einen andern Plan gemacht, und im selben Augen¬ blicke, wo sein Schlitten die Bohlenbrücke passierte, bog er, statt den Außenweg zu wählen, in einen schmaleren Weg ein, der mitten durch die dichte Waldmasse hindurch führte. Effi schrak zusammen. Bis dahin waren Luft und Licht um sie her gewesen, aber jetzt war es damit vorbei, und die dunklen Kronen wölbten sich über ihr. Ein Zittern überkam sie, und sie schob die Finger fest in einander, um sich einen Halt zu geben. Gedanken und Bilder jagten sich und eines dieser Bilder war das Mütterchen in dem Gedichte, das die "Gottesmauer" hieß, und wie das Mütterchen, so betete auch sie jetzt, daß Gott eine Mauer um sie her bauen möge. Zwei, drei Male kam es auch über ihre Lippen, aber mit einem¬ mal fühlte sie, daß es tote Worte waren. Sie fürchtete sich und war doch zugleich wie in einem Zauberbann und wollte auch nicht heraus.
"Effi," klang es jetzt leis an ihr Ohr, und sie hörte, daß seine Stimme zitterte. Dann nahm er ihre Hand und löste die Finger, die sie noch immer geschlossen hielt, und überdeckte sie mit heißen Küssen. Es war ihr, als wandle sie eine Ohnmacht an.
Als sie die Augen wieder öffnete, war man aus dem Walde heraus, und in geringer Entfernung vor sich hörte sie das Geläut der vorauf eilenden
Effi Brieſt
einen andern Plan gemacht, und im ſelben Augen¬ blicke, wo ſein Schlitten die Bohlenbrücke paſſierte, bog er, ſtatt den Außenweg zu wählen, in einen ſchmaleren Weg ein, der mitten durch die dichte Waldmaſſe hindurch führte. Effi ſchrak zuſammen. Bis dahin waren Luft und Licht um ſie her geweſen, aber jetzt war es damit vorbei, und die dunklen Kronen wölbten ſich über ihr. Ein Zittern überkam ſie, und ſie ſchob die Finger feſt in einander, um ſich einen Halt zu geben. Gedanken und Bilder jagten ſich und eines dieſer Bilder war das Mütterchen in dem Gedichte, das die „Gottesmauer“ hieß, und wie das Mütterchen, ſo betete auch ſie jetzt, daß Gott eine Mauer um ſie her bauen möge. Zwei, drei Male kam es auch über ihre Lippen, aber mit einem¬ mal fühlte ſie, daß es tote Worte waren. Sie fürchtete ſich und war doch zugleich wie in einem Zauberbann und wollte auch nicht heraus.
„Effi,“ klang es jetzt leis an ihr Ohr, und ſie hörte, daß ſeine Stimme zitterte. Dann nahm er ihre Hand und löſte die Finger, die ſie noch immer geſchloſſen hielt, und überdeckte ſie mit heißen Küſſen. Es war ihr, als wandle ſie eine Ohnmacht an.
Als ſie die Augen wieder öffnete, war man aus dem Walde heraus, und in geringer Entfernung vor ſich hörte ſie das Geläut der vorauf eilenden
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0289"n="280"/><fwplace="top"type="header">Effi Brieſt<lb/></fw> einen andern Plan gemacht, und im ſelben Augen¬<lb/>
blicke, wo ſein Schlitten die Bohlenbrücke paſſierte,<lb/>
bog er, ſtatt den Außenweg zu wählen, in einen<lb/>ſchmaleren Weg ein, der mitten durch die dichte<lb/>
Waldmaſſe hindurch führte. Effi ſchrak zuſammen.<lb/>
Bis dahin waren Luft und Licht um ſie her geweſen,<lb/>
aber jetzt war es damit vorbei, und die dunklen<lb/>
Kronen wölbten ſich über ihr. Ein Zittern überkam<lb/>ſie, und ſie ſchob die Finger feſt in einander, um ſich<lb/>
einen Halt zu geben. Gedanken und Bilder jagten<lb/>ſich und eines dieſer Bilder war das Mütterchen in<lb/>
dem Gedichte, das die „Gottesmauer“ hieß, und wie<lb/>
das Mütterchen, ſo betete auch ſie jetzt, daß Gott<lb/>
eine Mauer um ſie her bauen möge. Zwei, drei<lb/>
Male kam es auch über ihre Lippen, aber mit einem¬<lb/>
mal fühlte ſie, daß es tote Worte waren. Sie<lb/>
fürchtete ſich und war doch zugleich wie in einem<lb/>
Zauberbann und wollte auch nicht heraus.</p><lb/><p>„Effi,“ klang es jetzt leis an ihr Ohr, und ſie<lb/>
hörte, daß ſeine Stimme zitterte. Dann nahm er<lb/>
ihre Hand und löſte die Finger, die ſie noch immer<lb/>
geſchloſſen hielt, und überdeckte ſie mit heißen Küſſen.<lb/>
Es war ihr, als wandle ſie eine Ohnmacht an.</p><lb/><p>Als ſie die Augen wieder öffnete, war man<lb/>
aus dem Walde heraus, und in geringer Entfernung<lb/>
vor ſich hörte ſie das Geläut der vorauf eilenden<lb/></p></div></body></text></TEI>
[280/0289]
Effi Brieſt
einen andern Plan gemacht, und im ſelben Augen¬
blicke, wo ſein Schlitten die Bohlenbrücke paſſierte,
bog er, ſtatt den Außenweg zu wählen, in einen
ſchmaleren Weg ein, der mitten durch die dichte
Waldmaſſe hindurch führte. Effi ſchrak zuſammen.
Bis dahin waren Luft und Licht um ſie her geweſen,
aber jetzt war es damit vorbei, und die dunklen
Kronen wölbten ſich über ihr. Ein Zittern überkam
ſie, und ſie ſchob die Finger feſt in einander, um ſich
einen Halt zu geben. Gedanken und Bilder jagten
ſich und eines dieſer Bilder war das Mütterchen in
dem Gedichte, das die „Gottesmauer“ hieß, und wie
das Mütterchen, ſo betete auch ſie jetzt, daß Gott
eine Mauer um ſie her bauen möge. Zwei, drei
Male kam es auch über ihre Lippen, aber mit einem¬
mal fühlte ſie, daß es tote Worte waren. Sie
fürchtete ſich und war doch zugleich wie in einem
Zauberbann und wollte auch nicht heraus.
„Effi,“ klang es jetzt leis an ihr Ohr, und ſie
hörte, daß ſeine Stimme zitterte. Dann nahm er
ihre Hand und löſte die Finger, die ſie noch immer
geſchloſſen hielt, und überdeckte ſie mit heißen Küſſen.
Es war ihr, als wandle ſie eine Ohnmacht an.
Als ſie die Augen wieder öffnete, war man
aus dem Walde heraus, und in geringer Entfernung
vor ſich hörte ſie das Geläut der vorauf eilenden
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896, S. 280. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_briest_1896/289>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.