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Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896.

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Effi Briest
vorgefahren kommt und sechs Stunden bleibt oder
wohl auch noch länger, und Tante Gundel und Tante
Olga mich mustern und mich naseweis finden --
und Tante Gundel hat es mir auch 'mal gesagt --
ja, da macht sich's mitunter nicht sehr hübsch, das
muß ich zugeben. Aber sonst bin ich hier immer
glücklich gewesen, so glücklich ..."

Und während sie das sagte, warf sie sich heftig
weinend vor der Mama auf die Knie und küßte ihre
beiden Hände!

"Steh auf, Effi. Das sind so Stimmungen,
die über einen kommen, wenn man so jung ist wie
Du und vor der Hochzeit steht und vor dem Un¬
gewissen. Aber nun lies mir den Brief vor, wenn
er nicht 'was ganz Besonderes enthält oder vielleicht
Geheimnisse."

"Geheimnisse," lachte Effi und sprang in plötzlich
veränderter Stimmung wieder auf. "Geheimnisse!
Ja, er nimmt immer einen Anlauf, aber das meiste
könnt' ich auf dem Schulzenamt anschlagen lassen,
da, wo immer die landrätlichen Verordnungen stehen.
Nun, Geert ist ja auch Landrat."

"Lies, lies."

"Liebe Effi ..." So fängt es nämlich immer
an, und manchmal nennt er mich auch seine ,kleine Eva'."

"Lies, lies ... Du sollst ja lesen."

Effi Brieſt
vorgefahren kommt und ſechs Stunden bleibt oder
wohl auch noch länger, und Tante Gundel und Tante
Olga mich muſtern und mich naſeweis finden —
und Tante Gundel hat es mir auch 'mal geſagt —
ja, da macht ſich's mitunter nicht ſehr hübſch, das
muß ich zugeben. Aber ſonſt bin ich hier immer
glücklich geweſen, ſo glücklich …“

Und während ſie das ſagte, warf ſie ſich heftig
weinend vor der Mama auf die Knie und küßte ihre
beiden Hände!

„Steh auf, Effi. Das ſind ſo Stimmungen,
die über einen kommen, wenn man ſo jung iſt wie
Du und vor der Hochzeit ſteht und vor dem Un¬
gewiſſen. Aber nun lies mir den Brief vor, wenn
er nicht 'was ganz Beſonderes enthält oder vielleicht
Geheimniſſe.“

„Geheimniſſe,“ lachte Effi und ſprang in plötzlich
veränderter Stimmung wieder auf. „Geheimniſſe!
Ja, er nimmt immer einen Anlauf, aber das meiſte
könnt' ich auf dem Schulzenamt anſchlagen laſſen,
da, wo immer die landrätlichen Verordnungen ſtehen.
Nun, Geert iſt ja auch Landrat.“

„Lies, lies.“

„Liebe Effi …“ So fängt es nämlich immer
an, und manchmal nennt er mich auch ſeine ,kleine Eva‘.“

„Lies, lies … Du ſollſt ja leſen.“

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[47/0056] Effi Brieſt vorgefahren kommt und ſechs Stunden bleibt oder wohl auch noch länger, und Tante Gundel und Tante Olga mich muſtern und mich naſeweis finden — und Tante Gundel hat es mir auch 'mal geſagt — ja, da macht ſich's mitunter nicht ſehr hübſch, das muß ich zugeben. Aber ſonſt bin ich hier immer glücklich geweſen, ſo glücklich …“ Und während ſie das ſagte, warf ſie ſich heftig weinend vor der Mama auf die Knie und küßte ihre beiden Hände! „Steh auf, Effi. Das ſind ſo Stimmungen, die über einen kommen, wenn man ſo jung iſt wie Du und vor der Hochzeit ſteht und vor dem Un¬ gewiſſen. Aber nun lies mir den Brief vor, wenn er nicht 'was ganz Beſonderes enthält oder vielleicht Geheimniſſe.“ „Geheimniſſe,“ lachte Effi und ſprang in plötzlich veränderter Stimmung wieder auf. „Geheimniſſe! Ja, er nimmt immer einen Anlauf, aber das meiſte könnt' ich auf dem Schulzenamt anſchlagen laſſen, da, wo immer die landrätlichen Verordnungen ſtehen. Nun, Geert iſt ja auch Landrat.“ „Lies, lies.“ „Liebe Effi …“ So fängt es nämlich immer an, und manchmal nennt er mich auch ſeine ,kleine Eva‘.“ „Lies, lies … Du ſollſt ja leſen.“

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_briest_1896/56>, abgerufen am 27.11.2024.