Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fontane, Theodor: Irrungen, Wirrungen. Leipzig, 1888.

Bild:
<< vorherige Seite

dem Strom, der hier, durch Inseln und Landzungen
eingeengt, keine dreihundert Schritte breit sein mochte.
Lene that nur dann und wann einen Schlag mit
dem Ruder, aber auch diese wenigen Schläge reichten
schon aus, sie nach einer kleinen Weile bis an eine
hoch in Gras stehende, zugleich als Schiffswerft
dienende Wiese zu führen, auf der, in einiger Ent¬
fernung von ihnen, ein Spreekahn gebaut und alte,
leckgewordene Kähne kalfatert und getheert wurden.

"Dahin müssen wir," jubelte Lene, während sie
Botho mit sich fortzog. Aber ehe Beide bis an die
Schiffsbaustelle heran waren, hörte das Hämmern
der Zimmermannsaxt auf und das beginnende Läuten
der Glocke verkündete, daß Feierabend sei. So
bogen sie denn hundert Schritt von der Werft in
einen Pfad ein, der, schräg über die Wiese hin, auf
einen Kiefernwald zuführte. Die rothen Stämme
desselben glühten prächtig im Wiederschein der schon
tief stehenden Sonne, während über den Kronen ein
bläulicher Nebel lag.

"Ich möchte Dir einen recht schönen Strauß
pflücken," sagte Botho, während er Lene bei der Hand
nahm. "Aber sieh nur, die reine Wiese, nichts als
Gras und keine Blume. Nicht eine."

"Doch. Die Hülle und Fülle. Du siehst nur
keine, weil Du zu anspruchsvoll bist."

dem Strom, der hier, durch Inſeln und Landzungen
eingeengt, keine dreihundert Schritte breit ſein mochte.
Lene that nur dann und wann einen Schlag mit
dem Ruder, aber auch dieſe wenigen Schläge reichten
ſchon aus, ſie nach einer kleinen Weile bis an eine
hoch in Gras ſtehende, zugleich als Schiffswerft
dienende Wieſe zu führen, auf der, in einiger Ent¬
fernung von ihnen, ein Spreekahn gebaut und alte,
leckgewordene Kähne kalfatert und getheert wurden.

„Dahin müſſen wir,“ jubelte Lene, während ſie
Botho mit ſich fortzog. Aber ehe Beide bis an die
Schiffsbauſtelle heran waren, hörte das Hämmern
der Zimmermannsaxt auf und das beginnende Läuten
der Glocke verkündete, daß Feierabend ſei. So
bogen ſie denn hundert Schritt von der Werft in
einen Pfad ein, der, ſchräg über die Wieſe hin, auf
einen Kiefernwald zuführte. Die rothen Stämme
deſſelben glühten prächtig im Wiederſchein der ſchon
tief ſtehenden Sonne, während über den Kronen ein
bläulicher Nebel lag.

„Ich möchte Dir einen recht ſchönen Strauß
pflücken,“ ſagte Botho, während er Lene bei der Hand
nahm. „Aber ſieh nur, die reine Wieſe, nichts als
Gras und keine Blume. Nicht eine.“

„Doch. Die Hülle und Fülle. Du ſiehſt nur
keine, weil Du zu anſpruchsvoll biſt.“

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0117" n="107"/>
dem Strom, der hier, durch In&#x017F;eln und Landzungen<lb/>
eingeengt, keine dreihundert Schritte breit &#x017F;ein mochte.<lb/>
Lene that nur dann und wann einen Schlag mit<lb/>
dem Ruder, aber auch die&#x017F;e wenigen Schläge reichten<lb/>
&#x017F;chon aus, &#x017F;ie nach einer kleinen Weile bis an eine<lb/>
hoch in Gras &#x017F;tehende, zugleich als Schiffswerft<lb/>
dienende Wie&#x017F;e zu führen, auf der, in einiger Ent¬<lb/>
fernung von ihnen, ein Spreekahn gebaut und alte,<lb/>
leckgewordene Kähne kalfatert und getheert wurden.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Dahin mü&#x017F;&#x017F;en wir,&#x201C; jubelte Lene, während &#x017F;ie<lb/>
Botho mit &#x017F;ich fortzog. Aber ehe Beide bis an die<lb/>
Schiffsbau&#x017F;telle heran waren, hörte das Hämmern<lb/>
der Zimmermannsaxt auf und das beginnende Läuten<lb/>
der Glocke verkündete, daß Feierabend &#x017F;ei. So<lb/>
bogen &#x017F;ie denn hundert Schritt von der Werft in<lb/>
einen Pfad ein, der, &#x017F;chräg über die Wie&#x017F;e hin, auf<lb/>
einen Kiefernwald zuführte. Die rothen Stämme<lb/>
de&#x017F;&#x017F;elben glühten prächtig im Wieder&#x017F;chein der &#x017F;chon<lb/>
tief &#x017F;tehenden Sonne, während über den Kronen ein<lb/>
bläulicher Nebel lag.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ich möchte Dir einen recht &#x017F;chönen Strauß<lb/>
pflücken,&#x201C; &#x017F;agte Botho, während er Lene bei der Hand<lb/>
nahm. &#x201E;Aber &#x017F;ieh nur, die reine Wie&#x017F;e, nichts als<lb/>
Gras und keine Blume. Nicht eine.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Doch. Die Hülle und Fülle. Du &#x017F;ieh&#x017F;t nur<lb/>
keine, weil Du zu an&#x017F;pruchsvoll bi&#x017F;t.&#x201C;<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[107/0117] dem Strom, der hier, durch Inſeln und Landzungen eingeengt, keine dreihundert Schritte breit ſein mochte. Lene that nur dann und wann einen Schlag mit dem Ruder, aber auch dieſe wenigen Schläge reichten ſchon aus, ſie nach einer kleinen Weile bis an eine hoch in Gras ſtehende, zugleich als Schiffswerft dienende Wieſe zu führen, auf der, in einiger Ent¬ fernung von ihnen, ein Spreekahn gebaut und alte, leckgewordene Kähne kalfatert und getheert wurden. „Dahin müſſen wir,“ jubelte Lene, während ſie Botho mit ſich fortzog. Aber ehe Beide bis an die Schiffsbauſtelle heran waren, hörte das Hämmern der Zimmermannsaxt auf und das beginnende Läuten der Glocke verkündete, daß Feierabend ſei. So bogen ſie denn hundert Schritt von der Werft in einen Pfad ein, der, ſchräg über die Wieſe hin, auf einen Kiefernwald zuführte. Die rothen Stämme deſſelben glühten prächtig im Wiederſchein der ſchon tief ſtehenden Sonne, während über den Kronen ein bläulicher Nebel lag. „Ich möchte Dir einen recht ſchönen Strauß pflücken,“ ſagte Botho, während er Lene bei der Hand nahm. „Aber ſieh nur, die reine Wieſe, nichts als Gras und keine Blume. Nicht eine.“ „Doch. Die Hülle und Fülle. Du ſiehſt nur keine, weil Du zu anſpruchsvoll biſt.“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_irrungen_1888
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_irrungen_1888/117
Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Irrungen, Wirrungen. Leipzig, 1888, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_irrungen_1888/117>, abgerufen am 22.11.2024.