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Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896.

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Effi Briest
dem Hut in der Hand und seinen endlosen Artigkeits¬
verbeugungen vorzuspielen, was sie, bei dem ihr eigenen
Nachahmungstalent, sehr gut konnte, trotzdem aber
ungern that, weil sie's allemal als ein Unrecht gegen
den guten und lieben Menschen empfand. -- Von
Innstetten und Annie war nie die Rede, wiewohl
feststand, daß Annie Erbtochter sei, und Hohen-
Cremmen ihr zufallen würde.

Ja, Effi lebte wieder auf, und die Mama, die,
nach Frauenart, nicht ganz abgeneigt war, die ganze
Sache, so schmerzlich sie blieb, als einen interessanten
Fall anzusehen, wetteiferte mit ihrem Manne in
Liebes- und Aufmerksamkeitsbezeugungen.

"Solchen guten Winter haben wir lange nicht
gehabt," sagte Briest. Und dann erhob sich Effi von
ihrem Platz und streichelte ihm das spärliche Haar
aus der Stirn. Aber so schön das alles war, auf
Effi's Gesundheit hin angesehen, war es doch alles
nur Schein, in Wahrheit ging die Krankheit weiter
und zehrte still das Leben auf. Wenn Effi -- die
wieder, wie damals an ihrem Verlobungstage mit
Innstetten, ein blau und weißgestreiftes Kittelkleid
mit einem losen Gürtel trug -- rasch und elastisch
auf die Eltern zutrat, um ihnen einen guten Morgen
zu bieten, so sahen sich diese freudig verwundert an,
freudig verwundert, aber doch auch wehmütig, weil

Effi Brieſt
dem Hut in der Hand und ſeinen endloſen Artigkeits¬
verbeugungen vorzuſpielen, was ſie, bei dem ihr eigenen
Nachahmungstalent, ſehr gut konnte, trotzdem aber
ungern that, weil ſie's allemal als ein Unrecht gegen
den guten und lieben Menſchen empfand. — Von
Innſtetten und Annie war nie die Rede, wiewohl
feſtſtand, daß Annie Erbtochter ſei, und Hohen-
Cremmen ihr zufallen würde.

Ja, Effi lebte wieder auf, und die Mama, die,
nach Frauenart, nicht ganz abgeneigt war, die ganze
Sache, ſo ſchmerzlich ſie blieb, als einen intereſſanten
Fall anzuſehen, wetteiferte mit ihrem Manne in
Liebes- und Aufmerkſamkeitsbezeugungen.

„Solchen guten Winter haben wir lange nicht
gehabt,“ ſagte Brieſt. Und dann erhob ſich Effi von
ihrem Platz und ſtreichelte ihm das ſpärliche Haar
aus der Stirn. Aber ſo ſchön das alles war, auf
Effi's Geſundheit hin angeſehen, war es doch alles
nur Schein, in Wahrheit ging die Krankheit weiter
und zehrte ſtill das Leben auf. Wenn Effi — die
wieder, wie damals an ihrem Verlobungstage mit
Innſtetten, ein blau und weißgeſtreiftes Kittelkleid
mit einem loſen Gürtel trug — raſch und elaſtiſch
auf die Eltern zutrat, um ihnen einen guten Morgen
zu bieten, ſo ſahen ſich dieſe freudig verwundert an,
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[490/0499] Effi Brieſt dem Hut in der Hand und ſeinen endloſen Artigkeits¬ verbeugungen vorzuſpielen, was ſie, bei dem ihr eigenen Nachahmungstalent, ſehr gut konnte, trotzdem aber ungern that, weil ſie's allemal als ein Unrecht gegen den guten und lieben Menſchen empfand. — Von Innſtetten und Annie war nie die Rede, wiewohl feſtſtand, daß Annie Erbtochter ſei, und Hohen- Cremmen ihr zufallen würde. Ja, Effi lebte wieder auf, und die Mama, die, nach Frauenart, nicht ganz abgeneigt war, die ganze Sache, ſo ſchmerzlich ſie blieb, als einen intereſſanten Fall anzuſehen, wetteiferte mit ihrem Manne in Liebes- und Aufmerkſamkeitsbezeugungen. „Solchen guten Winter haben wir lange nicht gehabt,“ ſagte Brieſt. Und dann erhob ſich Effi von ihrem Platz und ſtreichelte ihm das ſpärliche Haar aus der Stirn. Aber ſo ſchön das alles war, auf Effi's Geſundheit hin angeſehen, war es doch alles nur Schein, in Wahrheit ging die Krankheit weiter und zehrte ſtill das Leben auf. Wenn Effi — die wieder, wie damals an ihrem Verlobungstage mit Innſtetten, ein blau und weißgeſtreiftes Kittelkleid mit einem loſen Gürtel trug — raſch und elaſtiſch auf die Eltern zutrat, um ihnen einen guten Morgen zu bieten, ſo ſahen ſich dieſe freudig verwundert an, freudig verwundert, aber doch auch wehmütig, weil

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896, S. 490. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_briest_1896/499>, abgerufen am 22.11.2024.