Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896.

Bild:
<< vorherige Seite

Effi Briest
bunt durcheinander, dazwischen, noch vom Lunch her,
ein paar Dessertteller und eine mit großen, schönen
Stachelbeeren gefüllte Majolikaschale. Rasch und
sicher ging die Wollnadel der Damen hin und her,
aber während die Mutter kein Auge von der Arbeit
ließ, legte die Tochter, die den Rufnamen Effi führte,
von Zeit zu Zeit die Nadel nieder und erhob sich,
um unter allerlei kunstgerechten Beugungen und
Streckungen den ganzen Kursus der Heil- und Zimmer¬
gymnastik durchzumachen. Es war ersichtlich, daß
sie sich diesen absichtlich ein wenig ins Komische ge¬
zogenen Übungen mit ganz besonderer Liebe hingab,
und wenn sie dann so dastand und langsam die
Arme hebend, die Handflächen hoch über dem Kopf
zusammenlegte, so sah auch wohl die Mama von
ihrer Handarbeit auf, aber immer nur flüchtig und
verstohlen, weil sie nicht zeigen wollte, wie entzückend
sie ihr eigenes Kind finde, zu welcher Regung mütter¬
lichen Stolzes sie vollberechtigt war. Effi trug ein
blau und weiß gestreiftes, halb kittelartiges Lein¬
wandkleid, dem erst ein fest zusammengezogener,
bronzefarbener Ledergürtel die Taille gab; der Hals
war frei, und über Schulter und Nacken fiel ein
breiter Matrosenkragen. In allem, was sie that,
paarte sich Übermut und Grazie, während ihre
lachenden braunen Augen eine große, natürliche Klug¬

1*

Effi Brieſt
bunt durcheinander, dazwiſchen, noch vom Lunch her,
ein paar Deſſertteller und eine mit großen, ſchönen
Stachelbeeren gefüllte Majolikaſchale. Raſch und
ſicher ging die Wollnadel der Damen hin und her,
aber während die Mutter kein Auge von der Arbeit
ließ, legte die Tochter, die den Rufnamen Effi führte,
von Zeit zu Zeit die Nadel nieder und erhob ſich,
um unter allerlei kunſtgerechten Beugungen und
Streckungen den ganzen Kurſus der Heil- und Zimmer¬
gymnaſtik durchzumachen. Es war erſichtlich, daß
ſie ſich dieſen abſichtlich ein wenig ins Komiſche ge¬
zogenen Übungen mit ganz beſonderer Liebe hingab,
und wenn ſie dann ſo daſtand und langſam die
Arme hebend, die Handflächen hoch über dem Kopf
zuſammenlegte, ſo ſah auch wohl die Mama von
ihrer Handarbeit auf, aber immer nur flüchtig und
verſtohlen, weil ſie nicht zeigen wollte, wie entzückend
ſie ihr eigenes Kind finde, zu welcher Regung mütter¬
lichen Stolzes ſie vollberechtigt war. Effi trug ein
blau und weiß geſtreiftes, halb kittelartiges Lein¬
wandkleid, dem erſt ein feſt zuſammengezogener,
bronzefarbener Ledergürtel die Taille gab; der Hals
war frei, und über Schulter und Nacken fiel ein
breiter Matroſenkragen. In allem, was ſie that,
paarte ſich Übermut und Grazie, während ihre
lachenden braunen Augen eine große, natürliche Klug¬

1*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0012" n="3"/><fw place="top" type="header">Effi Brie&#x017F;t<lb/></fw>bunt durcheinander, dazwi&#x017F;chen, noch vom Lunch her,<lb/>
ein paar De&#x017F;&#x017F;ertteller und eine mit großen, &#x017F;chönen<lb/>
Stachelbeeren gefüllte Majolika&#x017F;chale. Ra&#x017F;ch und<lb/>
&#x017F;icher ging die Wollnadel der Damen hin und her,<lb/>
aber während die Mutter kein Auge von der Arbeit<lb/>
ließ, legte die Tochter, die den Rufnamen Effi führte,<lb/>
von Zeit zu Zeit die Nadel nieder und erhob &#x017F;ich,<lb/>
um unter allerlei kun&#x017F;tgerechten Beugungen und<lb/>
Streckungen den ganzen Kur&#x017F;us der Heil- und Zimmer¬<lb/>
gymna&#x017F;tik durchzumachen. Es war er&#x017F;ichtlich, daß<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;ich die&#x017F;en ab&#x017F;ichtlich ein wenig ins Komi&#x017F;che ge¬<lb/>
zogenen Übungen mit ganz be&#x017F;onderer Liebe hingab,<lb/>
und wenn &#x017F;ie dann &#x017F;o da&#x017F;tand und lang&#x017F;am die<lb/>
Arme hebend, die Handflächen hoch über dem Kopf<lb/>
zu&#x017F;ammenlegte, &#x017F;o &#x017F;ah auch wohl die Mama von<lb/>
ihrer Handarbeit auf, aber immer nur flüchtig und<lb/>
ver&#x017F;tohlen, weil &#x017F;ie nicht zeigen wollte, wie entzückend<lb/>
&#x017F;ie ihr eigenes Kind finde, zu welcher Regung mütter¬<lb/>
lichen Stolzes &#x017F;ie vollberechtigt war. Effi trug ein<lb/>
blau und weiß ge&#x017F;treiftes, halb kittelartiges Lein¬<lb/>
wandkleid, dem er&#x017F;t ein fe&#x017F;t zu&#x017F;ammengezogener,<lb/>
bronzefarbener Ledergürtel die Taille gab; der Hals<lb/>
war frei, und über Schulter und Nacken fiel ein<lb/>
breiter Matro&#x017F;enkragen. In allem, was &#x017F;ie that,<lb/>
paarte &#x017F;ich Übermut und Grazie, während ihre<lb/>
lachenden braunen Augen eine große, natürliche Klug¬<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">1*<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[3/0012] Effi Brieſt bunt durcheinander, dazwiſchen, noch vom Lunch her, ein paar Deſſertteller und eine mit großen, ſchönen Stachelbeeren gefüllte Majolikaſchale. Raſch und ſicher ging die Wollnadel der Damen hin und her, aber während die Mutter kein Auge von der Arbeit ließ, legte die Tochter, die den Rufnamen Effi führte, von Zeit zu Zeit die Nadel nieder und erhob ſich, um unter allerlei kunſtgerechten Beugungen und Streckungen den ganzen Kurſus der Heil- und Zimmer¬ gymnaſtik durchzumachen. Es war erſichtlich, daß ſie ſich dieſen abſichtlich ein wenig ins Komiſche ge¬ zogenen Übungen mit ganz beſonderer Liebe hingab, und wenn ſie dann ſo daſtand und langſam die Arme hebend, die Handflächen hoch über dem Kopf zuſammenlegte, ſo ſah auch wohl die Mama von ihrer Handarbeit auf, aber immer nur flüchtig und verſtohlen, weil ſie nicht zeigen wollte, wie entzückend ſie ihr eigenes Kind finde, zu welcher Regung mütter¬ lichen Stolzes ſie vollberechtigt war. Effi trug ein blau und weiß geſtreiftes, halb kittelartiges Lein¬ wandkleid, dem erſt ein feſt zuſammengezogener, bronzefarbener Ledergürtel die Taille gab; der Hals war frei, und über Schulter und Nacken fiel ein breiter Matroſenkragen. In allem, was ſie that, paarte ſich Übermut und Grazie, während ihre lachenden braunen Augen eine große, natürliche Klug¬ 1*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_briest_1896
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_briest_1896/12
Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_briest_1896/12>, abgerufen am 27.12.2024.