paket wieder zur Hand. Es schien, daß er, gleich beim ersten Durchsehen, ein paar davon ausgewählt und obenauf gelegt hatte. Diese las er jetzt noch einmal mit halblauter Stimme.
"Sei heute nachmittag wieder in den Dünen, hinter der Mühle. Bei der alten Adermann können wir uns ruhig sprechen, das Haus ist abgelegen genug. Du mußt Dich nicht um alles so bangen. Wir haben auch ein Recht. Und wenn Du Dir das eindringlich sagst, wird, denk ich, alle Furcht von Dir abfallen. Das Leben wäre nicht des Lebens wert, wenn das alles gelten sollte, was zufällig gilt. Alles beste liegt jenseits davon. Lerne Dich daran freuen."
"... Fort, so schreibst Du, Flucht. Unmöglich. Ich kann meine Frau nicht im Stich lassen, zu allem andern auch noch in Not. Es geht nicht, und wir müssen es leicht nehmen, sonst sind wir arm und verloren. Leichtsinn ist das beste, was wir haben. Alles ist Schicksal. Es hat so sein sollen. Und möchtest Du, daß es anders wäre, daß wir uns nie gesehen hätten?"
Dann kam der dritte Brief.
"... Sei heute noch einmal an der alten Stelle. Wie sollen meine Tage hier verlaufen ohne Dich! In diesem öden Nest. Ich bin außer mir, und nur darin hast Du recht: es ist die Rettung, und wir
Effi Brieſt
paket wieder zur Hand. Es ſchien, daß er, gleich beim erſten Durchſehen, ein paar davon ausgewählt und obenauf gelegt hatte. Dieſe las er jetzt noch einmal mit halblauter Stimme.
„Sei heute nachmittag wieder in den Dünen, hinter der Mühle. Bei der alten Adermann können wir uns ruhig ſprechen, das Haus iſt abgelegen genug. Du mußt Dich nicht um alles ſo bangen. Wir haben auch ein Recht. Und wenn Du Dir das eindringlich ſagſt, wird, denk ich, alle Furcht von Dir abfallen. Das Leben wäre nicht des Lebens wert, wenn das alles gelten ſollte, was zufällig gilt. Alles beſte liegt jenſeits davon. Lerne Dich daran freuen.“
„… Fort, ſo ſchreibſt Du, Flucht. Unmöglich. Ich kann meine Frau nicht im Stich laſſen, zu allem andern auch noch in Not. Es geht nicht, und wir müſſen es leicht nehmen, ſonſt ſind wir arm und verloren. Leichtſinn iſt das beſte, was wir haben. Alles iſt Schickſal. Es hat ſo ſein ſollen. Und möchteſt Du, daß es anders wäre, daß wir uns nie geſehen hätten?“
Dann kam der dritte Brief.
„… Sei heute noch einmal an der alten Stelle. Wie ſollen meine Tage hier verlaufen ohne Dich! In dieſem öden Neſt. Ich bin außer mir, und nur darin haſt Du recht: es iſt die Rettung, und wir
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0416"n="407"/><fwplace="top"type="header">Effi Brieſt<lb/></fw> paket wieder zur Hand. Es ſchien, daß er, gleich<lb/>
beim erſten Durchſehen, ein paar davon ausgewählt<lb/>
und obenauf gelegt hatte. Dieſe las er jetzt noch<lb/>
einmal mit halblauter Stimme.</p><lb/><p>„Sei heute nachmittag wieder in den Dünen,<lb/>
hinter der Mühle. Bei der alten Adermann können<lb/>
wir uns ruhig ſprechen, das Haus iſt abgelegen genug.<lb/>
Du mußt Dich nicht um alles ſo bangen. Wir haben<lb/><hirendition="#g">auch</hi> ein Recht. Und wenn Du Dir das eindringlich<lb/>ſagſt, wird, denk ich, alle Furcht von Dir abfallen.<lb/>
Das Leben wäre nicht des Lebens wert, wenn das<lb/>
alles gelten ſollte, was zufällig gilt. Alles beſte<lb/>
liegt jenſeits davon. Lerne Dich daran freuen.“</p><lb/><p>„… Fort, ſo ſchreibſt Du, Flucht. Unmöglich.<lb/>
Ich kann meine Frau nicht im Stich laſſen, zu allem<lb/>
andern auch noch in Not. Es geht nicht, und wir<lb/>
müſſen es leicht nehmen, ſonſt ſind wir arm und<lb/>
verloren. Leichtſinn iſt das beſte, was wir haben.<lb/>
Alles iſt Schickſal. Es hat ſo ſein ſollen. Und<lb/>
möchteſt Du, daß es anders wäre, daß wir uns nie<lb/>
geſehen hätten?“</p><lb/><p>Dann kam der dritte Brief.</p><lb/><p>„… Sei heute noch einmal an der alten Stelle.<lb/>
Wie ſollen meine Tage hier verlaufen ohne Dich!<lb/>
In dieſem öden Neſt. Ich bin außer mir, und nur<lb/>
darin haſt Du recht: es iſt die Rettung, und wir<lb/></p></div></body></text></TEI>
[407/0416]
Effi Brieſt
paket wieder zur Hand. Es ſchien, daß er, gleich
beim erſten Durchſehen, ein paar davon ausgewählt
und obenauf gelegt hatte. Dieſe las er jetzt noch
einmal mit halblauter Stimme.
„Sei heute nachmittag wieder in den Dünen,
hinter der Mühle. Bei der alten Adermann können
wir uns ruhig ſprechen, das Haus iſt abgelegen genug.
Du mußt Dich nicht um alles ſo bangen. Wir haben
auch ein Recht. Und wenn Du Dir das eindringlich
ſagſt, wird, denk ich, alle Furcht von Dir abfallen.
Das Leben wäre nicht des Lebens wert, wenn das
alles gelten ſollte, was zufällig gilt. Alles beſte
liegt jenſeits davon. Lerne Dich daran freuen.“
„… Fort, ſo ſchreibſt Du, Flucht. Unmöglich.
Ich kann meine Frau nicht im Stich laſſen, zu allem
andern auch noch in Not. Es geht nicht, und wir
müſſen es leicht nehmen, ſonſt ſind wir arm und
verloren. Leichtſinn iſt das beſte, was wir haben.
Alles iſt Schickſal. Es hat ſo ſein ſollen. Und
möchteſt Du, daß es anders wäre, daß wir uns nie
geſehen hätten?“
Dann kam der dritte Brief.
„… Sei heute noch einmal an der alten Stelle.
Wie ſollen meine Tage hier verlaufen ohne Dich!
In dieſem öden Neſt. Ich bin außer mir, und nur
darin haſt Du recht: es iſt die Rettung, und wir
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896, S. 407. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_briest_1896/416>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.