Fontane, Theodor: Von vor und nach der Reise. 2. Aufl. Berlin, 1894.Gegenteil. "Ein Innenvolk" sagte ich mir "feine, selbstbewußte Leute, die jede Schaustellung verschmähn. All die kleinen Künste, daran wir kranken, sind ihnen fremd geworden und in mehr als einer Hinsicht ein Ideal repräsentierend, veranschaulichen sie höchste Kultur mit höchster Natürlichkeit". Und in einem mir angebornen Generalisierungshange das Thema weiter ausspinnend, gestaltete sich mir der an Fenster und Balkon ausbleibende Chinese zu einem Hymnus auf sein Himmlisches Reich. Schließlich indeß, nachdem ich noch wie von ungefähr einen in einer Hofnische stehenden antiken Flötenspieler entdeckt hatte, war ich um die ganze Halbinsel herum und stand wieder vor dem Gitterstück mit dem Tulpenbaum dahinter. Aber die Scene daselbst hatte sich mittlerweile sehr geändert und während in Front der massiven Umfassungsmauern etliche Berliner Jungen Murmel spielten, sprangen, in geringem Abstande davon, einige kleine Mädchen über die Korde. Die älteste mochte elf Jahre sein. Jede Spur von Mandel- oder auch nur Schlitzäugigkeit war ausgeschlossen und das mutmaßlich seit frühester Jugend immer nur mit Spreewasser behandelte starre Haar fiel, in allen Farben schillernd, über eine fusslige Pelerine, während die Gesichtsfarbe griesig war und die Augen überäugig vorstanden. So Gegenteil. „Ein Innenvolk“ sagte ich mir „feine, selbstbewußte Leute, die jede Schaustellung verschmähn. All die kleinen Künste, daran wir kranken, sind ihnen fremd geworden und in mehr als einer Hinsicht ein Ideal repräsentierend, veranschaulichen sie höchste Kultur mit höchster Natürlichkeit“. Und in einem mir angebornen Generalisierungshange das Thema weiter ausspinnend, gestaltete sich mir der an Fenster und Balkon ausbleibende Chinese zu einem Hymnus auf sein Himmlisches Reich. Schließlich indeß, nachdem ich noch wie von ungefähr einen in einer Hofnische stehenden antiken Flötenspieler entdeckt hatte, war ich um die ganze Halbinsel herum und stand wieder vor dem Gitterstück mit dem Tulpenbaum dahinter. Aber die Scene daselbst hatte sich mittlerweile sehr geändert und während in Front der massiven Umfassungsmauern etliche Berliner Jungen Murmel spielten, sprangen, in geringem Abstande davon, einige kleine Mädchen über die Korde. Die älteste mochte elf Jahre sein. Jede Spur von Mandel- oder auch nur Schlitzäugigkeit war ausgeschlossen und das mutmaßlich seit frühester Jugend immer nur mit Spreewasser behandelte starre Haar fiel, in allen Farben schillernd, über eine fusslige Pelerine, während die Gesichtsfarbe griesig war und die Augen überäugig vorstanden. So <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0165" n="163"/> Gegenteil. „Ein Innenvolk“ sagte ich mir „feine, selbstbewußte Leute, die jede Schaustellung verschmähn. All die kleinen Künste, daran wir kranken, sind ihnen fremd geworden und in mehr als einer Hinsicht ein Ideal repräsentierend, veranschaulichen sie höchste Kultur mit höchster Natürlichkeit“. Und in einem mir angebornen Generalisierungshange das Thema weiter ausspinnend, gestaltete sich mir der an Fenster und Balkon ausbleibende Chinese zu einem Hymnus auf sein Himmlisches Reich.</p><lb/> <p>Schließlich indeß, nachdem ich noch wie von ungefähr einen in einer Hofnische stehenden antiken Flötenspieler entdeckt hatte, war ich um die ganze Halbinsel herum und stand wieder vor dem Gitterstück mit dem Tulpenbaum dahinter. Aber die Scene daselbst hatte sich mittlerweile sehr geändert und während in Front der massiven Umfassungsmauern etliche Berliner Jungen Murmel spielten, sprangen, in geringem Abstande davon, einige kleine Mädchen über die Korde. Die älteste mochte elf Jahre sein. Jede Spur von Mandel- oder auch nur Schlitzäugigkeit war ausgeschlossen und das mutmaßlich seit frühester Jugend immer nur mit Spreewasser behandelte starre Haar fiel, in allen Farben schillernd, über eine fusslige Pelerine, während die Gesichtsfarbe griesig war und die Augen überäugig vorstanden. So </p> </div> </body> </text> </TEI> [163/0165]
Gegenteil. „Ein Innenvolk“ sagte ich mir „feine, selbstbewußte Leute, die jede Schaustellung verschmähn. All die kleinen Künste, daran wir kranken, sind ihnen fremd geworden und in mehr als einer Hinsicht ein Ideal repräsentierend, veranschaulichen sie höchste Kultur mit höchster Natürlichkeit“. Und in einem mir angebornen Generalisierungshange das Thema weiter ausspinnend, gestaltete sich mir der an Fenster und Balkon ausbleibende Chinese zu einem Hymnus auf sein Himmlisches Reich.
Schließlich indeß, nachdem ich noch wie von ungefähr einen in einer Hofnische stehenden antiken Flötenspieler entdeckt hatte, war ich um die ganze Halbinsel herum und stand wieder vor dem Gitterstück mit dem Tulpenbaum dahinter. Aber die Scene daselbst hatte sich mittlerweile sehr geändert und während in Front der massiven Umfassungsmauern etliche Berliner Jungen Murmel spielten, sprangen, in geringem Abstande davon, einige kleine Mädchen über die Korde. Die älteste mochte elf Jahre sein. Jede Spur von Mandel- oder auch nur Schlitzäugigkeit war ausgeschlossen und das mutmaßlich seit frühester Jugend immer nur mit Spreewasser behandelte starre Haar fiel, in allen Farben schillernd, über eine fusslige Pelerine, während die Gesichtsfarbe griesig war und die Augen überäugig vorstanden. So
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(2014-01-22T15:28:28Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Frederike Neuber, Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2014-01-22T15:28:28Z)
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(2014-01-22T15:28:28Z)
Weitere Informationen:Theodor Fontane: Von vor und nach der Reise. Plaudereien und kleine Geschichten. Hrsg. von Walter Hettche und Gabriele Radecke. Berlin 2007 [= Große Brandenburger Ausgabe, Das erzählerische Werk, Bd. 19]: Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin). Anmerkungen zur Transkription:
Auslassungszeichen im Text werden einheitlich als U+2026 <…> (HORIZONTAL ELLIPSIS) wiedergegeben.
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