Fontane, Theodor: Von vor und nach der Reise. 2. Aufl. Berlin, 1894.Blatt ... Uebrigens ist der Schulrat Rönnekamp gestern gestorben, gestern abend." "Ist er? Schade. Thut mir leid. Und sehr alt kann er noch nicht gewesen sein. Er lief immer wie'n Wiesel, jeden Tag seine drei Stunden; ich bin ihm noch, eh' ich reiste, beim Neuen See begegnet. Aber das Rennen, so viel ich davon halte, es hilft auch nichts; wenn der Sand durch ist, ist er durch ... Und gestern abend erst, sagst Du ... Na, Kinder, heute werd' ich auch nicht alt; ich weiß nicht recht, woran es liegt, aber es ist so - im Gebirge war ich immer frisch, ordentlich ein bischen aufgeregt, natürlich nicht sehr, aber doch bemerkbar, und hier in Berlin bin ich gleich wieder matt und schlaff. Freilich, wo soll es auch herkommen! Ist denn noch Kunstausstellung?" "Ach, Papa die Kunstausstellung ist ja lange vorbei." "Na, das ist recht gut. Ohne Brille geht es nicht und mit Brille strengt es an. Und eigentlich versteht man doch nichts davon. Das heißt, ein bißchen versteht man schon. Weißt Du noch, wenn ich immer in Italien sagte: ,Judith, das hier, das ist 'was.' Und dann war es auch immer was." Blatt … Uebrigens ist der Schulrat Rönnekamp gestern gestorben, gestern abend.“ „Ist er? Schade. Thut mir leid. Und sehr alt kann er noch nicht gewesen sein. Er lief immer wie’n Wiesel, jeden Tag seine drei Stunden; ich bin ihm noch, eh’ ich reiste, beim Neuen See begegnet. Aber das Rennen, so viel ich davon halte, es hilft auch nichts; wenn der Sand durch ist, ist er durch … Und gestern abend erst, sagst Du … Na, Kinder, heute werd’ ich auch nicht alt; ich weiß nicht recht, woran es liegt, aber es ist so – im Gebirge war ich immer frisch, ordentlich ein bischen aufgeregt, natürlich nicht sehr, aber doch bemerkbar, und hier in Berlin bin ich gleich wieder matt und schlaff. Freilich, wo soll es auch herkommen! Ist denn noch Kunstausstellung?“ „Ach, Papa die Kunstausstellung ist ja lange vorbei.“ „Na, das ist recht gut. Ohne Brille geht es nicht und mit Brille strengt es an. Und eigentlich versteht man doch nichts davon. Das heißt, ein bißchen versteht man schon. Weißt Du noch, wenn ich immer in Italien sagte: ‚Judith, das hier, das ist ’was.‘ Und dann war es auch immer was.“ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0235" n="233"/> Blatt … Uebrigens ist der Schulrat Rönnekamp gestern gestorben, gestern abend.“</p><lb/> <p>„Ist er? Schade. Thut mir leid. Und sehr alt kann er noch nicht gewesen sein. Er lief immer wie’n Wiesel, jeden Tag seine drei Stunden; ich bin ihm noch, eh’ ich reiste, beim Neuen See begegnet. Aber das Rennen, so viel ich davon halte, es hilft auch nichts; wenn der Sand durch ist, ist er durch … Und gestern abend erst, sagst Du … Na, Kinder, heute werd’ ich auch nicht alt; ich weiß nicht recht, woran es liegt, aber es ist so – im Gebirge war ich immer frisch, ordentlich ein bischen aufgeregt, natürlich nicht sehr, aber doch bemerkbar, und hier in Berlin bin ich gleich wieder matt und schlaff. Freilich, wo soll es auch herkommen! Ist denn noch Kunstausstellung?“</p><lb/> <p>„Ach, Papa die Kunstausstellung ist ja lange vorbei.“</p><lb/> <p>„Na, das ist recht gut. Ohne Brille geht es nicht und mit Brille strengt es an. Und eigentlich versteht man doch nichts davon. Das heißt, ein bißchen versteht man schon. Weißt Du noch, wenn ich immer in Italien sagte: ‚Judith, das hier, das ist ’was.‘ Und dann war es auch immer was.“</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [233/0235]
Blatt … Uebrigens ist der Schulrat Rönnekamp gestern gestorben, gestern abend.“
„Ist er? Schade. Thut mir leid. Und sehr alt kann er noch nicht gewesen sein. Er lief immer wie’n Wiesel, jeden Tag seine drei Stunden; ich bin ihm noch, eh’ ich reiste, beim Neuen See begegnet. Aber das Rennen, so viel ich davon halte, es hilft auch nichts; wenn der Sand durch ist, ist er durch … Und gestern abend erst, sagst Du … Na, Kinder, heute werd’ ich auch nicht alt; ich weiß nicht recht, woran es liegt, aber es ist so – im Gebirge war ich immer frisch, ordentlich ein bischen aufgeregt, natürlich nicht sehr, aber doch bemerkbar, und hier in Berlin bin ich gleich wieder matt und schlaff. Freilich, wo soll es auch herkommen! Ist denn noch Kunstausstellung?“
„Ach, Papa die Kunstausstellung ist ja lange vorbei.“
„Na, das ist recht gut. Ohne Brille geht es nicht und mit Brille strengt es an. Und eigentlich versteht man doch nichts davon. Das heißt, ein bißchen versteht man schon. Weißt Du noch, wenn ich immer in Italien sagte: ‚Judith, das hier, das ist ’was.‘ Und dann war es auch immer was.“
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(2014-01-22T15:28:28Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Frederike Neuber, Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2014-01-22T15:28:28Z)
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2014-01-22T15:28:28Z)
Weitere Informationen:Theodor Fontane: Von vor und nach der Reise. Plaudereien und kleine Geschichten. Hrsg. von Walter Hettche und Gabriele Radecke. Berlin 2007 [= Große Brandenburger Ausgabe, Das erzählerische Werk, Bd. 19]: Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin). Anmerkungen zur Transkription:
Auslassungszeichen im Text werden einheitlich als U+2026 <…> (HORIZONTAL ELLIPSIS) wiedergegeben.
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