"Schicken Sie mir doch einfach Roswitha ..." hatte Rummschüttel gesagt. Ja, war denn Roswitha bei Effi? war sie denn statt in der Keith- in der Königgrätzerstraße? Gewiß war sie's und zwar sehr lange schon, gerade so lange, wie Effi selbst in der Königgrätzerstraße wohnte. Schon drei Tage vor diesem Einzug hatte sich Roswitha bei ihrer lieben gnädigen Frau sehen lassen, und das war ein großer Tag für beide gewesen, so sehr, daß dieses Tages hier noch nachträglich gedacht werden muß.
Effi hatte damals, als der elterliche Absagebrief aus Hohen-Cremmen kam und sie mit dem Abend¬ zuge von Ems nach Berlin zurückreiste, nicht gleich eine selbständige Wohnung genommen, sondern es mit einem Unterkommen in einem Pensionate ver¬ sucht. Es war ihr damit auch leidlich geglückt. Die beiden Damen, die dem Pensionate vorstanden, waren gebildet und voll Rücksicht und hatten es längst ver¬ lernt, neugierig zu sein. Es kam da so vieles zu¬ sammen, daß ein Eindringenwollen in die Geheim¬ nisse jedes einzelnen viel zu umständlich gewesen wäre. Dergleichen hinderte nur den Geschäftsgang. Effi, die die mit den Augen angestellten Kreuzverhöre der Zwicker noch in Erinnerung hatte, fühlte sich denn auch von dieser Zurückhaltung der Pensions¬ damen sehr angenehm berührt, als aber vierzehn
Effi Brieſt
„Schicken Sie mir doch einfach Roswitha …“ hatte Rummſchüttel geſagt. Ja, war denn Roswitha bei Effi? war ſie denn ſtatt in der Keith- in der Königgrätzerſtraße? Gewiß war ſie's und zwar ſehr lange ſchon, gerade ſo lange, wie Effi ſelbſt in der Königgrätzerſtraße wohnte. Schon drei Tage vor dieſem Einzug hatte ſich Roswitha bei ihrer lieben gnädigen Frau ſehen laſſen, und das war ein großer Tag für beide geweſen, ſo ſehr, daß dieſes Tages hier noch nachträglich gedacht werden muß.
Effi hatte damals, als der elterliche Abſagebrief aus Hohen-Cremmen kam und ſie mit dem Abend¬ zuge von Ems nach Berlin zurückreiſte, nicht gleich eine ſelbſtändige Wohnung genommen, ſondern es mit einem Unterkommen in einem Penſionate ver¬ ſucht. Es war ihr damit auch leidlich geglückt. Die beiden Damen, die dem Penſionate vorſtanden, waren gebildet und voll Rückſicht und hatten es längſt ver¬ lernt, neugierig zu ſein. Es kam da ſo vieles zu¬ ſammen, daß ein Eindringenwollen in die Geheim¬ niſſe jedes einzelnen viel zu umſtändlich geweſen wäre. Dergleichen hinderte nur den Geſchäftsgang. Effi, die die mit den Augen angeſtellten Kreuzverhöre der Zwicker noch in Erinnerung hatte, fühlte ſich denn auch von dieſer Zurückhaltung der Penſions¬ damen ſehr angenehm berührt, als aber vierzehn
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0466"n="457"/><fwplace="top"type="header">Effi Brieſt<lb/></fw><p>„Schicken Sie mir doch einfach Roswitha …“<lb/>
hatte Rummſchüttel geſagt. Ja, war denn Roswitha<lb/>
bei Effi? war ſie denn ſtatt in der Keith- in der<lb/>
Königgrätzerſtraße? Gewiß war ſie's und zwar ſehr<lb/>
lange ſchon, gerade ſo lange, wie Effi ſelbſt in der<lb/>
Königgrätzerſtraße wohnte. Schon drei Tage vor<lb/>
dieſem Einzug hatte ſich Roswitha bei ihrer lieben<lb/>
gnädigen Frau ſehen laſſen, und das war ein großer<lb/>
Tag für beide geweſen, ſo ſehr, daß dieſes Tages<lb/>
hier noch nachträglich gedacht werden muß.</p><lb/><p>Effi hatte damals, als der elterliche Abſagebrief<lb/>
aus Hohen-Cremmen kam und ſie mit dem Abend¬<lb/>
zuge von Ems nach Berlin zurückreiſte, nicht gleich<lb/>
eine ſelbſtändige Wohnung genommen, ſondern es<lb/>
mit einem Unterkommen in einem Penſionate ver¬<lb/>ſucht. Es war ihr damit auch leidlich geglückt. Die<lb/>
beiden Damen, die dem Penſionate vorſtanden, waren<lb/>
gebildet und voll Rückſicht und hatten es längſt ver¬<lb/>
lernt, neugierig zu ſein. Es kam da ſo vieles zu¬<lb/>ſammen, daß ein Eindringenwollen in die Geheim¬<lb/>
niſſe jedes einzelnen viel zu umſtändlich geweſen<lb/>
wäre. Dergleichen hinderte nur den Geſchäftsgang.<lb/>
Effi, die die mit den Augen angeſtellten Kreuzverhöre<lb/>
der Zwicker noch in Erinnerung hatte, fühlte ſich<lb/>
denn auch von dieſer Zurückhaltung der Penſions¬<lb/>
damen ſehr angenehm berührt, als aber vierzehn<lb/></p></div></body></text></TEI>
[457/0466]
Effi Brieſt
„Schicken Sie mir doch einfach Roswitha …“
hatte Rummſchüttel geſagt. Ja, war denn Roswitha
bei Effi? war ſie denn ſtatt in der Keith- in der
Königgrätzerſtraße? Gewiß war ſie's und zwar ſehr
lange ſchon, gerade ſo lange, wie Effi ſelbſt in der
Königgrätzerſtraße wohnte. Schon drei Tage vor
dieſem Einzug hatte ſich Roswitha bei ihrer lieben
gnädigen Frau ſehen laſſen, und das war ein großer
Tag für beide geweſen, ſo ſehr, daß dieſes Tages
hier noch nachträglich gedacht werden muß.
Effi hatte damals, als der elterliche Abſagebrief
aus Hohen-Cremmen kam und ſie mit dem Abend¬
zuge von Ems nach Berlin zurückreiſte, nicht gleich
eine ſelbſtändige Wohnung genommen, ſondern es
mit einem Unterkommen in einem Penſionate ver¬
ſucht. Es war ihr damit auch leidlich geglückt. Die
beiden Damen, die dem Penſionate vorſtanden, waren
gebildet und voll Rückſicht und hatten es längſt ver¬
lernt, neugierig zu ſein. Es kam da ſo vieles zu¬
ſammen, daß ein Eindringenwollen in die Geheim¬
niſſe jedes einzelnen viel zu umſtändlich geweſen
wäre. Dergleichen hinderte nur den Geſchäftsgang.
Effi, die die mit den Augen angeſtellten Kreuzverhöre
der Zwicker noch in Erinnerung hatte, fühlte ſich
denn auch von dieſer Zurückhaltung der Penſions¬
damen ſehr angenehm berührt, als aber vierzehn
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896, S. 457. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_briest_1896/466>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.