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Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896.

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Effi Briest

"Wohin?"

Auf dem Tische vor ihr lag der Brief; aber
ihr fehlte der Mut, weiter zu lesen. Endlich sagte
sie: "Wovor bange ich mich noch? Was kann noch
gesagt werden, das ich mir nicht schon selber sagte?
Der, um den all' dies kam, ist tot, eine Rückkehr in
mein Haus giebt es nicht, in ein paar Wochen wird
die Scheidung ausgesprochen sein, und das Kind
wird man dem Vater lassen. Natürlich. Ich bin
schuldig, und eine Schuldige kann ihr Kind nicht
erziehen. Und wovon auch? Mich selbst werde ich wohl
durchbringen. Ich will sehen, was die Mama darüber
schreibt, wie sie sich mein Leben denkt."

Und unter diesen Worten nahm sie den Brief
wieder, um auch den Schluß zu lesen.

"... Und nun Deine Zukunft, meine liebe
Effi. Du wirst Dich auf Dich selbst stellen müssen,
und darfst dabei, so weit äußere Mittel mitsprechen,
unserer Unterstützung sicher sein. Du wirst am besten
in Berlin leben (in einer großen Stadt verthut sich
dergleichen am besten) und wirst da zu den vielen
gehören, die sich um freie Luft und lichte Sonne
gebracht haben. Du wirst einsam leben, und wenn
Du das nicht willst, wahrscheinlich aus Deiner Sphäre
herabsteigen müssen. Die Welt, in der Du gelebt
hast, wird Dir verschlossen sein. Und was das

Effi Brieſt

„Wohin?“

Auf dem Tiſche vor ihr lag der Brief; aber
ihr fehlte der Mut, weiter zu leſen. Endlich ſagte
ſie: „Wovor bange ich mich noch? Was kann noch
geſagt werden, das ich mir nicht ſchon ſelber ſagte?
Der, um den all' dies kam, iſt tot, eine Rückkehr in
mein Haus giebt es nicht, in ein paar Wochen wird
die Scheidung ausgeſprochen ſein, und das Kind
wird man dem Vater laſſen. Natürlich. Ich bin
ſchuldig, und eine Schuldige kann ihr Kind nicht
erziehen. Und wovon auch? Mich ſelbſt werde ich wohl
durchbringen. Ich will ſehen, was die Mama darüber
ſchreibt, wie ſie ſich mein Leben denkt.“

Und unter dieſen Worten nahm ſie den Brief
wieder, um auch den Schluß zu leſen.

„… Und nun Deine Zukunft, meine liebe
Effi. Du wirſt Dich auf Dich ſelbſt ſtellen müſſen,
und darfſt dabei, ſo weit äußere Mittel mitſprechen,
unſerer Unterſtützung ſicher ſein. Du wirſt am beſten
in Berlin leben (in einer großen Stadt verthut ſich
dergleichen am beſten) und wirſt da zu den vielen
gehören, die ſich um freie Luft und lichte Sonne
gebracht haben. Du wirſt einſam leben, und wenn
Du das nicht willſt, wahrſcheinlich aus Deiner Sphäre
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haſt, wird Dir verſchloſſen ſein. Und was das

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[447/0456] Effi Brieſt „Wohin?“ Auf dem Tiſche vor ihr lag der Brief; aber ihr fehlte der Mut, weiter zu leſen. Endlich ſagte ſie: „Wovor bange ich mich noch? Was kann noch geſagt werden, das ich mir nicht ſchon ſelber ſagte? Der, um den all' dies kam, iſt tot, eine Rückkehr in mein Haus giebt es nicht, in ein paar Wochen wird die Scheidung ausgeſprochen ſein, und das Kind wird man dem Vater laſſen. Natürlich. Ich bin ſchuldig, und eine Schuldige kann ihr Kind nicht erziehen. Und wovon auch? Mich ſelbſt werde ich wohl durchbringen. Ich will ſehen, was die Mama darüber ſchreibt, wie ſie ſich mein Leben denkt.“ Und unter dieſen Worten nahm ſie den Brief wieder, um auch den Schluß zu leſen. „… Und nun Deine Zukunft, meine liebe Effi. Du wirſt Dich auf Dich ſelbſt ſtellen müſſen, und darfſt dabei, ſo weit äußere Mittel mitſprechen, unſerer Unterſtützung ſicher ſein. Du wirſt am beſten in Berlin leben (in einer großen Stadt verthut ſich dergleichen am beſten) und wirſt da zu den vielen gehören, die ſich um freie Luft und lichte Sonne gebracht haben. Du wirſt einſam leben, und wenn Du das nicht willſt, wahrſcheinlich aus Deiner Sphäre herabſteigen müſſen. Die Welt, in der Du gelebt haſt, wird Dir verſchloſſen ſein. Und was das

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896, S. 447. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_briest_1896/456>, abgerufen am 22.11.2024.