An ihrem Hochzeitstage, dem dritten Oktober, wollte Effi wieder in Berlin sein. Nun war es der Abend vorher, und unter dem Vorgeben, daß sie packen und alles zur Rückreise vorbereiten wolle, hatte sie sich schon verhältnismäßig früh auf ihr Zimmer zurückgezogen. Eigentlich lag ihr aber nur daran, allein zu sein; so gern sie plauderte, so hatte sie doch auch Stunden, wo sie sich nach Ruhe sehnte.
Die von ihr im Oberstock bewohnten Zimmer lagen nach dem Garten hinaus; in dem kleineren schlief Roswitha und Annie, die Thür nur angelehnt, in dem größeren, das sie selber inne hatte, ging sie auf und ab; die unteren Fensterflügel waren geöffnet, und die kleinen weißen Gardinen bauschten sich in dem Zuge, der ging, und fielen dann langsam über die Stuhllehne, bis ein neuer Zugwind kam und sie wieder frei machte. Dabei war es so hell, daß man die Unterschriften unter den über dem Sofa hängenden und in schmale Goldleisten eingerahmten Bildern deutlich lesen konnte: "Der Sturm auf Düppel, Schanze V", und daneben: "König Wilhelm und Graf Bismarck auf der Höhe von Lipa". Effi schüttelte den Kopf und lächelte. "Wenn ich wieder hier bin, bitt' ich mir andere Bilder aus; ich kann so 'was Kriegerisches nicht leiden." Und nun schloß sie das eine Fenster und setzte sich an das andere,
Effi Brieſt
An ihrem Hochzeitstage, dem dritten Oktober, wollte Effi wieder in Berlin ſein. Nun war es der Abend vorher, und unter dem Vorgeben, daß ſie packen und alles zur Rückreiſe vorbereiten wolle, hatte ſie ſich ſchon verhältnismäßig früh auf ihr Zimmer zurückgezogen. Eigentlich lag ihr aber nur daran, allein zu ſein; ſo gern ſie plauderte, ſo hatte ſie doch auch Stunden, wo ſie ſich nach Ruhe ſehnte.
Die von ihr im Oberſtock bewohnten Zimmer lagen nach dem Garten hinaus; in dem kleineren ſchlief Roswitha und Annie, die Thür nur angelehnt, in dem größeren, das ſie ſelber inne hatte, ging ſie auf und ab; die unteren Fenſterflügel waren geöffnet, und die kleinen weißen Gardinen bauſchten ſich in dem Zuge, der ging, und fielen dann langſam über die Stuhllehne, bis ein neuer Zugwind kam und ſie wieder frei machte. Dabei war es ſo hell, daß man die Unterſchriften unter den über dem Sofa hängenden und in ſchmale Goldleiſten eingerahmten Bildern deutlich leſen konnte: „Der Sturm auf Düppel, Schanze V“, und daneben: „König Wilhelm und Graf Bismarck auf der Höhe von Lipa“. Effi ſchüttelte den Kopf und lächelte. „Wenn ich wieder hier bin, bitt' ich mir andere Bilder aus; ich kann ſo 'was Kriegeriſches nicht leiden.“ Und nun ſchloß ſie das eine Fenſter und ſetzte ſich an das andere,
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Effi Brieſt
An ihrem Hochzeitstage, dem dritten Oktober,
wollte Effi wieder in Berlin ſein. Nun war es der
Abend vorher, und unter dem Vorgeben, daß ſie
packen und alles zur Rückreiſe vorbereiten wolle,
hatte ſie ſich ſchon verhältnismäßig früh auf ihr Zimmer
zurückgezogen. Eigentlich lag ihr aber nur daran,
allein zu ſein; ſo gern ſie plauderte, ſo hatte ſie doch
auch Stunden, wo ſie ſich nach Ruhe ſehnte.
Die von ihr im Oberſtock bewohnten Zimmer
lagen nach dem Garten hinaus; in dem kleineren
ſchlief Roswitha und Annie, die Thür nur angelehnt,
in dem größeren, das ſie ſelber inne hatte, ging ſie
auf und ab; die unteren Fenſterflügel waren geöffnet,
und die kleinen weißen Gardinen bauſchten ſich in
dem Zuge, der ging, und fielen dann langſam über
die Stuhllehne, bis ein neuer Zugwind kam und ſie
wieder frei machte. Dabei war es ſo hell, daß
man die Unterſchriften unter den über dem Sofa
hängenden und in ſchmale Goldleiſten eingerahmten
Bildern deutlich leſen konnte: „Der Sturm auf
Düppel, Schanze V“, und daneben: „König Wilhelm
und Graf Bismarck auf der Höhe von Lipa“. Effi
ſchüttelte den Kopf und lächelte. „Wenn ich wieder
hier bin, bitt' ich mir andere Bilder aus; ich kann
ſo 'was Kriegeriſches nicht leiden.“ Und nun ſchloß
ſie das eine Fenſter und ſetzte ſich an das andere,
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Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896, S. 379. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_briest_1896/388>, abgerufen am 22.11.2024.
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