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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882.

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Ausdruck zu geben, hatte er sich beflissen gezeigt. Daß er dabei,
in materiell eng gezogenen Grenzen verbleibend, über einen bloßen
symbolischen Act nicht hinausgekommen war, steigerte nur den Effect.
Der Leser urtheile selbst. In eben demselben Augenblicke, in dem
der Kreis des Möglichen nach unser aller Ansicht geschlossen schien,
und auch in dem begehrlichsten Herzen nur noch Wunsch und Raum
für Cigarette und Kaffee vorhanden war, erschien Mudy mit einem
auf dem Menu-Zettel ungenannt gebliebenen Ueberraschungs-Ge-
richt. Geheimnißvoll genug in seiner Einkleidung. Eine Glas-
schale war mit Kraut und Blüthenzweigen gefüllt; in der Mitte
dieser Schale aber, wie ein Ei in einem Neste liegt, lag ein Thee-
sieb, in dem unser dienender Bruder, während wir auf der Suche
nach dem Reiher-Horste waren, aus dem spärlichen Vorrath der
nächsten Wald- und Uferstellen eine halbe Hand voll Erd- und
Blaubeeren mühsam gesammelt hatte. Die Wirkung dieser Auf-
merksamkeit war eine enthusiastische, und rang nach entsprechendem
Ausdruck. Capitain Backhusen fand ihn. Einen vor ihm stehen-
den Römer bis an den Rand mit Scharlachberger füllend, schüttete
er den Inhalt des Schälchens hinein und sprach dann kurz: "Perle
der Kleopatra, armselige Renommisterei; hier, in Erd- und Blau-
beeren, spricht bescheiden eine schönere That. Es lebe Mudy."

Die Luft stand. Es war noch zu früh zum Aufbruch; so
beschlossen wir eine Wald-Siesta, und unsere Plaids an schattiger
Stelle ausbreitend, suchte sich jeder eine Ruhestätte. Libellen
flogen, Käfer summten, und in mir klang es aus einem meiner
Lieblingsdichter:

Hier an der Bergeshalde
Verstummet ganz der Wind:
Die Zweige hängen nieder,
Die blauen Fliegen summen
Und blitzen durch die Luft.

Einmal, zweimal wiederholte ich diese Zeilen, die den Klang
eines Nachmittags-Schlummerliedes haben; dann schlief ich ein.
Die Genossen hatten weniger gezögert.

Es war 6 Uhr und die Sonne streifte schon von der Seite
her die Wipfel des Waldes, als uns die Schiffsglocke, rasch an-
schlagend, mit zur Eile mahnendem Tone wieder an Bord rief.

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Ausdruck zu geben, hatte er ſich befliſſen gezeigt. Daß er dabei,
in materiell eng gezogenen Grenzen verbleibend, über einen bloßen
ſymboliſchen Act nicht hinausgekommen war, ſteigerte nur den Effect.
Der Leſer urtheile ſelbſt. In eben demſelben Augenblicke, in dem
der Kreis des Möglichen nach unſer aller Anſicht geſchloſſen ſchien,
und auch in dem begehrlichſten Herzen nur noch Wunſch und Raum
für Cigarette und Kaffee vorhanden war, erſchien Mudy mit einem
auf dem Menu-Zettel ungenannt gebliebenen Ueberraſchungs-Ge-
richt. Geheimnißvoll genug in ſeiner Einkleidung. Eine Glas-
ſchale war mit Kraut und Blüthenzweigen gefüllt; in der Mitte
dieſer Schale aber, wie ein Ei in einem Neſte liegt, lag ein Thee-
ſieb, in dem unſer dienender Bruder, während wir auf der Suche
nach dem Reiher-Horſte waren, aus dem ſpärlichen Vorrath der
nächſten Wald- und Uferſtellen eine halbe Hand voll Erd- und
Blaubeeren mühſam geſammelt hatte. Die Wirkung dieſer Auf-
merkſamkeit war eine enthuſiaſtiſche, und rang nach entſprechendem
Ausdruck. Capitain Backhuſen fand ihn. Einen vor ihm ſtehen-
den Römer bis an den Rand mit Scharlachberger füllend, ſchüttete
er den Inhalt des Schälchens hinein und ſprach dann kurz: „Perle
der Kleopatra, armſelige Renommiſterei; hier, in Erd- und Blau-
beeren, ſpricht beſcheiden eine ſchönere That. Es lebe Mudy.“

Die Luft ſtand. Es war noch zu früh zum Aufbruch; ſo
beſchloſſen wir eine Wald-Sieſta, und unſere Plaids an ſchattiger
Stelle ausbreitend, ſuchte ſich jeder eine Ruheſtätte. Libellen
flogen, Käfer ſummten, und in mir klang es aus einem meiner
Lieblingsdichter:

Hier an der Bergeshalde
Verſtummet ganz der Wind:
Die Zweige hängen nieder,
Die blauen Fliegen ſummen
Und blitzen durch die Luft.

Einmal, zweimal wiederholte ich dieſe Zeilen, die den Klang
eines Nachmittags-Schlummerliedes haben; dann ſchlief ich ein.
Die Genoſſen hatten weniger gezögert.

Es war 6 Uhr und die Sonne ſtreifte ſchon von der Seite
her die Wipfel des Waldes, als uns die Schiffsglocke, raſch an-
ſchlagend, mit zur Eile mahnendem Tone wieder an Bord rief.

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[83/0099] Ausdruck zu geben, hatte er ſich befliſſen gezeigt. Daß er dabei, in materiell eng gezogenen Grenzen verbleibend, über einen bloßen ſymboliſchen Act nicht hinausgekommen war, ſteigerte nur den Effect. Der Leſer urtheile ſelbſt. In eben demſelben Augenblicke, in dem der Kreis des Möglichen nach unſer aller Anſicht geſchloſſen ſchien, und auch in dem begehrlichſten Herzen nur noch Wunſch und Raum für Cigarette und Kaffee vorhanden war, erſchien Mudy mit einem auf dem Menu-Zettel ungenannt gebliebenen Ueberraſchungs-Ge- richt. Geheimnißvoll genug in ſeiner Einkleidung. Eine Glas- ſchale war mit Kraut und Blüthenzweigen gefüllt; in der Mitte dieſer Schale aber, wie ein Ei in einem Neſte liegt, lag ein Thee- ſieb, in dem unſer dienender Bruder, während wir auf der Suche nach dem Reiher-Horſte waren, aus dem ſpärlichen Vorrath der nächſten Wald- und Uferſtellen eine halbe Hand voll Erd- und Blaubeeren mühſam geſammelt hatte. Die Wirkung dieſer Auf- merkſamkeit war eine enthuſiaſtiſche, und rang nach entſprechendem Ausdruck. Capitain Backhuſen fand ihn. Einen vor ihm ſtehen- den Römer bis an den Rand mit Scharlachberger füllend, ſchüttete er den Inhalt des Schälchens hinein und ſprach dann kurz: „Perle der Kleopatra, armſelige Renommiſterei; hier, in Erd- und Blau- beeren, ſpricht beſcheiden eine ſchönere That. Es lebe Mudy.“ Die Luft ſtand. Es war noch zu früh zum Aufbruch; ſo beſchloſſen wir eine Wald-Sieſta, und unſere Plaids an ſchattiger Stelle ausbreitend, ſuchte ſich jeder eine Ruheſtätte. Libellen flogen, Käfer ſummten, und in mir klang es aus einem meiner Lieblingsdichter: Hier an der Bergeshalde Verſtummet ganz der Wind: Die Zweige hängen nieder, Die blauen Fliegen ſummen Und blitzen durch die Luft. Einmal, zweimal wiederholte ich dieſe Zeilen, die den Klang eines Nachmittags-Schlummerliedes haben; dann ſchlief ich ein. Die Genoſſen hatten weniger gezögert. Es war 6 Uhr und die Sonne ſtreifte ſchon von der Seite her die Wipfel des Waldes, als uns die Schiffsglocke, raſch an- ſchlagend, mit zur Eile mahnendem Tone wieder an Bord rief. 6*

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/99>, abgerufen am 24.11.2024.