Du bist immer so schrecklich vorsichtig. Aber ich denke, "alle Fälle" sollen gar nicht kommen. Ich hatte nämlich gestern noch einen Brief von meiner Schwester Ine, die mir schrieb, Anna Grävenitz sei seit acht Tagen auch da. Sie kennen Sie ja, Wedell, eine geborene Rohr, charmante Blondine, mit der ich bei der alten Zülow in Pension und sogar in derselben Klasse war. Und ich entsinne mich noch, wie wir unsern vergötterten Felix Bachmann ge¬ meinschaftlich anschwärmten und sogar Verse machten, bis die gute alte Zülow sagte, sie verbäte sich solchen Unsinn. Und Elly Winterfeld, wie mir Ine schreibt, käme wahrscheinlich auch. Und nun sag' ich mir, in Gesellschaft von zwei reizenden jungen Frauen -- und ich als Dritte, wenn auch mit den beiden andern gar nicht zu vergleichen -- in so guter Ge¬ sellschaft, sag' ich, muß man doch am Ende leben können. Nicht wahr, lieber Balafre?"
Dieser verneigte sich unter einem grotesken Mienenspiel, das in allem, nur nicht hinsichtlich eines von ihr selbst versicherten Zurückstehens gegen irgend wen sonst in der Welt, seine Zustimmung ausdrücken sollte, nahm aber nichts desto weniger sein ursprüngliches Examen wieder auf und sagte: "Wenn ich Details hören könnte, meine Gnädigste! Das Einzelne, so zu sagen die Minute bestimmt
Du biſt immer ſo ſchrecklich vorſichtig. Aber ich denke, „alle Fälle“ ſollen gar nicht kommen. Ich hatte nämlich geſtern noch einen Brief von meiner Schweſter Ine, die mir ſchrieb, Anna Grävenitz ſei ſeit acht Tagen auch da. Sie kennen Sie ja, Wedell, eine geborene Rohr, charmante Blondine, mit der ich bei der alten Zülow in Penſion und ſogar in derſelben Klaſſe war. Und ich entſinne mich noch, wie wir unſern vergötterten Felix Bachmann ge¬ meinſchaftlich anſchwärmten und ſogar Verſe machten, bis die gute alte Zülow ſagte, ſie verbäte ſich ſolchen Unſinn. Und Elly Winterfeld, wie mir Ine ſchreibt, käme wahrſcheinlich auch. Und nun ſag' ich mir, in Geſellſchaft von zwei reizenden jungen Frauen — und ich als Dritte, wenn auch mit den beiden andern gar nicht zu vergleichen — in ſo guter Ge¬ ſellſchaft, ſag' ich, muß man doch am Ende leben können. Nicht wahr, lieber Balafré?“
Dieſer verneigte ſich unter einem grotesken Mienenſpiel, das in allem, nur nicht hinſichtlich eines von ihr ſelbſt verſicherten Zurückſtehens gegen irgend wen ſonſt in der Welt, ſeine Zuſtimmung ausdrücken ſollte, nahm aber nichts deſto weniger ſein urſprüngliches Examen wieder auf und ſagte: „Wenn ich Details hören könnte, meine Gnädigſte! Das Einzelne, ſo zu ſagen die Minute beſtimmt
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0209"n="199"/>
Du biſt immer ſo ſchrecklich vorſichtig. Aber ich<lb/>
denke, „alle Fälle“ſollen gar nicht kommen. Ich<lb/>
hatte nämlich geſtern noch einen Brief von meiner<lb/>
Schweſter Ine, die mir ſchrieb, Anna Grävenitz ſei<lb/>ſeit acht Tagen auch da. Sie kennen Sie ja, Wedell,<lb/>
eine geborene Rohr, charmante Blondine, mit der<lb/>
ich bei der alten Zülow in Penſion und ſogar in<lb/>
derſelben Klaſſe war. Und ich entſinne mich noch,<lb/>
wie wir unſern vergötterten Felix Bachmann ge¬<lb/>
meinſchaftlich anſchwärmten und ſogar Verſe machten,<lb/>
bis die gute alte Zülow ſagte, ſie verbäte ſich ſolchen<lb/>
Unſinn. Und Elly Winterfeld, wie mir Ine ſchreibt,<lb/>
käme wahrſcheinlich auch. Und nun ſag' ich mir,<lb/>
in Geſellſchaft von zwei reizenden jungen Frauen<lb/>— und ich als Dritte, wenn auch mit den beiden<lb/>
andern gar nicht zu vergleichen — in ſo guter Ge¬<lb/>ſellſchaft, ſag' ich, muß man doch am Ende leben<lb/>
können. Nicht wahr, lieber Balafr<hirendition="#aq">é</hi>?“</p><lb/><p>Dieſer verneigte ſich unter einem grotesken<lb/>
Mienenſpiel, das in allem, nur nicht hinſichtlich<lb/>
eines von ihr ſelbſt verſicherten Zurückſtehens gegen<lb/>
irgend wen ſonſt in der Welt, ſeine Zuſtimmung<lb/>
ausdrücken ſollte, nahm aber nichts deſto weniger<lb/>ſein urſprüngliches Examen wieder auf und ſagte:<lb/>„Wenn ich Details hören könnte, meine Gnädigſte!<lb/>
Das Einzelne, ſo zu ſagen die Minute beſtimmt<lb/></p></div></body></text></TEI>
[199/0209]
Du biſt immer ſo ſchrecklich vorſichtig. Aber ich
denke, „alle Fälle“ ſollen gar nicht kommen. Ich
hatte nämlich geſtern noch einen Brief von meiner
Schweſter Ine, die mir ſchrieb, Anna Grävenitz ſei
ſeit acht Tagen auch da. Sie kennen Sie ja, Wedell,
eine geborene Rohr, charmante Blondine, mit der
ich bei der alten Zülow in Penſion und ſogar in
derſelben Klaſſe war. Und ich entſinne mich noch,
wie wir unſern vergötterten Felix Bachmann ge¬
meinſchaftlich anſchwärmten und ſogar Verſe machten,
bis die gute alte Zülow ſagte, ſie verbäte ſich ſolchen
Unſinn. Und Elly Winterfeld, wie mir Ine ſchreibt,
käme wahrſcheinlich auch. Und nun ſag' ich mir,
in Geſellſchaft von zwei reizenden jungen Frauen
— und ich als Dritte, wenn auch mit den beiden
andern gar nicht zu vergleichen — in ſo guter Ge¬
ſellſchaft, ſag' ich, muß man doch am Ende leben
können. Nicht wahr, lieber Balafré?“
Dieſer verneigte ſich unter einem grotesken
Mienenſpiel, das in allem, nur nicht hinſichtlich
eines von ihr ſelbſt verſicherten Zurückſtehens gegen
irgend wen ſonſt in der Welt, ſeine Zuſtimmung
ausdrücken ſollte, nahm aber nichts deſto weniger
ſein urſprüngliches Examen wieder auf und ſagte:
„Wenn ich Details hören könnte, meine Gnädigſte!
Das Einzelne, ſo zu ſagen die Minute beſtimmt
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Fontane, Theodor: Irrungen, Wirrungen. Leipzig, 1888, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_irrungen_1888/209>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.