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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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matischen Dienst über, wozu seine Bildung, sein Ver¬
mögen, seine gesellschaftliche Stellung ihn gleichmäßig
geeignet erscheinen ließen. Noch im selben Jahre ging
er nach London, erst als Attache, wurde dann Botschafts¬
rat und blieb in dieser Stellung zunächst bis in die Tage
der Aufrichtung des Deutschen Reichs. Seine Beziehungen
sowohl zu der heimisch-englischen wie zu der außer¬
englischen Aristokratie waren jederzeit die besten, und sein
Freundschaftsverhältnis zu Baron und Baronin Berchtes¬
gaden entstammte jener Zeit. Er hing sehr an London.
Das englische Leben, an dem er manches, vor allem die
geschraubte Kirchlichkeit, beanstandete, war ihm trotzdem
außerordentlich sympathisch, und er hatte sich daran ge¬
wöhnt, sich als verwachsen damit anzusehen. Auch seine
Familie, die Frau und die zwei Töchter -- beide, wenn
auch in großem Abstande, während der Londoner Tage
geboren -- teilten des Vaters Vorliebe für England und
englisches Leben. Aber ein harter Schlag warf alles um,
was der Graf geplant: die Frau starb plötzlich, und der
Aufenthalt an der ihm so lieb gewordenen Stätte war
ihm vergällt. Er nahm in der ersten Hälfte der 80er
Jahre seine Demission, ging zunächst auf die Plantaschen
Güter nach Graubünden und dann weiter nach Süden,
um sich in Florenz seßhaft zu machen. Die Luft, die
Kunst, die Heiterkeit der Menschen, alles that ihm hier
wohl, und er fühlte, daß er genaß soweit er wieder ge¬
nesen konnte. Glückliche Tage brachen für ihn an, und
sein Glück schien sich noch steigern zu sollen, als sich die
ältere Tochter mit dem italienischen Grafen Ghiberti ver¬
lobte. Die Hochzeit folgte beinah unmittelbar. Aber die
Fortdauer dieser Ehe stellte sich bald als eine Unmöglich¬
keit heraus, und ehe ein Jahr um war, war die Scheidung
ausgesprochen. Kurze Zeit danach kehrte der Graf nach
Deutschland zurück, das er, seit einem Vierteljahrhundert,
immer nur flüchtig und besuchsweise wiedergesehen hatte.

matiſchen Dienſt über, wozu ſeine Bildung, ſein Ver¬
mögen, ſeine geſellſchaftliche Stellung ihn gleichmäßig
geeignet erſcheinen ließen. Noch im ſelben Jahre ging
er nach London, erſt als Attaché, wurde dann Botſchafts¬
rat und blieb in dieſer Stellung zunächſt bis in die Tage
der Aufrichtung des Deutſchen Reichs. Seine Beziehungen
ſowohl zu der heimiſch-engliſchen wie zu der außer¬
engliſchen Ariſtokratie waren jederzeit die beſten, und ſein
Freundſchaftsverhältnis zu Baron und Baronin Berchtes¬
gaden entſtammte jener Zeit. Er hing ſehr an London.
Das engliſche Leben, an dem er manches, vor allem die
geſchraubte Kirchlichkeit, beanſtandete, war ihm trotzdem
außerordentlich ſympathiſch, und er hatte ſich daran ge¬
wöhnt, ſich als verwachſen damit anzuſehen. Auch ſeine
Familie, die Frau und die zwei Töchter — beide, wenn
auch in großem Abſtande, während der Londoner Tage
geboren — teilten des Vaters Vorliebe für England und
engliſches Leben. Aber ein harter Schlag warf alles um,
was der Graf geplant: die Frau ſtarb plötzlich, und der
Aufenthalt an der ihm ſo lieb gewordenen Stätte war
ihm vergällt. Er nahm in der erſten Hälfte der 80er
Jahre ſeine Demiſſion, ging zunächſt auf die Plantaſchen
Güter nach Graubünden und dann weiter nach Süden,
um ſich in Florenz ſeßhaft zu machen. Die Luft, die
Kunſt, die Heiterkeit der Menſchen, alles that ihm hier
wohl, und er fühlte, daß er genaß ſoweit er wieder ge¬
neſen konnte. Glückliche Tage brachen für ihn an, und
ſein Glück ſchien ſich noch ſteigern zu ſollen, als ſich die
ältere Tochter mit dem italieniſchen Grafen Ghiberti ver¬
lobte. Die Hochzeit folgte beinah unmittelbar. Aber die
Fortdauer dieſer Ehe ſtellte ſich bald als eine Unmöglich¬
keit heraus, und ehe ein Jahr um war, war die Scheidung
ausgeſprochen. Kurze Zeit danach kehrte der Graf nach
Deutſchland zurück, das er, ſeit einem Vierteljahrhundert,
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[158/0165] matiſchen Dienſt über, wozu ſeine Bildung, ſein Ver¬ mögen, ſeine geſellſchaftliche Stellung ihn gleichmäßig geeignet erſcheinen ließen. Noch im ſelben Jahre ging er nach London, erſt als Attaché, wurde dann Botſchafts¬ rat und blieb in dieſer Stellung zunächſt bis in die Tage der Aufrichtung des Deutſchen Reichs. Seine Beziehungen ſowohl zu der heimiſch-engliſchen wie zu der außer¬ engliſchen Ariſtokratie waren jederzeit die beſten, und ſein Freundſchaftsverhältnis zu Baron und Baronin Berchtes¬ gaden entſtammte jener Zeit. Er hing ſehr an London. Das engliſche Leben, an dem er manches, vor allem die geſchraubte Kirchlichkeit, beanſtandete, war ihm trotzdem außerordentlich ſympathiſch, und er hatte ſich daran ge¬ wöhnt, ſich als verwachſen damit anzuſehen. Auch ſeine Familie, die Frau und die zwei Töchter — beide, wenn auch in großem Abſtande, während der Londoner Tage geboren — teilten des Vaters Vorliebe für England und engliſches Leben. Aber ein harter Schlag warf alles um, was der Graf geplant: die Frau ſtarb plötzlich, und der Aufenthalt an der ihm ſo lieb gewordenen Stätte war ihm vergällt. Er nahm in der erſten Hälfte der 80er Jahre ſeine Demiſſion, ging zunächſt auf die Plantaſchen Güter nach Graubünden und dann weiter nach Süden, um ſich in Florenz ſeßhaft zu machen. Die Luft, die Kunſt, die Heiterkeit der Menſchen, alles that ihm hier wohl, und er fühlte, daß er genaß ſoweit er wieder ge¬ neſen konnte. Glückliche Tage brachen für ihn an, und ſein Glück ſchien ſich noch ſteigern zu ſollen, als ſich die ältere Tochter mit dem italieniſchen Grafen Ghiberti ver¬ lobte. Die Hochzeit folgte beinah unmittelbar. Aber die Fortdauer dieſer Ehe ſtellte ſich bald als eine Unmöglich¬ keit heraus, und ehe ein Jahr um war, war die Scheidung ausgeſprochen. Kurze Zeit danach kehrte der Graf nach Deutſchland zurück, das er, ſeit einem Vierteljahrhundert, immer nur flüchtig und beſuchsweiſe wiedergeſehen hatte.

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/165>, abgerufen am 25.11.2024.