nur an seiner eignen kleinen Vergangenheit, nie aber an der Welt draußen mißt, von der er, wenn er ganz echt ist, weder eine Vorstellung hat noch überhaupt haben will. Der autochthone "Kellerwurm", wenn er fünfzig Jahre später in eine Steglitzer Villa zieht, bildet -- auch wenn er seiner Natur nach eigentlich der bescheidenste Mensch ist -- eine gewisse naive Krösusvorstellung in sich aus und glaubt ganz ernsthaft, jenen Gold- und Silberkönigen zuzugehören, die die Welt regieren. So war auch die Schickedanz. Hinter einem Dachfenster in der Georgen¬ kirchstraße geboren, an welchem Dachfenster sie später für ein Weißzeuggeschäft genäht hatte, kam ihr ihr Leben, wenn sie rückblickte, wie ein Märchen vor, drin sie die Rolle der Prinzessin spielte. Dementsprechend durchdrang sie sich, still aber stark, mit einem Hochgefühl, das so¬ wohl Geld- wie Geburtsgrößen gegenüber auf Eben¬ bürtigkeit lossteuerte. Sie rangierte sich ein und wies sich, soweit ihre historische Kenntnis das zuließ, einen ganz bestimmten Platz an: Fürst Dolgorucki, Herzog von Devonshire, Schickedanz.
Die Treue, die der Verstorbene noch in seinen letzten Augenblicken ihr nachgerühmt hatte, steigerte sich mehr und mehr zum Kult. Die Vormittagsstunden jedes Tages gehörten dem hohen Palisanderschrank an, drin die Jubi¬ läumsgeschenke wohlgeordnet standen: ein großer Silber¬ pokal mit einem drachentötenden Sankt Georg auf dem Deckel, ein Album mit photographischen Aufnahmen aller Sehenswürdigkeiten von Kaputt, eine große Huldigungs¬ adresse mit Aquarellarabesken, mehrere Lieder in Pracht¬ druck (darunter ein Kegelklublied mit dem Refrain "alle Neune"), Riesensträuße von Sonnenblumen, ein Dreiller mit dem eisernen Kreuz und einem aufgehefteten Gedicht, von einem Damenkomitee herrührend, in dessen Auftrag er, Schickedanz, die Liebesgaben bis vor Paris gebracht hatte. Neben dem Schrank, auf einer Ebenholzsäule,
nur an ſeiner eignen kleinen Vergangenheit, nie aber an der Welt draußen mißt, von der er, wenn er ganz echt iſt, weder eine Vorſtellung hat noch überhaupt haben will. Der autochthone „Kellerwurm“, wenn er fünfzig Jahre ſpäter in eine Steglitzer Villa zieht, bildet — auch wenn er ſeiner Natur nach eigentlich der beſcheidenſte Menſch iſt — eine gewiſſe naive Kröſusvorſtellung in ſich aus und glaubt ganz ernſthaft, jenen Gold- und Silberkönigen zuzugehören, die die Welt regieren. So war auch die Schickedanz. Hinter einem Dachfenſter in der Georgen¬ kirchſtraße geboren, an welchem Dachfenſter ſie ſpäter für ein Weißzeuggeſchäft genäht hatte, kam ihr ihr Leben, wenn ſie rückblickte, wie ein Märchen vor, drin ſie die Rolle der Prinzeſſin ſpielte. Dementſprechend durchdrang ſie ſich, ſtill aber ſtark, mit einem Hochgefühl, das ſo¬ wohl Geld- wie Geburtsgrößen gegenüber auf Eben¬ bürtigkeit losſteuerte. Sie rangierte ſich ein und wies ſich, ſoweit ihre hiſtoriſche Kenntnis das zuließ, einen ganz beſtimmten Platz an: Fürſt Dolgorucki, Herzog von Devonſhire, Schickedanz.
Die Treue, die der Verſtorbene noch in ſeinen letzten Augenblicken ihr nachgerühmt hatte, ſteigerte ſich mehr und mehr zum Kult. Die Vormittagsſtunden jedes Tages gehörten dem hohen Paliſanderſchrank an, drin die Jubi¬ läumsgeſchenke wohlgeordnet ſtanden: ein großer Silber¬ pokal mit einem drachentötenden Sankt Georg auf dem Deckel, ein Album mit photographiſchen Aufnahmen aller Sehenswürdigkeiten von Kaputt, eine große Huldigungs¬ adreſſe mit Aquarellarabesken, mehrere Lieder in Pracht¬ druck (darunter ein Kegelklublied mit dem Refrain „alle Neune“), Rieſenſträuße von Sonnenblumen, ein Dreiller mit dem eiſernen Kreuz und einem aufgehefteten Gedicht, von einem Damenkomitee herrührend, in deſſen Auftrag er, Schickedanz, die Liebesgaben bis vor Paris gebracht hatte. Neben dem Schrank, auf einer Ebenholzſäule,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0162"n="155"/>
nur an ſeiner eignen kleinen Vergangenheit, nie aber an<lb/>
der Welt draußen mißt, von der er, wenn er ganz echt<lb/>
iſt, weder eine Vorſtellung hat noch überhaupt haben will.<lb/>
Der autochthone „Kellerwurm“, wenn er fünfzig Jahre<lb/>ſpäter in eine Steglitzer Villa zieht, bildet — auch wenn<lb/>
er ſeiner Natur nach eigentlich der beſcheidenſte Menſch<lb/>
iſt — eine gewiſſe naive Kröſusvorſtellung in ſich aus<lb/>
und glaubt ganz ernſthaft, jenen Gold- und Silberkönigen<lb/>
zuzugehören, die die Welt regieren. So war auch die<lb/>
Schickedanz. Hinter einem Dachfenſter in der Georgen¬<lb/>
kirchſtraße geboren, an welchem Dachfenſter ſie ſpäter für<lb/>
ein Weißzeuggeſchäft genäht hatte, kam ihr ihr Leben,<lb/>
wenn ſie rückblickte, wie ein Märchen vor, drin ſie die<lb/>
Rolle der Prinzeſſin ſpielte. Dementſprechend durchdrang<lb/>ſie ſich, ſtill aber ſtark, mit einem Hochgefühl, das ſo¬<lb/>
wohl Geld- wie Geburtsgrößen gegenüber auf Eben¬<lb/>
bürtigkeit losſteuerte. Sie rangierte ſich ein und wies<lb/>ſich, ſoweit ihre hiſtoriſche Kenntnis das zuließ, einen<lb/>
ganz beſtimmten Platz an: Fürſt Dolgorucki, Herzog von<lb/>
Devonſhire, Schickedanz.</p><lb/><p>Die Treue, die der Verſtorbene noch in ſeinen letzten<lb/>
Augenblicken ihr nachgerühmt hatte, ſteigerte ſich mehr und<lb/>
mehr zum Kult. Die Vormittagsſtunden jedes Tages<lb/>
gehörten dem hohen Paliſanderſchrank an, drin die Jubi¬<lb/>
läumsgeſchenke wohlgeordnet ſtanden: ein großer Silber¬<lb/>
pokal mit einem drachentötenden Sankt Georg auf dem<lb/>
Deckel, ein Album mit photographiſchen Aufnahmen aller<lb/>
Sehenswürdigkeiten von Kaputt, eine große Huldigungs¬<lb/>
adreſſe mit Aquarellarabesken, mehrere Lieder in Pracht¬<lb/>
druck (darunter ein Kegelklublied mit dem Refrain „alle<lb/>
Neune“), Rieſenſträuße von Sonnenblumen, ein Dreiller<lb/>
mit dem eiſernen Kreuz und einem aufgehefteten Gedicht,<lb/>
von einem Damenkomitee herrührend, in deſſen Auftrag<lb/>
er, Schickedanz, die Liebesgaben bis vor Paris gebracht<lb/>
hatte. Neben dem Schrank, auf einer Ebenholzſäule,<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[155/0162]
nur an ſeiner eignen kleinen Vergangenheit, nie aber an
der Welt draußen mißt, von der er, wenn er ganz echt
iſt, weder eine Vorſtellung hat noch überhaupt haben will.
Der autochthone „Kellerwurm“, wenn er fünfzig Jahre
ſpäter in eine Steglitzer Villa zieht, bildet — auch wenn
er ſeiner Natur nach eigentlich der beſcheidenſte Menſch
iſt — eine gewiſſe naive Kröſusvorſtellung in ſich aus
und glaubt ganz ernſthaft, jenen Gold- und Silberkönigen
zuzugehören, die die Welt regieren. So war auch die
Schickedanz. Hinter einem Dachfenſter in der Georgen¬
kirchſtraße geboren, an welchem Dachfenſter ſie ſpäter für
ein Weißzeuggeſchäft genäht hatte, kam ihr ihr Leben,
wenn ſie rückblickte, wie ein Märchen vor, drin ſie die
Rolle der Prinzeſſin ſpielte. Dementſprechend durchdrang
ſie ſich, ſtill aber ſtark, mit einem Hochgefühl, das ſo¬
wohl Geld- wie Geburtsgrößen gegenüber auf Eben¬
bürtigkeit losſteuerte. Sie rangierte ſich ein und wies
ſich, ſoweit ihre hiſtoriſche Kenntnis das zuließ, einen
ganz beſtimmten Platz an: Fürſt Dolgorucki, Herzog von
Devonſhire, Schickedanz.
Die Treue, die der Verſtorbene noch in ſeinen letzten
Augenblicken ihr nachgerühmt hatte, ſteigerte ſich mehr und
mehr zum Kult. Die Vormittagsſtunden jedes Tages
gehörten dem hohen Paliſanderſchrank an, drin die Jubi¬
läumsgeſchenke wohlgeordnet ſtanden: ein großer Silber¬
pokal mit einem drachentötenden Sankt Georg auf dem
Deckel, ein Album mit photographiſchen Aufnahmen aller
Sehenswürdigkeiten von Kaputt, eine große Huldigungs¬
adreſſe mit Aquarellarabesken, mehrere Lieder in Pracht¬
druck (darunter ein Kegelklublied mit dem Refrain „alle
Neune“), Rieſenſträuße von Sonnenblumen, ein Dreiller
mit dem eiſernen Kreuz und einem aufgehefteten Gedicht,
von einem Damenkomitee herrührend, in deſſen Auftrag
er, Schickedanz, die Liebesgaben bis vor Paris gebracht
hatte. Neben dem Schrank, auf einer Ebenholzſäule,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/162>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.