Fontane, Theodor: Von vor und nach der Reise. 2. Aufl. Berlin, 1894.Der moderne Mensch, angestrengter wie er wird, bedarf auch größerer Erholung. Findet er sie? Findet er das erhoffte Glück? Ja und nein, je nachdem wir das eine oder andere unter reisen verstehen. Heißt reisen "einen Sommeraufenthalt nehmen," so ist das Glück nicht nur möglich, sondern bei leidlich normaler Charakterbeschaffenheit sogar wahrscheinlich; heißt reisen aber "dauernde Fortbewegung", will sagen beständiger Wechsel von Eisenbahnen und Hotels, woran sich Bergerkletterungen und ähnliches blos anschließen, so muß man es gut treffen oder sehr bescheiden und sehr geduldig sein, um von seiner Reise das zu haben, was man wünscht: Freude, Glück. In der That, es dreht sich alles um den Gegensatz von Sommerfrischler und Sommerreisenden. Betrachten wir zunächst den Sommerfrischler, den Repräsentanten der guten Reiseseite. Der kleine Beamte, der Oberlehrer, der Stadtrichter, der Archidiakonus, die sich in ein eben entdecktes Dünendorf begeben, wo ihnen gelegentlich die Aufgabe zufällt, den allerursprünglichsten Strandhafer abzuwohnen, diese alle können, wenn sie mit Sack und Pack und ausgerüstet wie eine Auswandererfamilie in ihrer Fischerhütte einziehn, unter Segeltuch und ausgespannten Netzen ein höchst glückliches Dasein Der moderne Mensch, angestrengter wie er wird, bedarf auch größerer Erholung. Findet er sie? Findet er das erhoffte Glück? Ja und nein, je nachdem wir das eine oder andere unter reisen verstehen. Heißt reisen „einen Sommeraufenthalt nehmen,“ so ist das Glück nicht nur möglich, sondern bei leidlich normaler Charakterbeschaffenheit sogar wahrscheinlich; heißt reisen aber „dauernde Fortbewegung“, will sagen beständiger Wechsel von Eisenbahnen und Hotels, woran sich Bergerkletterungen und ähnliches blos anschließen, so muß man es gut treffen oder sehr bescheiden und sehr geduldig sein, um von seiner Reise das zu haben, was man wünscht: Freude, Glück. In der That, es dreht sich alles um den Gegensatz von Sommerfrischler und Sommerreisenden. Betrachten wir zunächst den Sommerfrischler, den Repräsentanten der guten Reiseseite. Der kleine Beamte, der Oberlehrer, der Stadtrichter, der Archidiakonus, die sich in ein eben entdecktes Dünendorf begeben, wo ihnen gelegentlich die Aufgabe zufällt, den allerursprünglichsten Strandhafer abzuwohnen, diese alle können, wenn sie mit Sack und Pack und ausgerüstet wie eine Auswandererfamilie in ihrer Fischerhütte einziehn, unter Segeltuch und ausgespannten Netzen ein höchst glückliches Dasein <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0007" n="5"/> Der moderne Mensch, angestrengter wie er wird, bedarf auch größerer Erholung. <hi rendition="#g">Findet er sie</hi>? Findet er das erhoffte Glück?</p><lb/> <p>Ja und nein, je nachdem wir das eine oder andere unter reisen verstehen. Heißt reisen „einen Sommer<hi rendition="#g">aufenthalt</hi> nehmen,“ so ist das Glück nicht nur möglich, sondern bei leidlich normaler Charakterbeschaffenheit sogar wahrscheinlich; heißt reisen aber „dauernde Fortbewegung“, will sagen beständiger Wechsel von Eisenbahnen und Hotels, woran sich Bergerkletterungen und ähnliches blos anschließen, so muß man es gut treffen oder sehr bescheiden und sehr geduldig sein, um von seiner Reise <hi rendition="#g">das</hi> zu haben, was man wünscht: Freude, Glück.</p><lb/> <p>In der That, es dreht sich alles um den Gegensatz von Sommer<hi rendition="#g">frischler</hi> und Sommer<hi rendition="#g">reisenden.</hi> </p><lb/> <p>Betrachten wir zunächst den Sommerfrischler, den Repräsentanten der guten Reiseseite.</p><lb/> <p>Der kleine Beamte, der Oberlehrer, der Stadtrichter, der Archidiakonus, die sich in ein eben entdecktes Dünendorf begeben, wo ihnen gelegentlich die Aufgabe zufällt, den allerursprünglichsten Strandhafer abzuwohnen, diese alle können, wenn sie mit Sack und Pack und ausgerüstet wie eine Auswandererfamilie in ihrer Fischerhütte einziehn, unter Segeltuch und ausgespannten Netzen ein höchst glückliches Dasein </p> </div> </body> </text> </TEI> [5/0007]
Der moderne Mensch, angestrengter wie er wird, bedarf auch größerer Erholung. Findet er sie? Findet er das erhoffte Glück?
Ja und nein, je nachdem wir das eine oder andere unter reisen verstehen. Heißt reisen „einen Sommeraufenthalt nehmen,“ so ist das Glück nicht nur möglich, sondern bei leidlich normaler Charakterbeschaffenheit sogar wahrscheinlich; heißt reisen aber „dauernde Fortbewegung“, will sagen beständiger Wechsel von Eisenbahnen und Hotels, woran sich Bergerkletterungen und ähnliches blos anschließen, so muß man es gut treffen oder sehr bescheiden und sehr geduldig sein, um von seiner Reise das zu haben, was man wünscht: Freude, Glück.
In der That, es dreht sich alles um den Gegensatz von Sommerfrischler und Sommerreisenden.
Betrachten wir zunächst den Sommerfrischler, den Repräsentanten der guten Reiseseite.
Der kleine Beamte, der Oberlehrer, der Stadtrichter, der Archidiakonus, die sich in ein eben entdecktes Dünendorf begeben, wo ihnen gelegentlich die Aufgabe zufällt, den allerursprünglichsten Strandhafer abzuwohnen, diese alle können, wenn sie mit Sack und Pack und ausgerüstet wie eine Auswandererfamilie in ihrer Fischerhütte einziehn, unter Segeltuch und ausgespannten Netzen ein höchst glückliches Dasein
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Zitationshilfe: | Fontane, Theodor: Von vor und nach der Reise. 2. Aufl. Berlin, 1894, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_reise_1894/7>, abgerufen am 16.02.2025. |