Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896.Effi Briest Bedientenstube, Rollkammer, links eine zwischen Pferde¬stall und Wagenremise gelegene, von der Familie Kruse bewohnte Kutscherwohnung. Über dieser, in einem Verschlage, waren die Hühner einlogiert und eine Dachklappe über dem Pferdestall bildete den Aus- und Einschlupf für die Tauben. All dies hatte sich Effi mit vielem Interesse angesehen, aber dies Interesse sah sich doch weit überholt, als sie, nach ihrer Rück¬ kehr vom Hof ins Vorderhaus, unter Innstettens Führung die nach oben führende Treppe hinauf¬ gestiegen war. Diese war schief, baufällig, dunkel; der Flur dagegen, auf den sie mündete, wirkte beinah' heiter, weil er viel Licht und einen guten land¬ schaftlichen Ausblick hatte: nach der einen Seite hin, über die Dächer des Stadtrandes und die "Plantage" fort, auf eine hoch auf einer Düne stehende hol¬ ländische Windmühle, nach der anderen Seite hin auf die Kessine, die hier, unmittelbar vor ihrer Ein¬ mündung, ziemlich breit war und einen stattlichen Eindruck machte. Diesem Eindruck konnte man sich unmöglich entziehen, und Effi hatte denn auch nicht gesäumt, ihrer Freude lebhaften Ausdruck zu geben. "Ja, sehr schön, sehr malerisch," hatte Innstetten, ohne weiter darauf einzugehen, geantwortet, und dann eine mit ihren Flügeln etwas schief hängende Doppelthür geöffnet, die nach rechts hin in den so¬ Th. Fontane, Effi Briest. 7
Effi Brieſt Bedientenſtube, Rollkammer, links eine zwiſchen Pferde¬ſtall und Wagenremiſe gelegene, von der Familie Kruſe bewohnte Kutſcherwohnung. Über dieſer, in einem Verſchlage, waren die Hühner einlogiert und eine Dachklappe über dem Pferdeſtall bildete den Aus- und Einſchlupf für die Tauben. All dies hatte ſich Effi mit vielem Intereſſe angeſehen, aber dies Intereſſe ſah ſich doch weit überholt, als ſie, nach ihrer Rück¬ kehr vom Hof ins Vorderhaus, unter Innſtettens Führung die nach oben führende Treppe hinauf¬ geſtiegen war. Dieſe war ſchief, baufällig, dunkel; der Flur dagegen, auf den ſie mündete, wirkte beinah' heiter, weil er viel Licht und einen guten land¬ ſchaftlichen Ausblick hatte: nach der einen Seite hin, über die Dächer des Stadtrandes und die „Plantage“ fort, auf eine hoch auf einer Düne ſtehende hol¬ ländiſche Windmühle, nach der anderen Seite hin auf die Keſſine, die hier, unmittelbar vor ihrer Ein¬ mündung, ziemlich breit war und einen ſtattlichen Eindruck machte. Dieſem Eindruck konnte man ſich unmöglich entziehen, und Effi hatte denn auch nicht geſäumt, ihrer Freude lebhaften Ausdruck zu geben. „Ja, ſehr ſchön, ſehr maleriſch,“ hatte Innſtetten, ohne weiter darauf einzugehen, geantwortet, und dann eine mit ihren Flügeln etwas ſchief hängende Doppelthür geöffnet, die nach rechts hin in den ſo¬ Th. Fontane, Effi Brieſt. 7
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Effi Brieſt
Bedientenſtube, Rollkammer, links eine zwiſchen Pferde¬
ſtall und Wagenremiſe gelegene, von der Familie
Kruſe bewohnte Kutſcherwohnung. Über dieſer, in
einem Verſchlage, waren die Hühner einlogiert und
eine Dachklappe über dem Pferdeſtall bildete den Aus-
und Einſchlupf für die Tauben. All dies hatte ſich
Effi mit vielem Intereſſe angeſehen, aber dies Intereſſe
ſah ſich doch weit überholt, als ſie, nach ihrer Rück¬
kehr vom Hof ins Vorderhaus, unter Innſtettens
Führung die nach oben führende Treppe hinauf¬
geſtiegen war. Dieſe war ſchief, baufällig, dunkel;
der Flur dagegen, auf den ſie mündete, wirkte beinah'
heiter, weil er viel Licht und einen guten land¬
ſchaftlichen Ausblick hatte: nach der einen Seite hin,
über die Dächer des Stadtrandes und die „Plantage“
fort, auf eine hoch auf einer Düne ſtehende hol¬
ländiſche Windmühle, nach der anderen Seite hin auf
die Keſſine, die hier, unmittelbar vor ihrer Ein¬
mündung, ziemlich breit war und einen ſtattlichen
Eindruck machte. Dieſem Eindruck konnte man ſich
unmöglich entziehen, und Effi hatte denn auch nicht
geſäumt, ihrer Freude lebhaften Ausdruck zu geben.
„Ja, ſehr ſchön, ſehr maleriſch,“ hatte Innſtetten,
ohne weiter darauf einzugehen, geantwortet, und
dann eine mit ihren Flügeln etwas ſchief hängende
Doppelthür geöffnet, die nach rechts hin in den ſo¬
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