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Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896.

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Effi Briest
man auf der Gartenveranda eben den Kaffee nehmen
wollte. Schwiegervater und Schwiegersohn gingen
auf dem Kieswege zwischen den zwei Platanen auf
und ab. Briest sprach von dem Schwierigen einer
landrätlichen Stellung; sie sei ihm verschiedentlich
angetragen worden, aber er habe jedesmal gedankt.
"So nach meinem eigenen Willen schalten und walten
zu können, ist mir immer das Liebste gewesen, jedenfalls
lieber -- Pardon, Innstetten -- als so die Blicke be¬
ständig nach oben richten zu müssen. Man hat dann
bloß immer Sinn und Merk für hohe und höchste
Vorgesetzte. Das ist nichts für mich. Hier leb' ich so
frei weg und freue mich über jedes grüne Blatt und
über den wilden Wein, der da drüben in die Fenster
wächst."

Er sprach noch mehr dergleichen, allerhand Anti¬
beamtliches, und entschuldigte sich von Zeit zu Zeit
mit einem kurzen, verschiedentlich wiederkehrenden
"Pardon, Innstetten." Dieser nickte mechanisch zu¬
stimmend, war aber eigentlich wenig bei der Sache,
sah vielmehr, wie gebannt, immer aufs neue nach
dem drüben am Fenster rankenden wilden Wein hin¬
über, von dem Briest eben gesprochen, und während
er dem nachhing, war es ihm, als säh' er wieder die
rotblonden Mädchenköpfe zwischen den Weinranken und
höre dabei den übermütigen Zuruf: "Effi, komm'."

Effi Brieſt
man auf der Gartenveranda eben den Kaffee nehmen
wollte. Schwiegervater und Schwiegerſohn gingen
auf dem Kieswege zwiſchen den zwei Platanen auf
und ab. Brieſt ſprach von dem Schwierigen einer
landrätlichen Stellung; ſie ſei ihm verſchiedentlich
angetragen worden, aber er habe jedesmal gedankt.
„So nach meinem eigenen Willen ſchalten und walten
zu können, iſt mir immer das Liebſte geweſen, jedenfalls
lieber — Pardon, Innſtetten — als ſo die Blicke be¬
ſtändig nach oben richten zu müſſen. Man hat dann
bloß immer Sinn und Merk für hohe und höchſte
Vorgeſetzte. Das iſt nichts für mich. Hier leb' ich ſo
frei weg und freue mich über jedes grüne Blatt und
über den wilden Wein, der da drüben in die Fenſter
wächſt.“

Er ſprach noch mehr dergleichen, allerhand Anti¬
beamtliches, und entſchuldigte ſich von Zeit zu Zeit
mit einem kurzen, verſchiedentlich wiederkehrenden
„Pardon, Innſtetten.“ Dieſer nickte mechaniſch zu¬
ſtimmend, war aber eigentlich wenig bei der Sache,
ſah vielmehr, wie gebannt, immer aufs neue nach
dem drüben am Fenſter rankenden wilden Wein hin¬
über, von dem Brieſt eben geſprochen, und während
er dem nachhing, war es ihm, als ſäh' er wieder die
rotblonden Mädchenköpfe zwiſchen den Weinranken und
höre dabei den übermütigen Zuruf: „Effi, komm'.“

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[26/0035] Effi Brieſt man auf der Gartenveranda eben den Kaffee nehmen wollte. Schwiegervater und Schwiegerſohn gingen auf dem Kieswege zwiſchen den zwei Platanen auf und ab. Brieſt ſprach von dem Schwierigen einer landrätlichen Stellung; ſie ſei ihm verſchiedentlich angetragen worden, aber er habe jedesmal gedankt. „So nach meinem eigenen Willen ſchalten und walten zu können, iſt mir immer das Liebſte geweſen, jedenfalls lieber — Pardon, Innſtetten — als ſo die Blicke be¬ ſtändig nach oben richten zu müſſen. Man hat dann bloß immer Sinn und Merk für hohe und höchſte Vorgeſetzte. Das iſt nichts für mich. Hier leb' ich ſo frei weg und freue mich über jedes grüne Blatt und über den wilden Wein, der da drüben in die Fenſter wächſt.“ Er ſprach noch mehr dergleichen, allerhand Anti¬ beamtliches, und entſchuldigte ſich von Zeit zu Zeit mit einem kurzen, verſchiedentlich wiederkehrenden „Pardon, Innſtetten.“ Dieſer nickte mechaniſch zu¬ ſtimmend, war aber eigentlich wenig bei der Sache, ſah vielmehr, wie gebannt, immer aufs neue nach dem drüben am Fenſter rankenden wilden Wein hin¬ über, von dem Brieſt eben geſprochen, und während er dem nachhing, war es ihm, als ſäh' er wieder die rotblonden Mädchenköpfe zwiſchen den Weinranken und höre dabei den übermütigen Zuruf: „Effi, komm'.“

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_briest_1896/35>, abgerufen am 24.11.2024.