führte. Früher, in Vor-Dörr'scher Zeit, hatte der ganze riesige Holzkasten als bloße Remise zur Auf¬ bewahrung von Bohnenstangen und Gießkannen, vielleicht auch als Kartoffelkeller gedient, seit aber, vor so und so viel Jahren, die Gärtnerei von ihrem gegenwärtigen Besitzer gekauft worden war, war das eigentliche Wohnhaus an Frau Nimptsch vermiethet und der gothisch bemalte Kasten, unter Einfügung der schon erwähnten zwei Giebelstuben, zum Aufent¬ halt für den damals verwittweten Dörr hergerichtet worden, eine höchst primitive Herrichtung, an der seine bald danach erfolgende Wiederverheirathung nichts geändert hatte. Sommers war diese beinah fenster¬ lose Remise mit ihren Steinfliesen und ihrer Kühle kein übler Aufenthalt, um die Winterzeit aber hätte Dörr und Frau, sammt einem aus erster Ehe stam¬ menden zwanzigjährigen, etwas geistesschwachen Sohn, einfach erfrieren müssen, wenn nicht die beiden großen, an der andern Seite des Hofes gelegenen Treib¬ häuser gewesen wären. In diesen verbrachten alle drei Dörrs die Zeit von November bis März aus¬ schließlich, aber auch in der besseren und sogar in der heißen Jahreszeit spielte sich das Leben der Familie, wenn man nicht gerade vor der Sonne Zuflucht suchte, zu großem Theile vor und in diesen Treibhäusern ab, weil hier alles am bequemsten lag: hier standen die Treppchen und Estraden, auf denen
führte. Früher, in Vor-Dörr'ſcher Zeit, hatte der ganze rieſige Holzkaſten als bloße Remiſe zur Auf¬ bewahrung von Bohnenſtangen und Gießkannen, vielleicht auch als Kartoffelkeller gedient, ſeit aber, vor ſo und ſo viel Jahren, die Gärtnerei von ihrem gegenwärtigen Beſitzer gekauft worden war, war das eigentliche Wohnhaus an Frau Nimptſch vermiethet und der gothiſch bemalte Kaſten, unter Einfügung der ſchon erwähnten zwei Giebelſtuben, zum Aufent¬ halt für den damals verwittweten Dörr hergerichtet worden, eine höchſt primitive Herrichtung, an der ſeine bald danach erfolgende Wiederverheirathung nichts geändert hatte. Sommers war dieſe beinah fenſter¬ loſe Remiſe mit ihren Steinflieſen und ihrer Kühle kein übler Aufenthalt, um die Winterzeit aber hätte Dörr und Frau, ſammt einem aus erſter Ehe ſtam¬ menden zwanzigjährigen, etwas geiſtesſchwachen Sohn, einfach erfrieren müſſen, wenn nicht die beiden großen, an der andern Seite des Hofes gelegenen Treib¬ häuſer geweſen wären. In dieſen verbrachten alle drei Dörrs die Zeit von November bis März aus¬ ſchließlich, aber auch in der beſſeren und ſogar in der heißen Jahreszeit ſpielte ſich das Leben der Familie, wenn man nicht gerade vor der Sonne Zuflucht ſuchte, zu großem Theile vor und in dieſen Treibhäuſern ab, weil hier alles am bequemſten lag: hier ſtanden die Treppchen und Eſtraden, auf denen
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führte. Früher, in Vor-Dörr'ſcher Zeit, hatte der
ganze rieſige Holzkaſten als bloße Remiſe zur Auf¬
bewahrung von Bohnenſtangen und Gießkannen,
vielleicht auch als Kartoffelkeller gedient, ſeit aber,
vor ſo und ſo viel Jahren, die Gärtnerei von ihrem
gegenwärtigen Beſitzer gekauft worden war, war das
eigentliche Wohnhaus an Frau Nimptſch vermiethet
und der gothiſch bemalte Kaſten, unter Einfügung
der ſchon erwähnten zwei Giebelſtuben, zum Aufent¬
halt für den damals verwittweten Dörr hergerichtet
worden, eine höchſt primitive Herrichtung, an der ſeine
bald danach erfolgende Wiederverheirathung nichts
geändert hatte. Sommers war dieſe beinah fenſter¬
loſe Remiſe mit ihren Steinflieſen und ihrer Kühle
kein übler Aufenthalt, um die Winterzeit aber hätte
Dörr und Frau, ſammt einem aus erſter Ehe ſtam¬
menden zwanzigjährigen, etwas geiſtesſchwachen Sohn,
einfach erfrieren müſſen, wenn nicht die beiden großen,
an der andern Seite des Hofes gelegenen Treib¬
häuſer geweſen wären. In dieſen verbrachten alle
drei Dörrs die Zeit von November bis März aus¬
ſchließlich, aber auch in der beſſeren und ſogar in
der heißen Jahreszeit ſpielte ſich das Leben der
Familie, wenn man nicht gerade vor der Sonne
Zuflucht ſuchte, zu großem Theile vor und in dieſen
Treibhäuſern ab, weil hier alles am bequemſten lag:
hier ſtanden die Treppchen und Eſtraden, auf denen
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Fontane, Theodor: Irrungen, Wirrungen. Leipzig, 1888, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_irrungen_1888/19>, abgerufen am 21.11.2024.
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