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Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896.

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Effi Briest
Gieshübler an der Spitze. Der liebenswürdigste
Pucklige, den ich je gesehen. Von Ihnen sprach er
nicht allzu viel, aber die Frau, die Frau! Er konnte
sich nicht beruhigen, und zuletzt brach der kleine
Mann in Thränen aus. Was alles vorkommt. Es
wäre zu wünschen, daß es mehr Gieshübler gäbe.
Es giebt aber mehr andere. Und dann die Szene
im Hause des Majors ... furchtbar. Kein Wort
davon. Man hat wieder 'mal gelernt: aufpassen.
Ich sehe Sie morgen. Ihr W."

Innstetten war ganz erschüttert, als er gelesen.
Er setzte sich und schrieb seinerseits ein paar Briefe.
Als er damit zu Ende war, klingelte er: "Johanna,
die Briefe in den Kasten."

Johanna nahm die Briefe und wollte gehen.

"... Und dann, Johanna, noch eins: die Frau
kommt nicht wieder. Sie werden von anderen er¬
fahren, warum nicht. Annie darf nichts wissen,
wenigstens jetzt nicht. Das arme Kind. Sie müssen
es ihr allmählich beibringen, daß sie keine Mutter
mehr hat. Ich kann es nicht. Aber machen Sie's
gescheidt. Und daß Roswitha nicht alles verdirbt."

Johanna stand einen Augenblick ganz wie be¬
nommen da. Dann ging sie auf Innstetten zu und
küßte ihm die Hand.

Als sie wieder draußen in der Küche war, war

Effi Brieſt
Gieshübler an der Spitze. Der liebenswürdigſte
Pucklige, den ich je geſehen. Von Ihnen ſprach er
nicht allzu viel, aber die Frau, die Frau! Er konnte
ſich nicht beruhigen, und zuletzt brach der kleine
Mann in Thränen aus. Was alles vorkommt. Es
wäre zu wünſchen, daß es mehr Gieshübler gäbe.
Es giebt aber mehr andere. Und dann die Szene
im Hauſe des Majors … furchtbar. Kein Wort
davon. Man hat wieder 'mal gelernt: aufpaſſen.
Ich ſehe Sie morgen. Ihr W.“

Innſtetten war ganz erſchüttert, als er geleſen.
Er ſetzte ſich und ſchrieb ſeinerſeits ein paar Briefe.
Als er damit zu Ende war, klingelte er: „Johanna,
die Briefe in den Kaſten.“

Johanna nahm die Briefe und wollte gehen.

„… Und dann, Johanna, noch eins: die Frau
kommt nicht wieder. Sie werden von anderen er¬
fahren, warum nicht. Annie darf nichts wiſſen,
wenigſtens jetzt nicht. Das arme Kind. Sie müſſen
es ihr allmählich beibringen, daß ſie keine Mutter
mehr hat. Ich kann es nicht. Aber machen Sie's
geſcheidt. Und daß Roswitha nicht alles verdirbt.“

Johanna ſtand einen Augenblick ganz wie be¬
nommen da. Dann ging ſie auf Innſtetten zu und
küßte ihm die Hand.

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[429/0438] Effi Brieſt Gieshübler an der Spitze. Der liebenswürdigſte Pucklige, den ich je geſehen. Von Ihnen ſprach er nicht allzu viel, aber die Frau, die Frau! Er konnte ſich nicht beruhigen, und zuletzt brach der kleine Mann in Thränen aus. Was alles vorkommt. Es wäre zu wünſchen, daß es mehr Gieshübler gäbe. Es giebt aber mehr andere. Und dann die Szene im Hauſe des Majors … furchtbar. Kein Wort davon. Man hat wieder 'mal gelernt: aufpaſſen. Ich ſehe Sie morgen. Ihr W.“ Innſtetten war ganz erſchüttert, als er geleſen. Er ſetzte ſich und ſchrieb ſeinerſeits ein paar Briefe. Als er damit zu Ende war, klingelte er: „Johanna, die Briefe in den Kaſten.“ Johanna nahm die Briefe und wollte gehen. „… Und dann, Johanna, noch eins: die Frau kommt nicht wieder. Sie werden von anderen er¬ fahren, warum nicht. Annie darf nichts wiſſen, wenigſtens jetzt nicht. Das arme Kind. Sie müſſen es ihr allmählich beibringen, daß ſie keine Mutter mehr hat. Ich kann es nicht. Aber machen Sie's geſcheidt. Und daß Roswitha nicht alles verdirbt.“ Johanna ſtand einen Augenblick ganz wie be¬ nommen da. Dann ging ſie auf Innſtetten zu und küßte ihm die Hand. Als ſie wieder draußen in der Küche war, war

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896, S. 429. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_briest_1896/438>, abgerufen am 22.11.2024.