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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882.

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völlig flügge gewordenen Jungvogel aus der Luft herunterzuholen.
Hier, wie in manch' Anderem, eine Modelung des Ueberlieferten.

Der Streit, welcher Weg uns am besten zu dem nahegelegenen
Reiherhorst führen würde, war mittlerweile zu Gunsten von
Lieutenant Apitz entschieden worden. Also "quer durch". Wir
erkletterten zunächst das Ufer-Bastion, in dessen Schutze wir lagen,
hielten kurze Umschau und schlugen uns dann, immer die Höhe
haltend, waldeinwärts. Nach längerem Suchen und Irren, das
zu den üblichen Bemerkungen über "Richtwege" führte, hatten wir
endlich die Reiher-Colonie, ihre Wohn- und Brutstätte vor uns,
und schritten ihr zu.

Dieser Reiherhorst, wie jeder andere, befindet sich in den
Wipfeln alter Eichbäume, die, zu mehreren Hunderten, auf der
plattformartigen Kuppe einer abermaligen Ansteigung des Waldes
stehen. Eine Anzahl dieser Eichen, vielleicht die Hälfte, war noch
intact, die andere Hälfte aber zeigte jeden Grad des Verfalls, und
zwar um so mehr, je länger sie des zweifelhaften Vorzuges ge-
nossen, im Reiherdienste zu stehen, das heißt also ein Reihernest
in ihren Wipfeln zu tragen. Die Zahl dieser Nester wechselt.
Manche Bäume haben eins, andere drei und vier. Das letztere
ist das gewöhnlichere. Aber ob eins oder mehrere, über kurz oder
lang trifft sie dasselbe Schicksal: sie sterben ab, unter dem Einfluß
der Reiher-Wirthschaft, namentlich der Reiher-Kinderstube, deren
Details sich jeder Mittheilungsmöglichkeit entziehen.

Erst Mitte Juli pflegen die Jungen flügge zu werden. In
diesem Jahre jedoch mußten sie kräftiger oder gelehriger gewesen
sein; jedenfalls fanden wir Alles ausgeflogen und sahen uns in
der angenehmen Lage, jede einzelne Wohnstätte auf's genaueste
mustern zu können. Was die Wipfel der Bäume angeht, so bleibt
dem Gesagten an dieser Stelle Nichts hinzuzufügen; aber auch der
Untergrund erzählt noch manche Geschichte. Hier und dort lag zu
Füßen einer wie geschält aussehenden, ihrer Rinde halb entkleideten
Eiche das Federwerk eines Jung-Vogels. Das erklärt sich so.
Fällt ein junger Reiher vor dem Flüggewerden aus dem Nest, so
ist er verloren. Ein freies, selbstständiges Leben zu führen, dazu ist
er noch zu jung, ihn wieder in das Nest hinauf zu schaffen, dazu
ist er zu schwer. So bleibt er liegen, wo er liegt, und stirbt den

Fontane, Wanderungen. IV. 6

völlig flügge gewordenen Jungvogel aus der Luft herunterzuholen.
Hier, wie in manch’ Anderem, eine Modelung des Ueberlieferten.

Der Streit, welcher Weg uns am beſten zu dem nahegelegenen
Reiherhorſt führen würde, war mittlerweile zu Gunſten von
Lieutenant Apitz entſchieden worden. Alſo „quer durch“. Wir
erkletterten zunächſt das Ufer-Baſtion, in deſſen Schutze wir lagen,
hielten kurze Umſchau und ſchlugen uns dann, immer die Höhe
haltend, waldeinwärts. Nach längerem Suchen und Irren, das
zu den üblichen Bemerkungen über „Richtwege“ führte, hatten wir
endlich die Reiher-Colonie, ihre Wohn- und Brutſtätte vor uns,
und ſchritten ihr zu.

Dieſer Reiherhorſt, wie jeder andere, befindet ſich in den
Wipfeln alter Eichbäume, die, zu mehreren Hunderten, auf der
plattformartigen Kuppe einer abermaligen Anſteigung des Waldes
ſtehen. Eine Anzahl dieſer Eichen, vielleicht die Hälfte, war noch
intact, die andere Hälfte aber zeigte jeden Grad des Verfalls, und
zwar um ſo mehr, je länger ſie des zweifelhaften Vorzuges ge-
noſſen, im Reiherdienſte zu ſtehen, das heißt alſo ein Reiherneſt
in ihren Wipfeln zu tragen. Die Zahl dieſer Neſter wechſelt.
Manche Bäume haben eins, andere drei und vier. Das letztere
iſt das gewöhnlichere. Aber ob eins oder mehrere, über kurz oder
lang trifft ſie daſſelbe Schickſal: ſie ſterben ab, unter dem Einfluß
der Reiher-Wirthſchaft, namentlich der Reiher-Kinderſtube, deren
Details ſich jeder Mittheilungsmöglichkeit entziehen.

Erſt Mitte Juli pflegen die Jungen flügge zu werden. In
dieſem Jahre jedoch mußten ſie kräftiger oder gelehriger geweſen
ſein; jedenfalls fanden wir Alles ausgeflogen und ſahen uns in
der angenehmen Lage, jede einzelne Wohnſtätte auf’s genaueſte
muſtern zu können. Was die Wipfel der Bäume angeht, ſo bleibt
dem Geſagten an dieſer Stelle Nichts hinzuzufügen; aber auch der
Untergrund erzählt noch manche Geſchichte. Hier und dort lag zu
Füßen einer wie geſchält ausſehenden, ihrer Rinde halb entkleideten
Eiche das Federwerk eines Jung-Vogels. Das erklärt ſich ſo.
Fällt ein junger Reiher vor dem Flüggewerden aus dem Neſt, ſo
iſt er verloren. Ein freies, ſelbſtſtändiges Leben zu führen, dazu iſt
er noch zu jung, ihn wieder in das Neſt hinauf zu ſchaffen, dazu
iſt er zu ſchwer. So bleibt er liegen, wo er liegt, und ſtirbt den

Fontane, Wanderungen. IV. 6
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[81/0097] völlig flügge gewordenen Jungvogel aus der Luft herunterzuholen. Hier, wie in manch’ Anderem, eine Modelung des Ueberlieferten. Der Streit, welcher Weg uns am beſten zu dem nahegelegenen Reiherhorſt führen würde, war mittlerweile zu Gunſten von Lieutenant Apitz entſchieden worden. Alſo „quer durch“. Wir erkletterten zunächſt das Ufer-Baſtion, in deſſen Schutze wir lagen, hielten kurze Umſchau und ſchlugen uns dann, immer die Höhe haltend, waldeinwärts. Nach längerem Suchen und Irren, das zu den üblichen Bemerkungen über „Richtwege“ führte, hatten wir endlich die Reiher-Colonie, ihre Wohn- und Brutſtätte vor uns, und ſchritten ihr zu. Dieſer Reiherhorſt, wie jeder andere, befindet ſich in den Wipfeln alter Eichbäume, die, zu mehreren Hunderten, auf der plattformartigen Kuppe einer abermaligen Anſteigung des Waldes ſtehen. Eine Anzahl dieſer Eichen, vielleicht die Hälfte, war noch intact, die andere Hälfte aber zeigte jeden Grad des Verfalls, und zwar um ſo mehr, je länger ſie des zweifelhaften Vorzuges ge- noſſen, im Reiherdienſte zu ſtehen, das heißt alſo ein Reiherneſt in ihren Wipfeln zu tragen. Die Zahl dieſer Neſter wechſelt. Manche Bäume haben eins, andere drei und vier. Das letztere iſt das gewöhnlichere. Aber ob eins oder mehrere, über kurz oder lang trifft ſie daſſelbe Schickſal: ſie ſterben ab, unter dem Einfluß der Reiher-Wirthſchaft, namentlich der Reiher-Kinderſtube, deren Details ſich jeder Mittheilungsmöglichkeit entziehen. Erſt Mitte Juli pflegen die Jungen flügge zu werden. In dieſem Jahre jedoch mußten ſie kräftiger oder gelehriger geweſen ſein; jedenfalls fanden wir Alles ausgeflogen und ſahen uns in der angenehmen Lage, jede einzelne Wohnſtätte auf’s genaueſte muſtern zu können. Was die Wipfel der Bäume angeht, ſo bleibt dem Geſagten an dieſer Stelle Nichts hinzuzufügen; aber auch der Untergrund erzählt noch manche Geſchichte. Hier und dort lag zu Füßen einer wie geſchält ausſehenden, ihrer Rinde halb entkleideten Eiche das Federwerk eines Jung-Vogels. Das erklärt ſich ſo. Fällt ein junger Reiher vor dem Flüggewerden aus dem Neſt, ſo iſt er verloren. Ein freies, ſelbſtſtändiges Leben zu führen, dazu iſt er noch zu jung, ihn wieder in das Neſt hinauf zu ſchaffen, dazu iſt er zu ſchwer. So bleibt er liegen, wo er liegt, und ſtirbt den Fontane, Wanderungen. IV. 6

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/97>, abgerufen am 28.11.2024.