nicht anzunehmen, und selbst wenn dies sein sollte, so war ihre Vortragskunst so groß, daß der Inhalt dadurch geadelt wurde. "Liebe Marietta," nahm er also das Wort, "ich habe unser kleines Mahl zu acht Uhr bestellt. Wir hätten also noch dreiviertel Stunden, wenn Sie nicht vielleicht vorziehen, während Tisch ein heitres Lied zu singen oder vielleicht erst, wenn wir von Tisch aufgestanden sind ..."
"Ich bitte Sie, Gieshübler! Sie, der Mann der Ästhetik. Es giebt nichts Unästhetischeres, als einen Gesangsvortrag mit vollem Magen. Außer¬ dem -- und ich weiß, Sie sind ein Mann der aus¬ gesuchten Küche, ja, Gourmand -- außerdem schmeckt es besser, wenn man die Sache hinter sich hat. Erst Kunst und dann Nußeis, das ist die richtige Reihen¬ folge."
"Also ich darf Ihnen die Noten bringen, Marietta?"
"Noten bringen. Ja, was heißt das, Gies¬ hübler? Wie ich Sie kenne, werden Sie ganze Schränke voll Noten haben, und ich kann Ihnen doch nicht den ganzen Bock und Bote vorspielen. Noten! Was für Noten, Gieshübler, darauf kommt es an. Und dann das es richtig liegt, Altstimme ..."
"Nun ich werde schon bringen."
Und er machte sich an einem Schranke zu
Effi Brieſt
nicht anzunehmen, und ſelbſt wenn dies ſein ſollte, ſo war ihre Vortragskunſt ſo groß, daß der Inhalt dadurch geadelt wurde. „Liebe Marietta,“ nahm er alſo das Wort, „ich habe unſer kleines Mahl zu acht Uhr beſtellt. Wir hätten alſo noch dreiviertel Stunden, wenn Sie nicht vielleicht vorziehen, während Tiſch ein heitres Lied zu ſingen oder vielleicht erſt, wenn wir von Tiſch aufgeſtanden ſind …“
„Ich bitte Sie, Gieshübler! Sie, der Mann der Äſthetik. Es giebt nichts Unäſthetiſcheres, als einen Geſangsvortrag mit vollem Magen. Außer¬ dem — und ich weiß, Sie ſind ein Mann der aus¬ geſuchten Küche, ja, Gourmand — außerdem ſchmeckt es beſſer, wenn man die Sache hinter ſich hat. Erſt Kunſt und dann Nußeis, das iſt die richtige Reihen¬ folge.“
„Alſo ich darf Ihnen die Noten bringen, Marietta?“
„Noten bringen. Ja, was heißt das, Gies¬ hübler? Wie ich Sie kenne, werden Sie ganze Schränke voll Noten haben, und ich kann Ihnen doch nicht den ganzen Bock und Bote vorſpielen. Noten! Was für Noten, Gieshübler, darauf kommt es an. Und dann das es richtig liegt, Altſtimme …“
„Nun ich werde ſchon bringen.“
Und er machte ſich an einem Schranke zu
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0162"n="153"/><fwplace="top"type="header">Effi Brieſt<lb/></fw> nicht anzunehmen, und ſelbſt wenn dies ſein ſollte,<lb/>ſo war ihre Vortragskunſt ſo groß, daß der Inhalt<lb/>
dadurch geadelt wurde. „Liebe Marietta,“ nahm er<lb/>
alſo das Wort, „ich habe unſer kleines Mahl zu<lb/>
acht Uhr beſtellt. Wir hätten alſo noch dreiviertel<lb/>
Stunden, wenn Sie nicht vielleicht vorziehen, während<lb/>
Tiſch ein heitres Lied zu ſingen oder vielleicht erſt,<lb/>
wenn wir von Tiſch aufgeſtanden ſind …“</p><lb/><p>„Ich bitte Sie, Gieshübler! Sie, der Mann<lb/>
der Äſthetik. Es giebt nichts Unäſthetiſcheres, als<lb/>
einen Geſangsvortrag mit vollem Magen. Außer¬<lb/>
dem — und ich weiß, Sie ſind ein Mann der aus¬<lb/>
geſuchten Küche, ja, Gourmand — außerdem ſchmeckt<lb/>
es beſſer, wenn man die Sache hinter ſich hat. Erſt<lb/>
Kunſt und dann Nußeis, das iſt die richtige Reihen¬<lb/>
folge.“</p><lb/><p>„Alſo ich darf Ihnen die Noten bringen,<lb/>
Marietta?“</p><lb/><p>„Noten bringen. Ja, was heißt das, Gies¬<lb/>
hübler? Wie ich Sie kenne, werden Sie ganze<lb/>
Schränke voll Noten haben, und ich kann Ihnen<lb/>
doch nicht den ganzen Bock und Bote vorſpielen.<lb/>
Noten! <hirendition="#g">Was</hi> für Noten, Gieshübler, darauf kommt<lb/>
es an. Und dann das es richtig liegt, Altſtimme …“</p><lb/><p>„Nun ich werde ſchon bringen.“</p><lb/><p>Und er machte ſich an einem Schranke zu<lb/></p></div></body></text></TEI>
[153/0162]
Effi Brieſt
nicht anzunehmen, und ſelbſt wenn dies ſein ſollte,
ſo war ihre Vortragskunſt ſo groß, daß der Inhalt
dadurch geadelt wurde. „Liebe Marietta,“ nahm er
alſo das Wort, „ich habe unſer kleines Mahl zu
acht Uhr beſtellt. Wir hätten alſo noch dreiviertel
Stunden, wenn Sie nicht vielleicht vorziehen, während
Tiſch ein heitres Lied zu ſingen oder vielleicht erſt,
wenn wir von Tiſch aufgeſtanden ſind …“
„Ich bitte Sie, Gieshübler! Sie, der Mann
der Äſthetik. Es giebt nichts Unäſthetiſcheres, als
einen Geſangsvortrag mit vollem Magen. Außer¬
dem — und ich weiß, Sie ſind ein Mann der aus¬
geſuchten Küche, ja, Gourmand — außerdem ſchmeckt
es beſſer, wenn man die Sache hinter ſich hat. Erſt
Kunſt und dann Nußeis, das iſt die richtige Reihen¬
folge.“
„Alſo ich darf Ihnen die Noten bringen,
Marietta?“
„Noten bringen. Ja, was heißt das, Gies¬
hübler? Wie ich Sie kenne, werden Sie ganze
Schränke voll Noten haben, und ich kann Ihnen
doch nicht den ganzen Bock und Bote vorſpielen.
Noten! Was für Noten, Gieshübler, darauf kommt
es an. Und dann das es richtig liegt, Altſtimme …“
„Nun ich werde ſchon bringen.“
Und er machte ſich an einem Schranke zu
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_briest_1896/162>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.