, und er iſt bloß Doktor geworden, um den Niels auf ſeiner Viſitenkarte los zu werden.“ „Und das iſt ihm auch geglückt?“ „Ich glaube ja, wiewohl es immer noch vorkommt, daß ihn einzelne ganz wie früher Niels nennen, entweder aus Zufall oder auch wohl aus Schändlichkeit. In letzterem Falle ſind es immer Kollegen. Denn die Muſiker ſind die boshafteſten Menſchen. Meiſt denkt man, die Prediger und die Schauſpieler ſeien die ſchlimmſten. Aber weit gefehlt. Die Muſiker ſind ihnen über. Und ganz beſonders ſchlimm ſind die, die die ſogenannte heilige Muſik machen.“ „Ich habe dergleichen auch ſchon gehört,“ ſagte Wol¬ demar. „Aber was iſt das nur mit Niels? Niels iſt doch an und für ſich ein hübſcher und ganz harmloſer Name. Nichts Anzügliches drin.“

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/169>, abgerufen am 22.11.2024.