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Fontane, Theodor: Irrungen, Wirrungen. Leipzig, 1888.

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"Mutter," sagte Lene, "Du sprichst wieder so
viel von Grab und Kranz."

"Ja, Kind, jeder spricht, woran er denkt. Un
denkt einer an Hochzeit, denn redt er von Hochzeit,
un denkt einer an Begräbniß, denn redt er von
Grab. Un ich habe nich mal angefangen von Grab
un Kranz zu reden, Frau Dörr hat angefangen,
was auch ganz recht war. Un ich spreche blos
immer davon, weil ich immer 'ne Angst habe
un immer denke: ja, wer wird Dir mal einen
bringen?"

"Ach, Mutter. ."

"Ja, Lene, Du bist gut, Du bist ein gutes Kind.
Aber der Mensch denkt un Gott lenkt, un heute
roth un morgen todt. Un Du kannst sterben so
gut wie ich, jeden Tag, den Gott werden läßt, wenn
ich es auch nich glaube. Un Frau Dörr kann auch
sterben oder wohnt denn, wenn ich sterbe, vielleicht
wo anders oder ich wohne wo anders un bin viel¬
leicht eben erst eingezogen. Ach, meine liebe Lene,
man hat nichts sicher, gar nichts, auch nich mal
einen Kranz aufs Grab."

"Doch, doch, Mutter Nimptsch," sagte Botho,
"den haben Sie sicher."

"Na, na, Herr Baron, wenn es man wahr is."

"Und wenn ich in Petersburg bin oder in
Paris und ich höre, daß meine alte Frau Nimptsch

Fontane, Irrungen. 7

„Mutter,“ ſagte Lene, „Du ſprichſt wieder ſo
viel von Grab und Kranz.“

„Ja, Kind, jeder ſpricht, woran er denkt. Un
denkt einer an Hochzeit, denn redt er von Hochzeit,
un denkt einer an Begräbniß, denn redt er von
Grab. Un ich habe nich mal angefangen von Grab
un Kranz zu reden, Frau Dörr hat angefangen,
was auch ganz recht war. Un ich ſpreche blos
immer davon, weil ich immer 'ne Angſt habe
un immer denke: ja, wer wird Dir mal einen
bringen?“

„Ach, Mutter. .“

„Ja, Lene, Du biſt gut, Du biſt ein gutes Kind.
Aber der Menſch denkt un Gott lenkt, un heute
roth un morgen todt. Un Du kannſt ſterben ſo
gut wie ich, jeden Tag, den Gott werden läßt, wenn
ich es auch nich glaube. Un Frau Dörr kann auch
ſterben oder wohnt denn, wenn ich ſterbe, vielleicht
wo anders oder ich wohne wo anders un bin viel¬
leicht eben erſt eingezogen. Ach, meine liebe Lene,
man hat nichts ſicher, gar nichts, auch nich mal
einen Kranz aufs Grab.“

Doch, doch, Mutter Nimptſch,“ ſagte Botho,
„den haben Sie ſicher.“

„Na, na, Herr Baron, wenn es man wahr is.“

„Und wenn ich in Petersburg bin oder in
Paris und ich höre, daß meine alte Frau Nimptſch

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[97/0107] „Mutter,“ ſagte Lene, „Du ſprichſt wieder ſo viel von Grab und Kranz.“ „Ja, Kind, jeder ſpricht, woran er denkt. Un denkt einer an Hochzeit, denn redt er von Hochzeit, un denkt einer an Begräbniß, denn redt er von Grab. Un ich habe nich mal angefangen von Grab un Kranz zu reden, Frau Dörr hat angefangen, was auch ganz recht war. Un ich ſpreche blos immer davon, weil ich immer 'ne Angſt habe un immer denke: ja, wer wird Dir mal einen bringen?“ „Ach, Mutter. .“ „Ja, Lene, Du biſt gut, Du biſt ein gutes Kind. Aber der Menſch denkt un Gott lenkt, un heute roth un morgen todt. Un Du kannſt ſterben ſo gut wie ich, jeden Tag, den Gott werden läßt, wenn ich es auch nich glaube. Un Frau Dörr kann auch ſterben oder wohnt denn, wenn ich ſterbe, vielleicht wo anders oder ich wohne wo anders un bin viel¬ leicht eben erſt eingezogen. Ach, meine liebe Lene, man hat nichts ſicher, gar nichts, auch nich mal einen Kranz aufs Grab.“ „Doch, doch, Mutter Nimptſch,“ ſagte Botho, „den haben Sie ſicher.“ „Na, na, Herr Baron, wenn es man wahr is.“ „Und wenn ich in Petersburg bin oder in Paris und ich höre, daß meine alte Frau Nimptſch Fontane, Irrungen. 7

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Irrungen, Wirrungen. Leipzig, 1888, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_irrungen_1888/107>, abgerufen am 25.11.2024.