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Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896.

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Effi Briest
neben das Kind. "Es ist nichts, gnädiger Herr;
Annie ist auf das Kratzeisen gefallen ... Gott,
was wird die gnädige Frau sagen. Und doch ist
es ein Glück, daß sie nicht mit dabei war."

Innstetten hatte mittlerweile die vorläufig auf¬
gelegte Kompresse fortgenommen und sah, daß es
ein tiefer Riß, sonst aber ungefährlich war. "Es ist
nicht schlimm," sagte er; "trotzdem, Roswitha, wir
müssen sehen, daß Rummschüttel kommt. Lene kann
ja gehen, die wird jetzt Zeit haben. Aber was in
aller Welt ist denn das da mit dem Nähtisch?"

Und nun erzählte Roswitha, wie sie nach der
gerollten Binde gesucht hätten; aber sie woll' es
nun aufgeben und lieber eine neue Leinwand schneiden.

Innstetten war einverstanden und setzte sich, als
bald danach beide Mädchen das Zimmer verlassen
hatten, zu dem Kinde. "Du bist so wild, Annie,
das hast Du von der Mama. Immer wie ein Wirbel¬
wind. Aber dabei kommt nichts heraus oder höchstens
so 'was." Und er wies auf die Wunde und gab
ihr einen Kuß. "Du hast aber nicht geweint, das
ist brav, und darum will ich Dir die Wildheit ver¬
zeihen ... . Ich denke, der Doktor wird in einer
Stunde hier sein; thu' nur alles, was er sagt, und
wenn er Dich verbunden hat, so zerre nicht und rücke
und drücke nicht dran, dann heilt es schnell, und

Th. Fontane, Effi Briest. 26

Effi Brieſt
neben das Kind. „Es iſt nichts, gnädiger Herr;
Annie iſt auf das Kratzeiſen gefallen … Gott,
was wird die gnädige Frau ſagen. Und doch iſt
es ein Glück, daß ſie nicht mit dabei war.“

Innſtetten hatte mittlerweile die vorläufig auf¬
gelegte Kompreſſe fortgenommen und ſah, daß es
ein tiefer Riß, ſonſt aber ungefährlich war. „Es iſt
nicht ſchlimm,“ ſagte er; „trotzdem, Roswitha, wir
müſſen ſehen, daß Rummſchüttel kommt. Lene kann
ja gehen, die wird jetzt Zeit haben. Aber was in
aller Welt iſt denn das da mit dem Nähtiſch?“

Und nun erzählte Roswitha, wie ſie nach der
gerollten Binde geſucht hätten; aber ſie woll' es
nun aufgeben und lieber eine neue Leinwand ſchneiden.

Innſtetten war einverſtanden und ſetzte ſich, als
bald danach beide Mädchen das Zimmer verlaſſen
hatten, zu dem Kinde. „Du biſt ſo wild, Annie,
das haſt Du von der Mama. Immer wie ein Wirbel¬
wind. Aber dabei kommt nichts heraus oder höchſtens
ſo 'was.“ Und er wies auf die Wunde und gab
ihr einen Kuß. „Du haſt aber nicht geweint, das
iſt brav, und darum will ich Dir die Wildheit ver¬
zeihen … . Ich denke, der Doktor wird in einer
Stunde hier ſein; thu' nur alles, was er ſagt, und
wenn er Dich verbunden hat, ſo zerre nicht und rücke
und drücke nicht dran, dann heilt es ſchnell, und

Th. Fontane, Effi Brieſt. 26
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[401/0410] Effi Brieſt neben das Kind. „Es iſt nichts, gnädiger Herr; Annie iſt auf das Kratzeiſen gefallen … Gott, was wird die gnädige Frau ſagen. Und doch iſt es ein Glück, daß ſie nicht mit dabei war.“ Innſtetten hatte mittlerweile die vorläufig auf¬ gelegte Kompreſſe fortgenommen und ſah, daß es ein tiefer Riß, ſonſt aber ungefährlich war. „Es iſt nicht ſchlimm,“ ſagte er; „trotzdem, Roswitha, wir müſſen ſehen, daß Rummſchüttel kommt. Lene kann ja gehen, die wird jetzt Zeit haben. Aber was in aller Welt iſt denn das da mit dem Nähtiſch?“ Und nun erzählte Roswitha, wie ſie nach der gerollten Binde geſucht hätten; aber ſie woll' es nun aufgeben und lieber eine neue Leinwand ſchneiden. Innſtetten war einverſtanden und ſetzte ſich, als bald danach beide Mädchen das Zimmer verlaſſen hatten, zu dem Kinde. „Du biſt ſo wild, Annie, das haſt Du von der Mama. Immer wie ein Wirbel¬ wind. Aber dabei kommt nichts heraus oder höchſtens ſo 'was.“ Und er wies auf die Wunde und gab ihr einen Kuß. „Du haſt aber nicht geweint, das iſt brav, und darum will ich Dir die Wildheit ver¬ zeihen … . Ich denke, der Doktor wird in einer Stunde hier ſein; thu' nur alles, was er ſagt, und wenn er Dich verbunden hat, ſo zerre nicht und rücke und drücke nicht dran, dann heilt es ſchnell, und Th. Fontane, Effi Brieſt. 26

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896, S. 401. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_briest_1896/410>, abgerufen am 22.11.2024.