Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fontane, Theodor: Meine Kinderjahre. Berlin, 1894.

Bild:
<< vorherige Seite

Principe, "nur nicht weichlich." Ein Schlag zuviel konnte nie schaden und ergab sich, daß ich ihn eigentlich nicht verdient hatte, so galt er als Ausgleich für all die Dummheiten, die nur zufällig nicht zur Entdeckung gekommen waren. "Nur nicht weichlich." Dies ist gewiß ein sehr guter Grundsatz und ich mag ihn nicht tadeln, trotzdem er mir nichts geholfen und zu meiner Abhärtung nichts beigetragen hat; aber wie man sich auch dazu stellen möge, meine Mutter ging im Hartanfassen dann und wann etwas zu weit. Ich hatte lange blonde Locken, weniger zu meiner eigenen, als zu meiner Mutter Freude, denn um diese Locken in ihrer angeblichen Schönheit zu erhalten, wurde ich den andauerndsten und gelegentlich schmerzhaftesten Kämmproceduren unterworfen, dem Kämmen mit dem sogenannten engen Kamm. Wäre ich damals aufgefordert worden mittelalterliche Marterwerkzeuge zu nennen, so hätte der "enge Kamm" mit obenan gestanden. Eh nicht Blut kam, eh war die Sache nicht vorbei; andren Tages wurde die kaum geheilte Stelle wieder mit verdächtigem Auge angesehn und so folgte der einen Quälerei die andre. Freilich, wenn ich, was möglich, es dieser Procedur verdanken sollte, daß ich immer noch einen bescheidenen Bestand von Haar habe, so habe ich nicht umsonst gelitten

Principe, „nur nicht weichlich.“ Ein Schlag zuviel konnte nie schaden und ergab sich, daß ich ihn eigentlich nicht verdient hatte, so galt er als Ausgleich für all die Dummheiten, die nur zufällig nicht zur Entdeckung gekommen waren. „Nur nicht weichlich.“ Dies ist gewiß ein sehr guter Grundsatz und ich mag ihn nicht tadeln, trotzdem er mir nichts geholfen und zu meiner Abhärtung nichts beigetragen hat; aber wie man sich auch dazu stellen möge, meine Mutter ging im Hartanfassen dann und wann etwas zu weit. Ich hatte lange blonde Locken, weniger zu meiner eigenen, als zu meiner Mutter Freude, denn um diese Locken in ihrer angeblichen Schönheit zu erhalten, wurde ich den andauerndsten und gelegentlich schmerzhaftesten Kämmproceduren unterworfen, dem Kämmen mit dem sogenannten engen Kamm. Wäre ich damals aufgefordert worden mittelalterliche Marterwerkzeuge zu nennen, so hätte der „enge Kamm“ mit obenan gestanden. Eh nicht Blut kam, eh war die Sache nicht vorbei; andren Tages wurde die kaum geheilte Stelle wieder mit verdächtigem Auge angesehn und so folgte der einen Quälerei die andre. Freilich, wenn ich, was möglich, es dieser Procedur verdanken sollte, daß ich immer noch einen bescheidenen Bestand von Haar habe, so habe ich nicht umsonst gelitten

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0037" n="29"/>
Principe, &#x201E;nur nicht weichlich.&#x201C; Ein Schlag zuviel konnte nie schaden und ergab sich, daß ich ihn eigentlich nicht verdient hatte, so galt er als Ausgleich für all die Dummheiten, die nur zufällig nicht zur Entdeckung gekommen waren. &#x201E;Nur nicht weichlich.&#x201C; Dies ist gewiß ein sehr guter Grundsatz und ich mag ihn nicht tadeln, trotzdem er mir nichts geholfen und zu meiner Abhärtung nichts beigetragen hat; aber wie man sich auch dazu stellen möge, meine Mutter ging im Hartanfassen dann und wann etwas zu weit. Ich hatte lange blonde Locken, weniger zu meiner eigenen, als zu meiner Mutter Freude, denn um diese Locken in ihrer angeblichen Schönheit zu erhalten, wurde ich den andauerndsten und gelegentlich schmerzhaftesten Kämmproceduren unterworfen, dem Kämmen mit dem sogenannten engen Kamm. Wäre ich damals aufgefordert worden mittelalterliche Marterwerkzeuge zu nennen, so hätte der &#x201E;enge Kamm&#x201C; mit obenan gestanden. Eh nicht Blut kam, eh war die Sache nicht vorbei; andren Tages wurde die kaum geheilte Stelle wieder mit verdächtigem Auge angesehn und so folgte der einen Quälerei die andre. Freilich, wenn ich, was möglich, es dieser Procedur verdanken sollte, daß ich immer noch einen bescheidenen Bestand von Haar habe, so habe ich nicht umsonst gelitten
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[29/0037] Principe, „nur nicht weichlich.“ Ein Schlag zuviel konnte nie schaden und ergab sich, daß ich ihn eigentlich nicht verdient hatte, so galt er als Ausgleich für all die Dummheiten, die nur zufällig nicht zur Entdeckung gekommen waren. „Nur nicht weichlich.“ Dies ist gewiß ein sehr guter Grundsatz und ich mag ihn nicht tadeln, trotzdem er mir nichts geholfen und zu meiner Abhärtung nichts beigetragen hat; aber wie man sich auch dazu stellen möge, meine Mutter ging im Hartanfassen dann und wann etwas zu weit. Ich hatte lange blonde Locken, weniger zu meiner eigenen, als zu meiner Mutter Freude, denn um diese Locken in ihrer angeblichen Schönheit zu erhalten, wurde ich den andauerndsten und gelegentlich schmerzhaftesten Kämmproceduren unterworfen, dem Kämmen mit dem sogenannten engen Kamm. Wäre ich damals aufgefordert worden mittelalterliche Marterwerkzeuge zu nennen, so hätte der „enge Kamm“ mit obenan gestanden. Eh nicht Blut kam, eh war die Sache nicht vorbei; andren Tages wurde die kaum geheilte Stelle wieder mit verdächtigem Auge angesehn und so folgte der einen Quälerei die andre. Freilich, wenn ich, was möglich, es dieser Procedur verdanken sollte, daß ich immer noch einen bescheidenen Bestand von Haar habe, so habe ich nicht umsonst gelitten

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2013-01-21T13:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Digitale Drucke der Uni Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-01-21T13:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2013-01-21T13:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien.
  • Worttrennungen am Zeilenende werden ignoriert. Das Wort wird noch auf der gleichen Seite vervollständigt.
  • Die Transkription folgt im Übrigen dem Original.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_kinderjahre_1894
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_kinderjahre_1894/37
Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Meine Kinderjahre. Berlin, 1894, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_kinderjahre_1894/37>, abgerufen am 24.11.2024.