Fontane, Theodor: Von vor und nach der Reise. 2. Aufl. Berlin, 1894.die Thür rasch aufgerissen und ein Herr sprang herein, ohne daß sich ein Schaffner oder Eisenbahnbeamter gezeigt hätte. Fast im selben Augenblick erlosch das in der Mitte des Wagens hängende Lämpchen, und ich sah nur noch die brennende Cigarre meines Mitreisenden und das Glühen seiner Augen. So wenigstens schien es mir." "Und?" "Daß ich's Ihnen gestehe, ich ängstigte mich nicht wenig. Es war dasselbe Jahr, wo der in London lebende deutsche Schneidergeselle Franz Müller, unter Ausnutzung einer sehr verwandten Coupe-Situation, einen stattlichen rotblonden Engländer seiner Uhr und Kette, ja sogar seiner goldenen Brille beraubt und nach einem verzweifelten Kampfe und unter Oeffnung der Wagenthür schließlich auf die Schienen gestürzt hatte. Keine vier Wochen, daß ich in dem Studium des Prozesses ganz aufgegangen war. Und nun war ich vielleicht selber der rotblonde Engländer mit der Uhr und der Goldbrille. Daß ich umgekehrt der andere nicht war, wußt' ich nur zu gut." "Erzählen Sie mir dies alles," bemerkte die Dame, "um sich angenehm bei mir einzuführen? Oder wohl gar zu meiner Beruhigung?" "In gewissem Sinne, ja. Wenn ich etwas Franz Müllersches an mir hätte, würd' ich ein so die Thür rasch aufgerissen und ein Herr sprang herein, ohne daß sich ein Schaffner oder Eisenbahnbeamter gezeigt hätte. Fast im selben Augenblick erlosch das in der Mitte des Wagens hängende Lämpchen, und ich sah nur noch die brennende Cigarre meines Mitreisenden und das Glühen seiner Augen. So wenigstens schien es mir.“ „Und?“ „Daß ich’s Ihnen gestehe, ich ängstigte mich nicht wenig. Es war dasselbe Jahr, wo der in London lebende deutsche Schneidergeselle Franz Müller, unter Ausnutzung einer sehr verwandten Coupé-Situation, einen stattlichen rotblonden Engländer seiner Uhr und Kette, ja sogar seiner goldenen Brille beraubt und nach einem verzweifelten Kampfe und unter Oeffnung der Wagenthür schließlich auf die Schienen gestürzt hatte. Keine vier Wochen, daß ich in dem Studium des Prozesses ganz aufgegangen war. Und nun war ich vielleicht selber der rotblonde Engländer mit der Uhr und der Goldbrille. Daß ich umgekehrt der andere nicht war, wußt’ ich nur zu gut.“ „Erzählen Sie mir dies alles,“ bemerkte die Dame, „um sich angenehm bei mir einzuführen? Oder wohl gar zu meiner Beruhigung?“ „In gewissem Sinne, ja. Wenn ich etwas Franz Müllersches an mir hätte, würd’ ich ein so <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0044" n="42"/> die Thür rasch aufgerissen und ein Herr sprang herein, ohne daß sich ein Schaffner oder Eisenbahnbeamter gezeigt hätte. Fast im selben Augenblick erlosch das in der Mitte des Wagens hängende Lämpchen, und ich sah nur noch die brennende Cigarre meines Mitreisenden und das Glühen seiner Augen. So wenigstens schien es mir.“</p><lb/> <p>„Und?“</p><lb/> <p>„Daß ich’s Ihnen gestehe, ich ängstigte mich nicht wenig. Es war dasselbe Jahr, wo der in London lebende deutsche Schneidergeselle Franz Müller, unter Ausnutzung einer sehr verwandten Coupé-Situation, einen stattlichen rotblonden Engländer seiner Uhr und Kette, ja sogar seiner goldenen Brille beraubt und nach einem verzweifelten Kampfe und unter Oeffnung der Wagenthür schließlich auf die Schienen gestürzt hatte. Keine vier Wochen, daß ich in dem Studium des Prozesses ganz aufgegangen war. Und nun war ich vielleicht selber der rotblonde Engländer mit der Uhr und der Goldbrille. Daß ich umgekehrt der andere nicht war, wußt’ ich nur zu gut.“</p><lb/> <p>„Erzählen Sie mir dies alles,“ bemerkte die Dame, „um sich angenehm bei mir einzuführen? Oder wohl gar zu meiner Beruhigung?“</p><lb/> <p>„In gewissem Sinne, ja. Wenn ich etwas Franz Müllersches an mir hätte, würd’ ich ein so </p> </div> </body> </text> </TEI> [42/0044]
die Thür rasch aufgerissen und ein Herr sprang herein, ohne daß sich ein Schaffner oder Eisenbahnbeamter gezeigt hätte. Fast im selben Augenblick erlosch das in der Mitte des Wagens hängende Lämpchen, und ich sah nur noch die brennende Cigarre meines Mitreisenden und das Glühen seiner Augen. So wenigstens schien es mir.“
„Und?“
„Daß ich’s Ihnen gestehe, ich ängstigte mich nicht wenig. Es war dasselbe Jahr, wo der in London lebende deutsche Schneidergeselle Franz Müller, unter Ausnutzung einer sehr verwandten Coupé-Situation, einen stattlichen rotblonden Engländer seiner Uhr und Kette, ja sogar seiner goldenen Brille beraubt und nach einem verzweifelten Kampfe und unter Oeffnung der Wagenthür schließlich auf die Schienen gestürzt hatte. Keine vier Wochen, daß ich in dem Studium des Prozesses ganz aufgegangen war. Und nun war ich vielleicht selber der rotblonde Engländer mit der Uhr und der Goldbrille. Daß ich umgekehrt der andere nicht war, wußt’ ich nur zu gut.“
„Erzählen Sie mir dies alles,“ bemerkte die Dame, „um sich angenehm bei mir einzuführen? Oder wohl gar zu meiner Beruhigung?“
„In gewissem Sinne, ja. Wenn ich etwas Franz Müllersches an mir hätte, würd’ ich ein so
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Zitationshilfe: | Fontane, Theodor: Von vor und nach der Reise. 2. Aufl. Berlin, 1894, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_reise_1894/44>, abgerufen am 04.07.2024. |