Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fontane, Theodor: Irrungen, Wirrungen. Leipzig, 1888.

Bild:
<< vorherige Seite

das ganze Vaterunser steht. Alles blos durch die
Loupe zu sehen."

"Und so sprecht Ihr!"

"Ganz so, mein Schatz. Und wenn ich mit
meiner Nachbarin zur Linken, also mit Komtesse
Lene fertig bin, so wend' ich mich zu meiner Nach¬
barin zur Rechten, also zu Frau Baronin Dörr. . ."

Die Dörr schlug vor Entzücken mit der Hand
aufs Knie, daß es einen lauten Puff gab ...

"Zu Frau Baronin Dörr also. Und spreche
nun worüber? Nun, sagen wir über Morcheln."

"Aber mein Gott, Morcheln. Ueber Morcheln,
Herr Baron, das geht doch nicht."

"O warum nicht, warum soll es nicht gehen,
liebe Frau Dörr? Das ist ein sehr ernstes und
lehrreiches Gespräch und hat für manche mehr Be¬
deutung, als Sie glauben. Ich besuchte mal einen
Freund in Polen, Regiments- und Kriegskameraden,
der ein großes Schloß bewohnte, roth und mit zwei
dicken Thürmen, und so furchtbar alt, wie's eigent¬
lich gar nicht mehr vorkommt. Und das letzte Zimmer
war sein Wohnzimmer; denn er war unverheirathet,
weil er ein Weiberfeind war . . ."

"Ist es möglich?"

"Und überall waren morsche, durchgetretene Dielen
und immer, wo ein paar Dielen fehlten, da war

das ganze Vaterunſer ſteht. Alles blos durch die
Loupe zu ſehen.“

„Und ſo ſprecht Ihr!“

„Ganz ſo, mein Schatz. Und wenn ich mit
meiner Nachbarin zur Linken, alſo mit Komteſſe
Lene fertig bin, ſo wend' ich mich zu meiner Nach¬
barin zur Rechten, alſo zu Frau Baronin Dörr. . .“

Die Dörr ſchlug vor Entzücken mit der Hand
aufs Knie, daß es einen lauten Puff gab ...

„Zu Frau Baronin Dörr alſo. Und ſpreche
nun worüber? Nun, ſagen wir über Morcheln.“

„Aber mein Gott, Morcheln. Ueber Morcheln,
Herr Baron, das geht doch nicht.“

„O warum nicht, warum ſoll es nicht gehen,
liebe Frau Dörr? Das iſt ein ſehr ernſtes und
lehrreiches Geſpräch und hat für manche mehr Be¬
deutung, als Sie glauben. Ich beſuchte mal einen
Freund in Polen, Regiments- und Kriegskameraden,
der ein großes Schloß bewohnte, roth und mit zwei
dicken Thürmen, und ſo furchtbar alt, wie's eigent¬
lich gar nicht mehr vorkommt. Und das letzte Zimmer
war ſein Wohnzimmer; denn er war unverheirathet,
weil er ein Weiberfeind war . . .“

„Iſt es möglich?“

„Und überall waren morſche, durchgetretene Dielen
und immer, wo ein paar Dielen fehlten, da war

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0046" n="36"/>
das ganze Vaterun&#x017F;er &#x017F;teht. Alles blos durch die<lb/>
Loupe zu &#x017F;ehen.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Und &#x017F;o &#x017F;precht Ihr!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ganz &#x017F;o, mein Schatz. Und wenn ich mit<lb/>
meiner Nachbarin zur Linken, al&#x017F;o mit Komte&#x017F;&#x017F;e<lb/>
Lene fertig bin, &#x017F;o wend' ich mich zu meiner Nach¬<lb/>
barin zur Rechten, al&#x017F;o zu Frau Baronin Dörr. . .&#x201C;</p><lb/>
        <p>Die Dörr &#x017F;chlug vor Entzücken mit der Hand<lb/>
aufs Knie, daß es einen lauten Puff gab ...</p><lb/>
        <p>&#x201E;Zu Frau Baronin Dörr al&#x017F;o. Und &#x017F;preche<lb/>
nun worüber? Nun, &#x017F;agen wir über Morcheln.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Aber mein Gott, Morcheln. Ueber Morcheln,<lb/>
Herr Baron, das geht doch nicht.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;O warum nicht, warum &#x017F;oll es nicht gehen,<lb/>
liebe Frau Dörr? Das i&#x017F;t ein &#x017F;ehr ern&#x017F;tes und<lb/>
lehrreiches Ge&#x017F;präch und hat für manche mehr Be¬<lb/>
deutung, als Sie glauben. Ich be&#x017F;uchte mal einen<lb/>
Freund in Polen, Regiments- und Kriegskameraden,<lb/>
der ein großes Schloß bewohnte, roth und mit zwei<lb/>
dicken Thürmen, und &#x017F;o furchtbar alt, wie's eigent¬<lb/>
lich gar nicht mehr vorkommt. Und das letzte Zimmer<lb/>
war &#x017F;ein Wohnzimmer; denn er war unverheirathet,<lb/>
weil er ein Weiberfeind war . . .&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;I&#x017F;t es möglich?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Und überall waren mor&#x017F;che, durchgetretene Dielen<lb/>
und immer, wo ein paar Dielen fehlten, da war<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[36/0046] das ganze Vaterunſer ſteht. Alles blos durch die Loupe zu ſehen.“ „Und ſo ſprecht Ihr!“ „Ganz ſo, mein Schatz. Und wenn ich mit meiner Nachbarin zur Linken, alſo mit Komteſſe Lene fertig bin, ſo wend' ich mich zu meiner Nach¬ barin zur Rechten, alſo zu Frau Baronin Dörr. . .“ Die Dörr ſchlug vor Entzücken mit der Hand aufs Knie, daß es einen lauten Puff gab ... „Zu Frau Baronin Dörr alſo. Und ſpreche nun worüber? Nun, ſagen wir über Morcheln.“ „Aber mein Gott, Morcheln. Ueber Morcheln, Herr Baron, das geht doch nicht.“ „O warum nicht, warum ſoll es nicht gehen, liebe Frau Dörr? Das iſt ein ſehr ernſtes und lehrreiches Geſpräch und hat für manche mehr Be¬ deutung, als Sie glauben. Ich beſuchte mal einen Freund in Polen, Regiments- und Kriegskameraden, der ein großes Schloß bewohnte, roth und mit zwei dicken Thürmen, und ſo furchtbar alt, wie's eigent¬ lich gar nicht mehr vorkommt. Und das letzte Zimmer war ſein Wohnzimmer; denn er war unverheirathet, weil er ein Weiberfeind war . . .“ „Iſt es möglich?“ „Und überall waren morſche, durchgetretene Dielen und immer, wo ein paar Dielen fehlten, da war

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_irrungen_1888
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_irrungen_1888/46
Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Irrungen, Wirrungen. Leipzig, 1888, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_irrungen_1888/46>, abgerufen am 21.11.2024.