Eisenbahn war, im Schlitten zu machen vorhatte. "Warte nicht auf mich, Effi. Vor Mitternacht kann ich nicht zurück sein; wahrscheinlich wird es zwei oder noch später. Ich störe Dich aber nicht. Gehab Dich wohl und auf Wiedersehen morgen früh." Und damit stieg er ein, und die beiden isabellfarbenen Graditzer jagten im Fluge durch die Stadt hin und dann landeinwärts auf den Bahnhof zu.
Das war die erste lange Trennung, fast auf zwölf Stunden. Arme Effi. Wie sollte sie den Abend verbringen? Früh zu Bett, das war gefährlich, dann wachte sie auf und konnte nicht wieder ein¬ schlafen und horchte auf alles. Nein, erst recht müde werden und dann ein fester Schlaf, das war das Beste. Sie schrieb einen Brief an die Mama und ging dann zu der Frau Kruse, deren gemütskranker Zustand -- sie hatte das schwarze Huhn oft bis in die Nacht hinein auf ihrem Schoß -- ihr Teilnahme einflößte. Die Freundlichkeit indessen, die sich darin aussprach, wurde von der in ihrer überheizten Stube sitzenden und nur still und stumm vor sich hinbrüten¬ den Frau keinen Augenblick erwidert, weshalb Effi, als sie wahrnahm, daß ihr Besuch mehr als Störung wie als Freude empfunden wurde, wieder ging und nur noch fragte, ob die Kranke etwas haben wolle. Diese lehnte aber alles ab.
Th. Fontane, Effi Briest. 8
Effi Brieſt
Eiſenbahn war, im Schlitten zu machen vorhatte. „Warte nicht auf mich, Effi. Vor Mitternacht kann ich nicht zurück ſein; wahrſcheinlich wird es zwei oder noch ſpäter. Ich ſtöre Dich aber nicht. Gehab Dich wohl und auf Wiederſehen morgen früh.“ Und damit ſtieg er ein, und die beiden iſabellfarbenen Graditzer jagten im Fluge durch die Stadt hin und dann landeinwärts auf den Bahnhof zu.
Das war die erſte lange Trennung, faſt auf zwölf Stunden. Arme Effi. Wie ſollte ſie den Abend verbringen? Früh zu Bett, das war gefährlich, dann wachte ſie auf und konnte nicht wieder ein¬ ſchlafen und horchte auf alles. Nein, erſt recht müde werden und dann ein feſter Schlaf, das war das Beſte. Sie ſchrieb einen Brief an die Mama und ging dann zu der Frau Kruſe, deren gemütskranker Zuſtand — ſie hatte das ſchwarze Huhn oft bis in die Nacht hinein auf ihrem Schoß — ihr Teilnahme einflößte. Die Freundlichkeit indeſſen, die ſich darin ausſprach, wurde von der in ihrer überheizten Stube ſitzenden und nur ſtill und ſtumm vor ſich hinbrüten¬ den Frau keinen Augenblick erwidert, weshalb Effi, als ſie wahrnahm, daß ihr Beſuch mehr als Störung wie als Freude empfunden wurde, wieder ging und nur noch fragte, ob die Kranke etwas haben wolle. Dieſe lehnte aber alles ab.
Th. Fontane, Effi Brieſt. 8
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Effi Brieſt
Eiſenbahn war, im Schlitten zu machen vorhatte.
„Warte nicht auf mich, Effi. Vor Mitternacht kann
ich nicht zurück ſein; wahrſcheinlich wird es zwei
oder noch ſpäter. Ich ſtöre Dich aber nicht. Gehab
Dich wohl und auf Wiederſehen morgen früh.“
Und damit ſtieg er ein, und die beiden iſabellfarbenen
Graditzer jagten im Fluge durch die Stadt hin und
dann landeinwärts auf den Bahnhof zu.
Das war die erſte lange Trennung, faſt auf
zwölf Stunden. Arme Effi. Wie ſollte ſie den
Abend verbringen? Früh zu Bett, das war gefährlich,
dann wachte ſie auf und konnte nicht wieder ein¬
ſchlafen und horchte auf alles. Nein, erſt recht müde
werden und dann ein feſter Schlaf, das war das
Beſte. Sie ſchrieb einen Brief an die Mama und
ging dann zu der Frau Kruſe, deren gemütskranker
Zuſtand — ſie hatte das ſchwarze Huhn oft bis in
die Nacht hinein auf ihrem Schoß — ihr Teilnahme
einflößte. Die Freundlichkeit indeſſen, die ſich darin
ausſprach, wurde von der in ihrer überheizten Stube
ſitzenden und nur ſtill und ſtumm vor ſich hinbrüten¬
den Frau keinen Augenblick erwidert, weshalb Effi,
als ſie wahrnahm, daß ihr Beſuch mehr als Störung
wie als Freude empfunden wurde, wieder ging und
nur noch fragte, ob die Kranke etwas haben wolle.
Dieſe lehnte aber alles ab.
Th. Fontane, Effi Brieſt. 8
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Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_briest_1896/122>, abgerufen am 27.11.2024.
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