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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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zehn Minuten. Wenn es Ihnen recht ist, bleiben wir
noch in Gottes freier Natur. Woldemar, führe meine
liebe Freundin, oder lieber Sie, Herr Hauptmann, --
Fräulein von Schmargendorf wird ohnehin Ihre Tisch¬
dame sein."

Das Fräulein von Schmargendorf war klein und
rundlich, einige vierzig Jahre alt, von kurzem Hals
und wenig Taille. Von den sieben Schönheiten, über
die jede Evastochter Verfügung haben soll, hatte sie,
soweit sich ihr "Kredit" feststellen ließ, nur die Büste.
Sie war sich dessen denn auch bewußt und trug immer
dunkle Tuchkleider, mit einem Sammetbesatz oberhalb der
Taille. Dieser Besatz bestand aus drei Dreiecken, deren
Spitze nach unten lief. Sie war immer fidel, zunächst
aus glücklicher Naturanlage, dann aber auch, weil sie
mal gehört hatte: Fidelität erhalte jung. Ihr lag da¬
ran, jung zu sein, obwohl sie keinen rechten Nutzen
mehr daraus ziehen konnte. Benachbarte Adlige gab
es nicht, der Pastor war natürlich verheiratet und Fix
auch. Und weiter nach unten ging es nicht.

Adelheid und Rex waren meist weit voraus, so
daß man sich immer erst an der Glaskugel traf, wenn
das voranschreitende Paar schon wieder auf dem Rück¬
wege war. Czako grüßte dann jedesmal militärisch zur
Domina hinüber.

Diese selbst war in einem Gespräch mit Rex fest
engagiert und verhandelte mit ihm über ein bedroh¬
liches Wachsen des Sektiererwesens. Rex fühlte sich da¬
von getroffen, da er selbst auf dem Punkte stand,
Irvingianer zu werden; er war aber Lebemann genug,
um sich schnell zurecht zu finden und vor allem auf jede
nachhaltige Bekämpfung der von Adelheid geäußerten
Ansichten zu verzichten. Er lenkte geschickt in das Ge¬
biet des allgemeinen Unglaubens ein, dabei sofort einer
vollen Zustimmung begegnend. Ja, die Domina ging

zehn Minuten. Wenn es Ihnen recht iſt, bleiben wir
noch in Gottes freier Natur. Woldemar, führe meine
liebe Freundin, oder lieber Sie, Herr Hauptmann, —
Fräulein von Schmargendorf wird ohnehin Ihre Tiſch¬
dame ſein.“

Das Fräulein von Schmargendorf war klein und
rundlich, einige vierzig Jahre alt, von kurzem Hals
und wenig Taille. Von den ſieben Schönheiten, über
die jede Evastochter Verfügung haben ſoll, hatte ſie,
ſoweit ſich ihr „Kredit“ feſtſtellen ließ, nur die Büſte.
Sie war ſich deſſen denn auch bewußt und trug immer
dunkle Tuchkleider, mit einem Sammetbeſatz oberhalb der
Taille. Dieſer Beſatz beſtand aus drei Dreiecken, deren
Spitze nach unten lief. Sie war immer fidel, zunächſt
aus glücklicher Naturanlage, dann aber auch, weil ſie
mal gehört hatte: Fidelität erhalte jung. Ihr lag da¬
ran, jung zu ſein, obwohl ſie keinen rechten Nutzen
mehr daraus ziehen konnte. Benachbarte Adlige gab
es nicht, der Paſtor war natürlich verheiratet und Fix
auch. Und weiter nach unten ging es nicht.

Adelheid und Rex waren meiſt weit voraus, ſo
daß man ſich immer erſt an der Glaskugel traf, wenn
das voranſchreitende Paar ſchon wieder auf dem Rück¬
wege war. Czako grüßte dann jedesmal militäriſch zur
Domina hinüber.

Dieſe ſelbſt war in einem Geſpräch mit Rex feſt
engagiert und verhandelte mit ihm über ein bedroh¬
liches Wachſen des Sektiererweſens. Rex fühlte ſich da¬
von getroffen, da er ſelbſt auf dem Punkte ſtand,
Irvingianer zu werden; er war aber Lebemann genug,
um ſich ſchnell zurecht zu finden und vor allem auf jede
nachhaltige Bekämpfung der von Adelheid geäußerten
Anſichten zu verzichten. Er lenkte geſchickt in das Ge¬
biet des allgemeinen Unglaubens ein, dabei ſofort einer
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[106/0113] zehn Minuten. Wenn es Ihnen recht iſt, bleiben wir noch in Gottes freier Natur. Woldemar, führe meine liebe Freundin, oder lieber Sie, Herr Hauptmann, — Fräulein von Schmargendorf wird ohnehin Ihre Tiſch¬ dame ſein.“ Das Fräulein von Schmargendorf war klein und rundlich, einige vierzig Jahre alt, von kurzem Hals und wenig Taille. Von den ſieben Schönheiten, über die jede Evastochter Verfügung haben ſoll, hatte ſie, ſoweit ſich ihr „Kredit“ feſtſtellen ließ, nur die Büſte. Sie war ſich deſſen denn auch bewußt und trug immer dunkle Tuchkleider, mit einem Sammetbeſatz oberhalb der Taille. Dieſer Beſatz beſtand aus drei Dreiecken, deren Spitze nach unten lief. Sie war immer fidel, zunächſt aus glücklicher Naturanlage, dann aber auch, weil ſie mal gehört hatte: Fidelität erhalte jung. Ihr lag da¬ ran, jung zu ſein, obwohl ſie keinen rechten Nutzen mehr daraus ziehen konnte. Benachbarte Adlige gab es nicht, der Paſtor war natürlich verheiratet und Fix auch. Und weiter nach unten ging es nicht. Adelheid und Rex waren meiſt weit voraus, ſo daß man ſich immer erſt an der Glaskugel traf, wenn das voranſchreitende Paar ſchon wieder auf dem Rück¬ wege war. Czako grüßte dann jedesmal militäriſch zur Domina hinüber. Dieſe ſelbſt war in einem Geſpräch mit Rex feſt engagiert und verhandelte mit ihm über ein bedroh¬ liches Wachſen des Sektiererweſens. Rex fühlte ſich da¬ von getroffen, da er ſelbſt auf dem Punkte ſtand, Irvingianer zu werden; er war aber Lebemann genug, um ſich ſchnell zurecht zu finden und vor allem auf jede nachhaltige Bekämpfung der von Adelheid geäußerten Anſichten zu verzichten. Er lenkte geſchickt in das Ge¬ biet des allgemeinen Unglaubens ein, dabei ſofort einer vollen Zuſtimmung begegnend. Ja, die Domina ging

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/113>, abgerufen am 22.11.2024.