deshalb zu seiner Insel-Einsamkeit, und fuhr jedesmal fröhlich wieder heim.
Im Spätsommer anno 8 hieß es: "jetzt ziehen sie ab". Kahnis aber schüttelte den Kopf und sagte: "sie sind noch da; und wenn sie nicht mehr da sind, so kommen sie wieder; Hanne, wir wollen bleiben, wo wir sind". Und darin war unser Robinson auf Robins-Eiland klüger als mancher Allerklügste. Denn sie kamen wirklich wieder.
Kahnis freilich, als er so sprach, hatte nicht seine Klugheit, sondern nur seine Neigung befragt. Das Wahre von der Sache war: er wollte nicht mehr fort. Aus dem Schlupfwinkel, den er zwei Jahre früher als ein Flüchtling betreten und zunächst nur wie einen Lagerplatz eingerichtet hatte, war längst ein ansehnliches Gehöft mit Stube und Stall, mit Kammer und Keller geworden, das nicht mehr inmitten einer schilfüberwachsenen Insel, sondern im Centrum eines von Garten- und Ackerstreifen durchzogenen und von einem Schilfgürtel nur eben noch eingefaßten Wiesen-Rondeeles lag. Hier gruben und pflanzten Mann und Frau wie die ersten Menschen, und als endlich, nach zweimaliger Entscheidung, nach Leipzig und Waterloo, wirklich der große Frieden kam, und Kahnis nun ehrenhalber sagen mußte: "Hanne, jetzt ist es Zeit", da senkte diese den Kopf und erklärte, daß sie bleiben wolle. Das war es was er zu hören gewünscht hatte. Nun gestand er ihr auch, daß er nicht aus allgemeiner Franzosenfurcht, sondern aus ganz beson- derer eifersüchtiger Sorge vor den Nansouty'schen Kürassieren auf die Insel gezogen sei. Hanne machte kein Aufhebens von diesem Geständniß. Sie nahm nur das Schmeichelhafte heraus und ent- schlug sich aller tugendlichen Empfindsamkeit. Viel Nachdenken war überhaupt nicht ihre Sache.
So gingen die Jahre. Die Kinder wuchsen heran, verließen Haus und Insel; endlich starb auch die Frau. Kahnis stellte den Sarg auf sein bestes Boot und fuhr quer über den See, um der Todten auf dem Schmöckwitzer Kirchhof ein christliches Begräbniß zu geben. Denn in Lutheri Catechismo von Jugend auf fest, war er, der seit langen Jahren mehr mit Gott als mit den Menschen gelebt hatte, in seinem Glauben immer lebendiger geworden. Am Ufer warteten die Träger, Schmöckwitzer Kossäthen. Als sie den
deshalb zu ſeiner Inſel-Einſamkeit, und fuhr jedesmal fröhlich wieder heim.
Im Spätſommer anno 8 hieß es: „jetzt ziehen ſie ab“. Kahnis aber ſchüttelte den Kopf und ſagte: „ſie ſind noch da; und wenn ſie nicht mehr da ſind, ſo kommen ſie wieder; Hanne, wir wollen bleiben, wo wir ſind“. Und darin war unſer Robinſon auf Robins-Eiland klüger als mancher Allerklügſte. Denn ſie kamen wirklich wieder.
Kahnis freilich, als er ſo ſprach, hatte nicht ſeine Klugheit, ſondern nur ſeine Neigung befragt. Das Wahre von der Sache war: er wollte nicht mehr fort. Aus dem Schlupfwinkel, den er zwei Jahre früher als ein Flüchtling betreten und zunächſt nur wie einen Lagerplatz eingerichtet hatte, war längſt ein anſehnliches Gehöft mit Stube und Stall, mit Kammer und Keller geworden, das nicht mehr inmitten einer ſchilfüberwachſenen Inſel, ſondern im Centrum eines von Garten- und Ackerſtreifen durchzogenen und von einem Schilfgürtel nur eben noch eingefaßten Wieſen-Rondeeles lag. Hier gruben und pflanzten Mann und Frau wie die erſten Menſchen, und als endlich, nach zweimaliger Entſcheidung, nach Leipzig und Waterloo, wirklich der große Frieden kam, und Kahnis nun ehrenhalber ſagen mußte: „Hanne, jetzt iſt es Zeit“, da ſenkte dieſe den Kopf und erklärte, daß ſie bleiben wolle. Das war es was er zu hören gewünſcht hatte. Nun geſtand er ihr auch, daß er nicht aus allgemeiner Franzoſenfurcht, ſondern aus ganz beſon- derer eiferſüchtiger Sorge vor den Nanſouty’ſchen Küraſſieren auf die Inſel gezogen ſei. Hanne machte kein Aufhebens von dieſem Geſtändniß. Sie nahm nur das Schmeichelhafte heraus und ent- ſchlug ſich aller tugendlichen Empfindſamkeit. Viel Nachdenken war überhaupt nicht ihre Sache.
So gingen die Jahre. Die Kinder wuchſen heran, verließen Haus und Inſel; endlich ſtarb auch die Frau. Kahnis ſtellte den Sarg auf ſein beſtes Boot und fuhr quer über den See, um der Todten auf dem Schmöckwitzer Kirchhof ein chriſtliches Begräbniß zu geben. Denn in Lutheri Catechismo von Jugend auf feſt, war er, der ſeit langen Jahren mehr mit Gott als mit den Menſchen gelebt hatte, in ſeinem Glauben immer lebendiger geworden. Am Ufer warteten die Träger, Schmöckwitzer Koſſäthen. Als ſie den
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deshalb zu ſeiner Inſel-Einſamkeit, und fuhr jedesmal fröhlich
wieder heim.
Im Spätſommer anno 8 hieß es: „jetzt ziehen ſie ab“.
Kahnis aber ſchüttelte den Kopf und ſagte: „ſie ſind noch da; und
wenn ſie nicht mehr da ſind, ſo kommen ſie wieder; Hanne, wir
wollen bleiben, wo wir ſind“. Und darin war unſer Robinſon
auf Robins-Eiland klüger als mancher Allerklügſte. Denn ſie
kamen wirklich wieder.
Kahnis freilich, als er ſo ſprach, hatte nicht ſeine Klugheit,
ſondern nur ſeine Neigung befragt. Das Wahre von der Sache
war: er wollte nicht mehr fort. Aus dem Schlupfwinkel, den er
zwei Jahre früher als ein Flüchtling betreten und zunächſt nur
wie einen Lagerplatz eingerichtet hatte, war längſt ein anſehnliches
Gehöft mit Stube und Stall, mit Kammer und Keller geworden,
das nicht mehr inmitten einer ſchilfüberwachſenen Inſel, ſondern im
Centrum eines von Garten- und Ackerſtreifen durchzogenen und
von einem Schilfgürtel nur eben noch eingefaßten Wieſen-Rondeeles
lag. Hier gruben und pflanzten Mann und Frau wie die erſten
Menſchen, und als endlich, nach zweimaliger Entſcheidung, nach
Leipzig und Waterloo, wirklich der große Frieden kam, und Kahnis
nun ehrenhalber ſagen mußte: „Hanne, jetzt iſt es Zeit“, da ſenkte
dieſe den Kopf und erklärte, daß ſie bleiben wolle. Das war es
was er zu hören gewünſcht hatte. Nun geſtand er ihr auch, daß
er nicht aus allgemeiner Franzoſenfurcht, ſondern aus ganz beſon-
derer eiferſüchtiger Sorge vor den Nanſouty’ſchen Küraſſieren auf
die Inſel gezogen ſei. Hanne machte kein Aufhebens von dieſem
Geſtändniß. Sie nahm nur das Schmeichelhafte heraus und ent-
ſchlug ſich aller tugendlichen Empfindſamkeit. Viel Nachdenken war
überhaupt nicht ihre Sache.
So gingen die Jahre. Die Kinder wuchſen heran, verließen
Haus und Inſel; endlich ſtarb auch die Frau. Kahnis ſtellte den
Sarg auf ſein beſtes Boot und fuhr quer über den See, um der
Todten auf dem Schmöckwitzer Kirchhof ein chriſtliches Begräbniß
zu geben. Denn in Lutheri Catechismo von Jugend auf feſt,
war er, der ſeit langen Jahren mehr mit Gott als mit den Menſchen
gelebt hatte, in ſeinem Glauben immer lebendiger geworden. Am
Ufer warteten die Träger, Schmöckwitzer Koſſäthen. Als ſie den
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der vierte Band "Spreeland. Beeskow-Storkow und Barnim-Teltow" 1882 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/87>, abgerufen am 25.11.2024.
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