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Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896.

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Effi Briest

"Was ich hören muß, gnäd'ge Frau! Was
war es denn?"

"Es war über mir ein ganz sonderbarer Ton,
nicht laut, aber doch sehr eindringlich. Erst klang
es, wie wenn lange Schleppenkleider über die Diele
hinschleiften, und in meiner Erregung war es mir
ein paarmal, als ob ich kleine weiße Atlasschuhe sähe.
Es war, als tanze man oben, aber ganz leise."

Johanna, während das Gespräch so ging, sah
über die Schulter der jungen Frau fort in den
hohen schmalen Spiegel hinein, um die Mienen Effis
besser beobachten zu können. Dann sagte sie: "Ja,
das ist oben im Saal. Früher hörten wir es in
der Küche auch. Aber jetzt hören wir es nicht mehr;
wir haben uns daran gewöhnt."

"Ist es denn etwas Besonderes damit?"

"O Gott bewahre, nicht im geringsten. Eine
Weile wußte man nicht recht, woher es käme, und
der Herr Prediger machte ein verlegenes Gesicht,
trotzdem Doktor Gieshübler immer nur darüber lachte.
Nun aber wissen wir, daß es die Gardinen sind.
Der Saal ist etwas multrig und stockig und deshalb
stehen immer die Fenster auf, wenn nicht gerade
Sturm ist. Und da ist denn fast immer ein starker
Zug oben und fegt die alten, weißen Gardinen, die
außerdem viel zu lang sind, über die Dielen hin

Effi Brieſt

„Was ich hören muß, gnäd'ge Frau! Was
war es denn?“

„Es war über mir ein ganz ſonderbarer Ton,
nicht laut, aber doch ſehr eindringlich. Erſt klang
es, wie wenn lange Schleppenkleider über die Diele
hinſchleiften, und in meiner Erregung war es mir
ein paarmal, als ob ich kleine weiße Atlasſchuhe ſähe.
Es war, als tanze man oben, aber ganz leiſe.“

Johanna, während das Geſpräch ſo ging, ſah
über die Schulter der jungen Frau fort in den
hohen ſchmalen Spiegel hinein, um die Mienen Effis
beſſer beobachten zu können. Dann ſagte ſie: „Ja,
das iſt oben im Saal. Früher hörten wir es in
der Küche auch. Aber jetzt hören wir es nicht mehr;
wir haben uns daran gewöhnt.“

„Iſt es denn etwas Beſonderes damit?“

„O Gott bewahre, nicht im geringſten. Eine
Weile wußte man nicht recht, woher es käme, und
der Herr Prediger machte ein verlegenes Geſicht,
trotzdem Doktor Gieshübler immer nur darüber lachte.
Nun aber wiſſen wir, daß es die Gardinen ſind.
Der Saal iſt etwas multrig und ſtockig und deshalb
ſtehen immer die Fenſter auf, wenn nicht gerade
Sturm iſt. Und da iſt denn faſt immer ein ſtarker
Zug oben und fegt die alten, weißen Gardinen, die
außerdem viel zu lang ſind, über die Dielen hin

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[85/0094] Effi Brieſt „Was ich hören muß, gnäd'ge Frau! Was war es denn?“ „Es war über mir ein ganz ſonderbarer Ton, nicht laut, aber doch ſehr eindringlich. Erſt klang es, wie wenn lange Schleppenkleider über die Diele hinſchleiften, und in meiner Erregung war es mir ein paarmal, als ob ich kleine weiße Atlasſchuhe ſähe. Es war, als tanze man oben, aber ganz leiſe.“ Johanna, während das Geſpräch ſo ging, ſah über die Schulter der jungen Frau fort in den hohen ſchmalen Spiegel hinein, um die Mienen Effis beſſer beobachten zu können. Dann ſagte ſie: „Ja, das iſt oben im Saal. Früher hörten wir es in der Küche auch. Aber jetzt hören wir es nicht mehr; wir haben uns daran gewöhnt.“ „Iſt es denn etwas Beſonderes damit?“ „O Gott bewahre, nicht im geringſten. Eine Weile wußte man nicht recht, woher es käme, und der Herr Prediger machte ein verlegenes Geſicht, trotzdem Doktor Gieshübler immer nur darüber lachte. Nun aber wiſſen wir, daß es die Gardinen ſind. Der Saal iſt etwas multrig und ſtockig und deshalb ſtehen immer die Fenſter auf, wenn nicht gerade Sturm iſt. Und da iſt denn faſt immer ein ſtarker Zug oben und fegt die alten, weißen Gardinen, die außerdem viel zu lang ſind, über die Dielen hin

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_briest_1896/94>, abgerufen am 23.11.2024.