"... Und ich kann mir namentlich nicht denken, daß es gerade Ihnen, liebe Freundin, beschieden ge¬ wesen sein sollte, solche Sorgen und Befürchtungen durchzumachen. Sie haben, Verzeihung, daß ich diesen Punkt hier so offen berühre, gerade das, was die Männer einen ,Charme' nennen, Sie sind heiter, fesselnd, anregend und, wenn es nicht indiskret ist, so möcht' ich, angesichts dieser Ihrer Vorzüge, wohl fragen dürfen, stützt sich das, was Sie da sagen, auf allerlei Schmerzliches, das Sie persönlich erlebt haben?"
"Schmerzliches?" sagte die Zwicker. "Ach, meine liebe, gnädigste Frau, Schmerzliches, das ist ein zu großes Wort, auch dann noch, wenn man vielleicht wirklich manches erlebt hat. Schmerzlich ist einfach zu viel, viel zu viel. Und dann hat man doch schließlich auch seine Hülfsmittel und Gegenkräfte. Sie dürfen dergleichen nicht zu tragisch nehmen."
"Ich kann mir keine rechte Vorstellung von dem machen, was Sie anzudeuten belieben. Nicht, als ob ich nicht wüßte, was Sünde sei, das weiß ich auch; aber es ist doch ein Unterschied, ob man so hineingerät in allerlei schlechte Gedanken oder ob einem derlei Dinge zur halben oder auch wohl zur ganzen Lebensgewohnheit werden. Und nun gar im eigenen Hause ..."
Effi Brieſt
„… Und ich kann mir namentlich nicht denken, daß es gerade Ihnen, liebe Freundin, beſchieden ge¬ weſen ſein ſollte, ſolche Sorgen und Befürchtungen durchzumachen. Sie haben, Verzeihung, daß ich dieſen Punkt hier ſo offen berühre, gerade das, was die Männer einen ‚Charme‘ nennen, Sie ſind heiter, feſſelnd, anregend und, wenn es nicht indiskret iſt, ſo möcht' ich, angeſichts dieſer Ihrer Vorzüge, wohl fragen dürfen, ſtützt ſich das, was Sie da ſagen, auf allerlei Schmerzliches, das Sie perſönlich erlebt haben?“
„Schmerzliches?“ ſagte die Zwicker. „Ach, meine liebe, gnädigſte Frau, Schmerzliches, das iſt ein zu großes Wort, auch dann noch, wenn man vielleicht wirklich manches erlebt hat. Schmerzlich iſt einfach zu viel, viel zu viel. Und dann hat man doch ſchließlich auch ſeine Hülfsmittel und Gegenkräfte. Sie dürfen dergleichen nicht zu tragiſch nehmen.“
„Ich kann mir keine rechte Vorſtellung von dem machen, was Sie anzudeuten belieben. Nicht, als ob ich nicht wüßte, was Sünde ſei, das weiß ich auch; aber es iſt doch ein Unterſchied, ob man ſo hineingerät in allerlei ſchlechte Gedanken oder ob einem derlei Dinge zur halben oder auch wohl zur ganzen Lebensgewohnheit werden. Und nun gar im eigenen Hauſe …“
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0450"n="441"/><fwplace="top"type="header">Effi Brieſt<lb/></fw><p>„… Und ich kann mir namentlich nicht denken,<lb/>
daß es gerade Ihnen, liebe Freundin, beſchieden ge¬<lb/>
weſen ſein ſollte, ſolche Sorgen und Befürchtungen<lb/>
durchzumachen. Sie haben, Verzeihung, daß ich dieſen<lb/>
Punkt hier ſo offen berühre, gerade das, was die<lb/>
Männer einen ‚Charme‘ nennen, Sie ſind heiter,<lb/>
feſſelnd, anregend und, wenn es nicht indiskret iſt,<lb/>ſo möcht' ich, angeſichts dieſer Ihrer Vorzüge, wohl<lb/>
fragen dürfen, ſtützt ſich das, was Sie da ſagen,<lb/>
auf allerlei Schmerzliches, das Sie perſönlich erlebt<lb/>
haben?“</p><lb/><p>„Schmerzliches?“ſagte die Zwicker. „Ach, meine<lb/>
liebe, gnädigſte Frau, Schmerzliches, das iſt ein zu<lb/>
großes Wort, auch dann noch, wenn man vielleicht<lb/>
wirklich manches erlebt hat. Schmerzlich iſt einfach<lb/>
zu viel, viel zu viel. Und dann hat man doch<lb/>ſchließlich auch ſeine Hülfsmittel und Gegenkräfte.<lb/>
Sie dürfen dergleichen nicht zu tragiſch nehmen.“</p><lb/><p>„Ich kann mir keine rechte Vorſtellung von dem<lb/>
machen, was Sie anzudeuten belieben. Nicht, als<lb/>
ob ich nicht wüßte, was Sünde ſei, das weiß ich<lb/>
auch; aber es iſt doch ein Unterſchied, ob man ſo<lb/>
hineingerät in allerlei ſchlechte Gedanken oder ob<lb/>
einem derlei Dinge zur halben oder auch wohl zur<lb/>
ganzen Lebensgewohnheit werden. Und nun gar im<lb/>
eigenen Hauſe …“</p><lb/></div></body></text></TEI>
[441/0450]
Effi Brieſt
„… Und ich kann mir namentlich nicht denken,
daß es gerade Ihnen, liebe Freundin, beſchieden ge¬
weſen ſein ſollte, ſolche Sorgen und Befürchtungen
durchzumachen. Sie haben, Verzeihung, daß ich dieſen
Punkt hier ſo offen berühre, gerade das, was die
Männer einen ‚Charme‘ nennen, Sie ſind heiter,
feſſelnd, anregend und, wenn es nicht indiskret iſt,
ſo möcht' ich, angeſichts dieſer Ihrer Vorzüge, wohl
fragen dürfen, ſtützt ſich das, was Sie da ſagen,
auf allerlei Schmerzliches, das Sie perſönlich erlebt
haben?“
„Schmerzliches?“ ſagte die Zwicker. „Ach, meine
liebe, gnädigſte Frau, Schmerzliches, das iſt ein zu
großes Wort, auch dann noch, wenn man vielleicht
wirklich manches erlebt hat. Schmerzlich iſt einfach
zu viel, viel zu viel. Und dann hat man doch
ſchließlich auch ſeine Hülfsmittel und Gegenkräfte.
Sie dürfen dergleichen nicht zu tragiſch nehmen.“
„Ich kann mir keine rechte Vorſtellung von dem
machen, was Sie anzudeuten belieben. Nicht, als
ob ich nicht wüßte, was Sünde ſei, das weiß ich
auch; aber es iſt doch ein Unterſchied, ob man ſo
hineingerät in allerlei ſchlechte Gedanken oder ob
einem derlei Dinge zur halben oder auch wohl zur
ganzen Lebensgewohnheit werden. Und nun gar im
eigenen Hauſe …“
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896, S. 441. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_briest_1896/450>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.