Fontane, Theodor: Von vor und nach der Reise. 2. Aufl. Berlin, 1894.kehr aus dem Thüringischen in die Manövertage gefallen war, wo schon um fünf Uhr ein endloses Trommeln und Pfeifen das ganze Stadtquartier aus dem Schlafe rüttelte, so war er nicht blos in der angenehmen Lage rasch und mühelos aufstehen, sondern auch den abziehenden Bataillonen eine Stunde lang folgen zu können. Aber kaum daß die Manövertage vorüber und die fremdherrlichen Offiziere wieder abgereist waren, um daheim ihrer hier geäußerten Bewunderung einige kritische Bemerkungen anfügen zu können, als auch schon das Kaiser Wilhelms-Wetter umschlug und eine Regen-Saison einsetzte. Die Rätin, so sehr sie sonst auf helle Tage hielt, hatte diesem Wechsel, als dem einfachsten und natürlichsten Mittel zur Wiederherstellung eines status quo ante sehnsüchtig entgegengesehen, aber freilich nur um nachträglich einer allerempfindlichsten Täuschung zu begegnen. Wie die meisten Frauen, hatte sie zwanzig Jahre lang an ihres Mannes Seite gelebt, ohne von seiner Eigenart auch nur annähernd eine richtige Vorstellung gewonnen zu haben. Er war eben ein Charakter. Und dessen sollte sie jetzt gewahr werden. "Es regnet heute, lieber Hermann. Ich will Dich nicht zurückhalten. Aber Du solltest wenigstens ..." kehr aus dem Thüringischen in die Manövertage gefallen war, wo schon um fünf Uhr ein endloses Trommeln und Pfeifen das ganze Stadtquartier aus dem Schlafe rüttelte, so war er nicht blos in der angenehmen Lage rasch und mühelos aufstehen, sondern auch den abziehenden Bataillonen eine Stunde lang folgen zu können. Aber kaum daß die Manövertage vorüber und die fremdherrlichen Offiziere wieder abgereist waren, um daheim ihrer hier geäußerten Bewunderung einige kritische Bemerkungen anfügen zu können, als auch schon das Kaiser Wilhelms-Wetter umschlug und eine Regen-Saison einsetzte. Die Rätin, so sehr sie sonst auf helle Tage hielt, hatte diesem Wechsel, als dem einfachsten und natürlichsten Mittel zur Wiederherstellung eines status quo ante sehnsüchtig entgegengesehen, aber freilich nur um nachträglich einer allerempfindlichsten Täuschung zu begegnen. Wie die meisten Frauen, hatte sie zwanzig Jahre lang an ihres Mannes Seite gelebt, ohne von seiner Eigenart auch nur annähernd eine richtige Vorstellung gewonnen zu haben. Er war eben ein Charakter. Und dessen sollte sie jetzt gewahr werden. „Es regnet heute, lieber Hermann. Ich will Dich nicht zurückhalten. Aber Du solltest wenigstens …“ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0031" n="29"/> kehr aus dem Thüringischen in die Manövertage gefallen war, wo schon um fünf Uhr ein endloses Trommeln und Pfeifen das ganze Stadtquartier aus dem Schlafe rüttelte, so war er nicht blos in der angenehmen Lage rasch und mühelos aufstehen, sondern auch den abziehenden Bataillonen eine Stunde lang folgen zu können.</p><lb/> <p>Aber kaum daß die Manövertage vorüber und die fremdherrlichen Offiziere wieder abgereist waren, um daheim ihrer hier geäußerten Bewunderung einige kritische Bemerkungen anfügen zu können, als auch schon das Kaiser Wilhelms-Wetter umschlug und eine Regen-Saison einsetzte.</p><lb/> <p>Die Rätin, so sehr sie sonst auf helle Tage hielt, hatte diesem Wechsel, als dem einfachsten und natürlichsten Mittel zur Wiederherstellung eines status quo ante sehnsüchtig entgegengesehen, aber freilich nur um nachträglich einer allerempfindlichsten Täuschung zu begegnen. Wie die meisten Frauen, hatte sie zwanzig Jahre lang an ihres Mannes Seite gelebt, ohne von seiner Eigenart auch nur annähernd eine richtige Vorstellung gewonnen zu haben. Er war eben ein Charakter. Und dessen sollte sie jetzt gewahr werden.</p><lb/> <p>„Es regnet heute, lieber Hermann. Ich will Dich nicht zurückhalten. Aber <choice><sic>Dn</sic><corr>Du</corr></choice> solltest wenigstens …“</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [29/0031]
kehr aus dem Thüringischen in die Manövertage gefallen war, wo schon um fünf Uhr ein endloses Trommeln und Pfeifen das ganze Stadtquartier aus dem Schlafe rüttelte, so war er nicht blos in der angenehmen Lage rasch und mühelos aufstehen, sondern auch den abziehenden Bataillonen eine Stunde lang folgen zu können.
Aber kaum daß die Manövertage vorüber und die fremdherrlichen Offiziere wieder abgereist waren, um daheim ihrer hier geäußerten Bewunderung einige kritische Bemerkungen anfügen zu können, als auch schon das Kaiser Wilhelms-Wetter umschlug und eine Regen-Saison einsetzte.
Die Rätin, so sehr sie sonst auf helle Tage hielt, hatte diesem Wechsel, als dem einfachsten und natürlichsten Mittel zur Wiederherstellung eines status quo ante sehnsüchtig entgegengesehen, aber freilich nur um nachträglich einer allerempfindlichsten Täuschung zu begegnen. Wie die meisten Frauen, hatte sie zwanzig Jahre lang an ihres Mannes Seite gelebt, ohne von seiner Eigenart auch nur annähernd eine richtige Vorstellung gewonnen zu haben. Er war eben ein Charakter. Und dessen sollte sie jetzt gewahr werden.
„Es regnet heute, lieber Hermann. Ich will Dich nicht zurückhalten. Aber Du solltest wenigstens …“
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_reise_1894 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_reise_1894/31 |
Zitationshilfe: | Fontane, Theodor: Von vor und nach der Reise. 2. Aufl. Berlin, 1894, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_reise_1894/31>, abgerufen am 02.03.2025. |