Briefbogen, ja das waren eng geschriebene Zeilen von der Mama, darin eingelegt aber waren Geld¬ scheine mit einem breiten Papierstreifen drum herum, auf dem mit Rotstift, und zwar von des Vaters Hand, der Betrag der eingelegten Summe verzeichnet war. Sie schob das Konvolut zurück und begann zu lesen, während sie sich in den Schaukelstuhl zurück¬ lehnte. Aber sie kam nicht weit, die Zeilen entfielen ihr, und aus ihrem Gesicht war alles Blut fort. Dann bückte sie sich und nahm den Brief wieder auf.
"Was ist Ihnen, liebe Freundin? Schlechte Nachrichten?"
Effi nickte, gab aber weiter keine Antwort und bat nur, ihr ein Glas Wasser reichen zu wollen. Als sie getrunken, sagte sie: "Es wird vorüber gehen, liebe Geheimrätin, aber ich möchte mich doch einen Augenblick zurückziehen ... Wenn Sie mir Afra schicken könnten."
Und nun erhob sie sich und trat in den Salon zurück, wo sie sichtlich froh war, einen Halt gewinnen und sich an dem Polysanderflügel entlang fühlen zu können. So kam sie bis an ihr nach rechts hin ge¬ legenes Zimmer, und als sie hier, tappend und suchend, die Thür geöffnet und das Bett an der Wand gegen¬ über erreicht hatte, brach sie ohnmächtig zusammen.
Effi Brieſt
Briefbogen, ja das waren eng geſchriebene Zeilen von der Mama, darin eingelegt aber waren Geld¬ ſcheine mit einem breiten Papierſtreifen drum herum, auf dem mit Rotſtift, und zwar von des Vaters Hand, der Betrag der eingelegten Summe verzeichnet war. Sie ſchob das Konvolut zurück und begann zu leſen, während ſie ſich in den Schaukelſtuhl zurück¬ lehnte. Aber ſie kam nicht weit, die Zeilen entfielen ihr, und aus ihrem Geſicht war alles Blut fort. Dann bückte ſie ſich und nahm den Brief wieder auf.
Effi nickte, gab aber weiter keine Antwort und bat nur, ihr ein Glas Waſſer reichen zu wollen. Als ſie getrunken, ſagte ſie: „Es wird vorüber gehen, liebe Geheimrätin, aber ich möchte mich doch einen Augenblick zurückziehen … Wenn Sie mir Afra ſchicken könnten.“
Und nun erhob ſie ſich und trat in den Salon zurück, wo ſie ſichtlich froh war, einen Halt gewinnen und ſich an dem Polyſanderflügel entlang fühlen zu können. So kam ſie bis an ihr nach rechts hin ge¬ legenes Zimmer, und als ſie hier, tappend und ſuchend, die Thür geöffnet und das Bett an der Wand gegen¬ über erreicht hatte, brach ſie ohnmächtig zuſammen.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0454"n="445"/><fwplace="top"type="header">Effi Brieſt<lb/></fw> Briefbogen, ja das waren eng geſchriebene Zeilen<lb/>
von der Mama, darin eingelegt aber waren Geld¬<lb/>ſcheine mit einem breiten Papierſtreifen drum herum,<lb/>
auf dem mit Rotſtift, und zwar von des Vaters<lb/>
Hand, der Betrag der eingelegten Summe verzeichnet<lb/>
war. Sie ſchob das Konvolut zurück und begann<lb/>
zu leſen, während ſie ſich in den Schaukelſtuhl zurück¬<lb/>
lehnte. Aber ſie kam nicht weit, die Zeilen entfielen<lb/>
ihr, und aus ihrem Geſicht war alles Blut fort.<lb/>
Dann bückte ſie ſich und nahm den Brief wieder auf.</p><lb/><p>„Was iſt Ihnen, liebe Freundin? Schlechte<lb/>
Nachrichten?“</p><lb/><p>Effi nickte, gab aber weiter keine Antwort und<lb/>
bat nur, ihr ein Glas Waſſer reichen zu wollen.<lb/>
Als ſie getrunken, ſagte ſie: „Es wird vorüber gehen,<lb/>
liebe Geheimrätin, aber ich möchte mich doch einen<lb/>
Augenblick zurückziehen … Wenn Sie mir Afra<lb/>ſchicken könnten.“</p><lb/><p>Und nun erhob ſie ſich und trat in den Salon<lb/>
zurück, wo ſie ſichtlich froh war, einen Halt gewinnen<lb/>
und ſich an dem Polyſanderflügel entlang fühlen zu<lb/>
können. So kam ſie bis an ihr nach rechts hin ge¬<lb/>
legenes Zimmer, und als ſie hier, tappend und ſuchend,<lb/>
die Thür geöffnet und das Bett an der Wand gegen¬<lb/>
über erreicht hatte, brach ſie ohnmächtig zuſammen.</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/></div></body></text></TEI>
[445/0454]
Effi Brieſt
Briefbogen, ja das waren eng geſchriebene Zeilen
von der Mama, darin eingelegt aber waren Geld¬
ſcheine mit einem breiten Papierſtreifen drum herum,
auf dem mit Rotſtift, und zwar von des Vaters
Hand, der Betrag der eingelegten Summe verzeichnet
war. Sie ſchob das Konvolut zurück und begann
zu leſen, während ſie ſich in den Schaukelſtuhl zurück¬
lehnte. Aber ſie kam nicht weit, die Zeilen entfielen
ihr, und aus ihrem Geſicht war alles Blut fort.
Dann bückte ſie ſich und nahm den Brief wieder auf.
„Was iſt Ihnen, liebe Freundin? Schlechte
Nachrichten?“
Effi nickte, gab aber weiter keine Antwort und
bat nur, ihr ein Glas Waſſer reichen zu wollen.
Als ſie getrunken, ſagte ſie: „Es wird vorüber gehen,
liebe Geheimrätin, aber ich möchte mich doch einen
Augenblick zurückziehen … Wenn Sie mir Afra
ſchicken könnten.“
Und nun erhob ſie ſich und trat in den Salon
zurück, wo ſie ſichtlich froh war, einen Halt gewinnen
und ſich an dem Polyſanderflügel entlang fühlen zu
können. So kam ſie bis an ihr nach rechts hin ge¬
legenes Zimmer, und als ſie hier, tappend und ſuchend,
die Thür geöffnet und das Bett an der Wand gegen¬
über erreicht hatte, brach ſie ohnmächtig zuſammen.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896, S. 445. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_briest_1896/454>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.