dessen Flügel sie offen ließ. Wie that ihr das alles so wohl. Neben dem Kirchturm stand der Mond und warf sein Licht auch auf den Rasenplatz mit der Sonnenuhr und den Heliotropbeeten. Alles schimmerte silbern, und neben den Schattenstreifen lagen weiße Lichtstreifen, so weiß, als läge Leinwand auf der Bleiche. Weiterhin aber standen die hohen Rhabarberstauden wieder, die Blätter herbstlich gelb, und sie mußte des Tages gedenken, nun erst wenig über zwei Jahre, wo sie hier mit Hulda und den Jahnke'schen Mädchen gespielt hatte. Und dann war sie, als der Besuch kam, die kleine Steintreppe neben der Bank hinaufgestiegen, und eine Stunde später war sie Braut.
Sie erhob sich und ging auf die Thür zu und horchte; Roswitha schlief schon und Annie auch.
Und mit einemmale, während sie das Kind so vor sich hatte, traten ungerufen allerlei Bilder aus den Kessiner Tagen wieder vor ihre Seele: das land¬ rätliche Haus mit seinem Giebel und die Veranda mit dem Blick auf die Plantage, und sie saß im Schaukelstuhl und wiegte sich; und nun trat Crampas an sie heran, um sie zu begrüßen, und dann kam Roswitha mit dem Kinde, und sie nahm es und hob es hoch in die Höhe und küßte es.
"Das war der erste Tag; da fing es an." Und
Effi Brieſt
deſſen Flügel ſie offen ließ. Wie that ihr das alles ſo wohl. Neben dem Kirchturm ſtand der Mond und warf ſein Licht auch auf den Raſenplatz mit der Sonnenuhr und den Heliotropbeeten. Alles ſchimmerte ſilbern, und neben den Schattenſtreifen lagen weiße Lichtſtreifen, ſo weiß, als läge Leinwand auf der Bleiche. Weiterhin aber ſtanden die hohen Rhabarberſtauden wieder, die Blätter herbſtlich gelb, und ſie mußte des Tages gedenken, nun erſt wenig über zwei Jahre, wo ſie hier mit Hulda und den Jahnke'ſchen Mädchen geſpielt hatte. Und dann war ſie, als der Beſuch kam, die kleine Steintreppe neben der Bank hinaufgeſtiegen, und eine Stunde ſpäter war ſie Braut.
Sie erhob ſich und ging auf die Thür zu und horchte; Roswitha ſchlief ſchon und Annie auch.
Und mit einemmale, während ſie das Kind ſo vor ſich hatte, traten ungerufen allerlei Bilder aus den Keſſiner Tagen wieder vor ihre Seele: das land¬ rätliche Haus mit ſeinem Giebel und die Veranda mit dem Blick auf die Plantage, und ſie ſaß im Schaukelſtuhl und wiegte ſich; und nun trat Crampas an ſie heran, um ſie zu begrüßen, und dann kam Roswitha mit dem Kinde, und ſie nahm es und hob es hoch in die Höhe und küßte es.
„Das war der erſte Tag; da fing es an.“ Und
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Effi Brieſt
deſſen Flügel ſie offen ließ. Wie that ihr das alles
ſo wohl. Neben dem Kirchturm ſtand der Mond
und warf ſein Licht auch auf den Raſenplatz mit
der Sonnenuhr und den Heliotropbeeten. Alles
ſchimmerte ſilbern, und neben den Schattenſtreifen
lagen weiße Lichtſtreifen, ſo weiß, als läge Leinwand
auf der Bleiche. Weiterhin aber ſtanden die hohen
Rhabarberſtauden wieder, die Blätter herbſtlich gelb,
und ſie mußte des Tages gedenken, nun erſt wenig
über zwei Jahre, wo ſie hier mit Hulda und den
Jahnke'ſchen Mädchen geſpielt hatte. Und dann war
ſie, als der Beſuch kam, die kleine Steintreppe neben
der Bank hinaufgeſtiegen, und eine Stunde ſpäter
war ſie Braut.
Sie erhob ſich und ging auf die Thür zu und
horchte; Roswitha ſchlief ſchon und Annie auch.
Und mit einemmale, während ſie das Kind ſo
vor ſich hatte, traten ungerufen allerlei Bilder aus
den Keſſiner Tagen wieder vor ihre Seele: das land¬
rätliche Haus mit ſeinem Giebel und die Veranda
mit dem Blick auf die Plantage, und ſie ſaß im
Schaukelſtuhl und wiegte ſich; und nun trat Crampas
an ſie heran, um ſie zu begrüßen, und dann kam
Roswitha mit dem Kinde, und ſie nahm es und hob
es hoch in die Höhe und küßte es.
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Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896, S. 380. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_briest_1896/389>, abgerufen am 16.07.2024.
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