schöne Sachen, aber Unschuld und Tugend sind wie Bismarck und Moltke, das heißt rar. Ich habe mich ganz in Anschauungen wie diese hineingelebt, halte sie für richtig und habe vor, danach zu han¬ deln so weit es geht. Und nun hören Sie, Rienäcker. Ritten wir hier statt an diesem lang¬ weiligen Kanal, so langweilig und strippengerade wie die Formen und Formeln unsrer Gesellschaft, ich sage, ritten wir hier statt an diesem elenden Graben am Sacramento hin und hätten wir statt der Tegeler Schießstände die Diggings vor uns, so würd' ich die Jette freiweg heirathen; ich kann ohne sie nicht leben, sie hat es mir angethan und ihre Natürlichkeit, Schlichtheit und wirkliche Liebe wiegen mir zehn Komtessen auf. Aber es geht nicht. Ich kann es meinen Eltern nicht anthun und mag auch nicht mit 27 aus dem Dienst heraus, um in Texas Cowboy zu werden oder Kellner auf einem Mississippi-Dampfer. Also Mittelkurs. . ."
"Was verstehen Sie darunter?"
"Einigung ohne Sanktion."
"Also Ehe ohne Ehe."
"Wenn Sie wollen, ja. Mir liegt nichts am Wort, ebenso wenig wie an Legalisirung, Sakra¬ mentirung, oder wie sonst noch diese Dinge heißen mögen; ich bin etwas nihilistisch angeflogen und habe keinen rechten Glauben an pastorale Heilig¬
17*
ſchöne Sachen, aber Unſchuld und Tugend ſind wie Bismarck und Moltke, das heißt rar. Ich habe mich ganz in Anſchauungen wie dieſe hineingelebt, halte ſie für richtig und habe vor, danach zu han¬ deln ſo weit es geht. Und nun hören Sie, Rienäcker. Ritten wir hier ſtatt an dieſem lang¬ weiligen Kanal, ſo langweilig und ſtrippengerade wie die Formen und Formeln unſrer Geſellſchaft, ich ſage, ritten wir hier ſtatt an dieſem elenden Graben am Sacramento hin und hätten wir ſtatt der Tegeler Schießſtände die Diggings vor uns, ſo würd' ich die Jette freiweg heirathen; ich kann ohne ſie nicht leben, ſie hat es mir angethan und ihre Natürlichkeit, Schlichtheit und wirkliche Liebe wiegen mir zehn Komteſſen auf. Aber es geht nicht. Ich kann es meinen Eltern nicht anthun und mag auch nicht mit 27 aus dem Dienſt heraus, um in Texas Cowboy zu werden oder Kellner auf einem Miſſiſſippi-Dampfer. Alſo Mittelkurs. . .“
„Was verſtehen Sie darunter?“
„Einigung ohne Sanktion.“
„Alſo Ehe ohne Ehe.“
„Wenn Sie wollen, ja. Mir liegt nichts am Wort, ebenſo wenig wie an Legaliſirung, Sakra¬ mentirung, oder wie ſonſt noch dieſe Dinge heißen mögen; ich bin etwas nihiliſtiſch angeflogen und habe keinen rechten Glauben an paſtorale Heilig¬
17*
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0269"n="259"/>ſchöne Sachen, aber Unſchuld und Tugend ſind wie<lb/>
Bismarck und Moltke, das heißt rar. Ich habe<lb/>
mich ganz in Anſchauungen wie dieſe hineingelebt,<lb/>
halte ſie für richtig und habe vor, danach zu han¬<lb/>
deln ſo weit es geht. Und nun hören Sie,<lb/>
Rienäcker. Ritten wir hier ſtatt an dieſem lang¬<lb/>
weiligen Kanal, ſo langweilig und ſtrippengerade<lb/>
wie die Formen und Formeln unſrer Geſellſchaft,<lb/>
ich ſage, ritten wir hier ſtatt an dieſem elenden<lb/>
Graben am Sacramento hin und hätten wir ſtatt<lb/>
der Tegeler Schießſtände die Diggings vor uns, ſo<lb/>
würd' ich die Jette freiweg heirathen; ich kann<lb/>
ohne ſie nicht leben, ſie hat es mir angethan und<lb/>
ihre Natürlichkeit, Schlichtheit und wirkliche Liebe<lb/>
wiegen mir zehn Komteſſen auf. Aber es geht nicht.<lb/>
Ich kann es meinen Eltern nicht anthun und mag<lb/>
auch nicht mit 27 aus dem Dienſt heraus, um in<lb/>
Texas Cowboy zu werden oder Kellner auf einem<lb/>
Miſſiſſippi-Dampfer. Alſo Mittelkurs. . .“</p><lb/><p>„Was verſtehen Sie darunter?“</p><lb/><p>„Einigung ohne Sanktion.“</p><lb/><p>„Alſo Ehe ohne Ehe.“</p><lb/><p>„Wenn Sie wollen, ja. Mir liegt nichts am<lb/>
Wort, ebenſo wenig wie an Legaliſirung, Sakra¬<lb/>
mentirung, oder wie ſonſt noch dieſe Dinge heißen<lb/>
mögen; ich bin etwas nihiliſtiſch angeflogen und<lb/>
habe keinen rechten Glauben an paſtorale Heilig¬<lb/><fwplace="bottom"type="sig">17*<lb/></fw></p></div></body></text></TEI>
[259/0269]
ſchöne Sachen, aber Unſchuld und Tugend ſind wie
Bismarck und Moltke, das heißt rar. Ich habe
mich ganz in Anſchauungen wie dieſe hineingelebt,
halte ſie für richtig und habe vor, danach zu han¬
deln ſo weit es geht. Und nun hören Sie,
Rienäcker. Ritten wir hier ſtatt an dieſem lang¬
weiligen Kanal, ſo langweilig und ſtrippengerade
wie die Formen und Formeln unſrer Geſellſchaft,
ich ſage, ritten wir hier ſtatt an dieſem elenden
Graben am Sacramento hin und hätten wir ſtatt
der Tegeler Schießſtände die Diggings vor uns, ſo
würd' ich die Jette freiweg heirathen; ich kann
ohne ſie nicht leben, ſie hat es mir angethan und
ihre Natürlichkeit, Schlichtheit und wirkliche Liebe
wiegen mir zehn Komteſſen auf. Aber es geht nicht.
Ich kann es meinen Eltern nicht anthun und mag
auch nicht mit 27 aus dem Dienſt heraus, um in
Texas Cowboy zu werden oder Kellner auf einem
Miſſiſſippi-Dampfer. Alſo Mittelkurs. . .“
„Was verſtehen Sie darunter?“
„Einigung ohne Sanktion.“
„Alſo Ehe ohne Ehe.“
„Wenn Sie wollen, ja. Mir liegt nichts am
Wort, ebenſo wenig wie an Legaliſirung, Sakra¬
mentirung, oder wie ſonſt noch dieſe Dinge heißen
mögen; ich bin etwas nihiliſtiſch angeflogen und
habe keinen rechten Glauben an paſtorale Heilig¬
17*
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Fontane, Theodor: Irrungen, Wirrungen. Leipzig, 1888, S. 259. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_irrungen_1888/269>, abgerufen am 08.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.