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Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896.

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Effi Briest
seine Tochter gewesen wäre, mit einer ganz besonderen
Liebenswürdigkeit entgegen. Effi war sehr glücklich
darüber, und der Tag ihrer ersten Malstunde be¬
zeichnete für sie einen Wendepunkt zum Guten. Ihr
armes Leben war nun nicht so arm mehr, und
Roswitha triumphierte, daß sie recht gehabt und sich
nun doch etwas gefunden habe.

Das ging so Jahr und Tag und darüber hinaus.
Aber daß sie nun wieder eine Berührung mit den
Menschen hatte, wie sie's beglückte, so ließ es auch
wieder den Wunsch in ihr entstehen, daß diese Be¬
rührungen sich erneuern und mehren möchten. Sehn¬
sucht nach Hohen-Cremmen erfaßte sie mitunter mit
einer wahren Leidenschaft, und noch leidenschaftlicher
sehnte sie sich danach, Annie wiederzusehen. Es war
doch ihr Kind, und wenn sie dem nachhing und
sich dabei gleichzeitig der Trippelli erinnerte, die 'mal
gesagt hatte: ,die Welt sei so klein und in Mittel¬
afrika könne man sicher sein, plötzlich einem alten
Bekannten zu begegnen,' so war sie mit Recht ver¬
wundert, Annie noch nie getroffen zu haben. Aber
auch das sollte sich eines Tages ändern. Sie kam
aus der Malstunde, dicht am Zoologischen Garten,
und stieg, nahe dem Halteplatz, in einen die lange
Kurfürstenstraße passierenden Pferdebahnwagen ein.
Es war sehr heiß, und die herabgelassenen Vorhänge,

Effi Brieſt
ſeine Tochter geweſen wäre, mit einer ganz beſonderen
Liebenswürdigkeit entgegen. Effi war ſehr glücklich
darüber, und der Tag ihrer erſten Malſtunde be¬
zeichnete für ſie einen Wendepunkt zum Guten. Ihr
armes Leben war nun nicht ſo arm mehr, und
Roswitha triumphierte, daß ſie recht gehabt und ſich
nun doch etwas gefunden habe.

Das ging ſo Jahr und Tag und darüber hinaus.
Aber daß ſie nun wieder eine Berührung mit den
Menſchen hatte, wie ſie's beglückte, ſo ließ es auch
wieder den Wunſch in ihr entſtehen, daß dieſe Be¬
rührungen ſich erneuern und mehren möchten. Sehn¬
ſucht nach Hohen-Cremmen erfaßte ſie mitunter mit
einer wahren Leidenſchaft, und noch leidenſchaftlicher
ſehnte ſie ſich danach, Annie wiederzuſehen. Es war
doch ihr Kind, und wenn ſie dem nachhing und
ſich dabei gleichzeitig der Trippelli erinnerte, die 'mal
geſagt hatte: ,die Welt ſei ſo klein und in Mittel¬
afrika könne man ſicher ſein, plötzlich einem alten
Bekannten zu begegnen,‘ ſo war ſie mit Recht ver¬
wundert, Annie noch nie getroffen zu haben. Aber
auch das ſollte ſich eines Tages ändern. Sie kam
aus der Malſtunde, dicht am Zoologiſchen Garten,
und ſtieg, nahe dem Halteplatz, in einen die lange
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[469/0478] Effi Brieſt ſeine Tochter geweſen wäre, mit einer ganz beſonderen Liebenswürdigkeit entgegen. Effi war ſehr glücklich darüber, und der Tag ihrer erſten Malſtunde be¬ zeichnete für ſie einen Wendepunkt zum Guten. Ihr armes Leben war nun nicht ſo arm mehr, und Roswitha triumphierte, daß ſie recht gehabt und ſich nun doch etwas gefunden habe. Das ging ſo Jahr und Tag und darüber hinaus. Aber daß ſie nun wieder eine Berührung mit den Menſchen hatte, wie ſie's beglückte, ſo ließ es auch wieder den Wunſch in ihr entſtehen, daß dieſe Be¬ rührungen ſich erneuern und mehren möchten. Sehn¬ ſucht nach Hohen-Cremmen erfaßte ſie mitunter mit einer wahren Leidenſchaft, und noch leidenſchaftlicher ſehnte ſie ſich danach, Annie wiederzuſehen. Es war doch ihr Kind, und wenn ſie dem nachhing und ſich dabei gleichzeitig der Trippelli erinnerte, die 'mal geſagt hatte: ,die Welt ſei ſo klein und in Mittel¬ afrika könne man ſicher ſein, plötzlich einem alten Bekannten zu begegnen,‘ ſo war ſie mit Recht ver¬ wundert, Annie noch nie getroffen zu haben. Aber auch das ſollte ſich eines Tages ändern. Sie kam aus der Malſtunde, dicht am Zoologiſchen Garten, und ſtieg, nahe dem Halteplatz, in einen die lange Kurfürſtenſtraße paſſierenden Pferdebahnwagen ein. Es war ſehr heiß, und die herabgelaſſenen Vorhänge,

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896, S. 469. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_briest_1896/478>, abgerufen am 16.07.2024.