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Fontane, Theodor: Irrungen, Wirrungen. Leipzig, 1888.

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Du bist immer so schrecklich vorsichtig. Aber ich
denke, "alle Fälle" sollen gar nicht kommen. Ich
hatte nämlich gestern noch einen Brief von meiner
Schwester Ine, die mir schrieb, Anna Grävenitz sei
seit acht Tagen auch da. Sie kennen Sie ja, Wedell,
eine geborene Rohr, charmante Blondine, mit der
ich bei der alten Zülow in Pension und sogar in
derselben Klasse war. Und ich entsinne mich noch,
wie wir unsern vergötterten Felix Bachmann ge¬
meinschaftlich anschwärmten und sogar Verse machten,
bis die gute alte Zülow sagte, sie verbäte sich solchen
Unsinn. Und Elly Winterfeld, wie mir Ine schreibt,
käme wahrscheinlich auch. Und nun sag' ich mir,
in Gesellschaft von zwei reizenden jungen Frauen
-- und ich als Dritte, wenn auch mit den beiden
andern gar nicht zu vergleichen -- in so guter Ge¬
sellschaft, sag' ich, muß man doch am Ende leben
können. Nicht wahr, lieber Balafre?"

Dieser verneigte sich unter einem grotesken
Mienenspiel, das in allem, nur nicht hinsichtlich
eines von ihr selbst versicherten Zurückstehens gegen
irgend wen sonst in der Welt, seine Zustimmung
ausdrücken sollte, nahm aber nichts desto weniger
sein ursprüngliches Examen wieder auf und sagte:
"Wenn ich Details hören könnte, meine Gnädigste!
Das Einzelne, so zu sagen die Minute bestimmt

Du biſt immer ſo ſchrecklich vorſichtig. Aber ich
denke, „alle Fälle“ ſollen gar nicht kommen. Ich
hatte nämlich geſtern noch einen Brief von meiner
Schweſter Ine, die mir ſchrieb, Anna Grävenitz ſei
ſeit acht Tagen auch da. Sie kennen Sie ja, Wedell,
eine geborene Rohr, charmante Blondine, mit der
ich bei der alten Zülow in Penſion und ſogar in
derſelben Klaſſe war. Und ich entſinne mich noch,
wie wir unſern vergötterten Felix Bachmann ge¬
meinſchaftlich anſchwärmten und ſogar Verſe machten,
bis die gute alte Zülow ſagte, ſie verbäte ſich ſolchen
Unſinn. Und Elly Winterfeld, wie mir Ine ſchreibt,
käme wahrſcheinlich auch. Und nun ſag' ich mir,
in Geſellſchaft von zwei reizenden jungen Frauen
— und ich als Dritte, wenn auch mit den beiden
andern gar nicht zu vergleichen — in ſo guter Ge¬
ſellſchaft, ſag' ich, muß man doch am Ende leben
können. Nicht wahr, lieber Balafré?“

Dieſer verneigte ſich unter einem grotesken
Mienenſpiel, das in allem, nur nicht hinſichtlich
eines von ihr ſelbſt verſicherten Zurückſtehens gegen
irgend wen ſonſt in der Welt, ſeine Zuſtimmung
ausdrücken ſollte, nahm aber nichts deſto weniger
ſein urſprüngliches Examen wieder auf und ſagte:
„Wenn ich Details hören könnte, meine Gnädigſte!
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[199/0209] Du biſt immer ſo ſchrecklich vorſichtig. Aber ich denke, „alle Fälle“ ſollen gar nicht kommen. Ich hatte nämlich geſtern noch einen Brief von meiner Schweſter Ine, die mir ſchrieb, Anna Grävenitz ſei ſeit acht Tagen auch da. Sie kennen Sie ja, Wedell, eine geborene Rohr, charmante Blondine, mit der ich bei der alten Zülow in Penſion und ſogar in derſelben Klaſſe war. Und ich entſinne mich noch, wie wir unſern vergötterten Felix Bachmann ge¬ meinſchaftlich anſchwärmten und ſogar Verſe machten, bis die gute alte Zülow ſagte, ſie verbäte ſich ſolchen Unſinn. Und Elly Winterfeld, wie mir Ine ſchreibt, käme wahrſcheinlich auch. Und nun ſag' ich mir, in Geſellſchaft von zwei reizenden jungen Frauen — und ich als Dritte, wenn auch mit den beiden andern gar nicht zu vergleichen — in ſo guter Ge¬ ſellſchaft, ſag' ich, muß man doch am Ende leben können. Nicht wahr, lieber Balafré?“ Dieſer verneigte ſich unter einem grotesken Mienenſpiel, das in allem, nur nicht hinſichtlich eines von ihr ſelbſt verſicherten Zurückſtehens gegen irgend wen ſonſt in der Welt, ſeine Zuſtimmung ausdrücken ſollte, nahm aber nichts deſto weniger ſein urſprüngliches Examen wieder auf und ſagte: „Wenn ich Details hören könnte, meine Gnädigſte! Das Einzelne, ſo zu ſagen die Minute beſtimmt

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Irrungen, Wirrungen. Leipzig, 1888, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_irrungen_1888/209>, abgerufen am 24.11.2024.