stein von besseren Zeiten redete (wenn es bessere Zeiten waren) in die sandig hügelige Feldmark hinaus.
"Hören Sie, Moll," hob ich an, "das war 'ne forsche Frau."
"Woll, forsch war sie. Man blos zu sehr, un eigentlich wüthig; un nahm ja gar keine Raison an."
"Ja hören Sie, das sagen Sie wohl; Sie sind ein behäbiger Mann. Aber solch armes Volk, das jeden Tag seine Noth fühlt, das wird eben wüthend und mucksch und starrt vor sich hin. Uebrigens lassen wir's, und sagen Sie mir lieber, was ist das mit dem alten Emeritus? Der Pieskowsche Lehrer konnte ja gar nicht von ihm los. Ist er denn noch bei Wege?"
"Freilich. Und wir kommen sogar an dem kleinen Hause vorbei, das er sich aus Feldstein hat aufmauern lassen. Und hat selber mitgeholfen. Und wenn ich es so liegen seh' in Kapper- folium und Epheu, muß ich immer an Robinson und Freitag denken."
"Und da wohnt er? Und ist schon sehr alt?"
"Sehr alt und weiß alles. Er hat noch den Kaiser Napoleon gesehn, als er aus Rußland kam, und als Studente war er mit in Griechenland und ist auch mal mit in die Luft geflogen. Aber sie haben ihn wieder 'rausgefischt. Und ich hab' ihn öfter sagen hören: Ein jeder hat so sein Schicksal, und wer Pastor in Pies- kow werden soll, an den kann kein Türke 'ran. Und Feuer und Wasser auch nich."
"Ei, das muß ja ein reizender alter Herr sein, und wohl sehr aufgeklärt und freisinnig. Oder vielleicht auch ein bischen zu sehr. Ist es so was? He?"
Moll lächelte vor sich hin und schien ausdrücken zu wollen: auf eine so feine Frage laß ich mich nicht ein.
Eine kleine Weile danach erreichten wir einen Wald, über dessen schmalen Fahrweg von rechts und links her eine Menge Wurzelwerk gewachsen war. Das gab nun ein entsetzliches Ge- holper und Gestolper, und ich flog hin und her, aber ich freute mich doch, aus Wind und Sonne heraus zu sein.
Es waren hochstämmige Kiefern und Tannen gewesen, womit der Wald begonnen hatte; bald aber kam Laubholz und inmitten desselben eine moorige Lichtung, auf deren höher gelegenen Stellen
ſtein von beſſeren Zeiten redete (wenn es beſſere Zeiten waren) in die ſandig hügelige Feldmark hinaus.
„Hören Sie, Moll,“ hob ich an, „das war ’ne forſche Frau.“
„Woll, forſch war ſie. Man blos zu ſehr, un eigentlich wüthig; un nahm ja gar keine Raiſon an.“
„Ja hören Sie, das ſagen Sie wohl; Sie ſind ein behäbiger Mann. Aber ſolch armes Volk, das jeden Tag ſeine Noth fühlt, das wird eben wüthend und muckſch und ſtarrt vor ſich hin. Uebrigens laſſen wir’s, und ſagen Sie mir lieber, was iſt das mit dem alten Emeritus? Der Pieskowſche Lehrer konnte ja gar nicht von ihm los. Iſt er denn noch bei Wege?“
„Freilich. Und wir kommen ſogar an dem kleinen Hauſe vorbei, das er ſich aus Feldſtein hat aufmauern laſſen. Und hat ſelber mitgeholfen. Und wenn ich es ſo liegen ſeh’ in Kapper- folium und Epheu, muß ich immer an Robinſon und Freitag denken.“
„Und da wohnt er? Und iſt ſchon ſehr alt?“
„Sehr alt und weiß alles. Er hat noch den Kaiſer Napoleon geſehn, als er aus Rußland kam, und als Studente war er mit in Griechenland und iſt auch mal mit in die Luft geflogen. Aber ſie haben ihn wieder ’rausgefiſcht. Und ich hab’ ihn öfter ſagen hören: Ein jeder hat ſo ſein Schickſal, und wer Paſtor in Pies- kow werden ſoll, an den kann kein Türke ’ran. Und Feuer und Waſſer auch nich.“
„Ei, das muß ja ein reizender alter Herr ſein, und wohl ſehr aufgeklärt und freiſinnig. Oder vielleicht auch ein bischen zu ſehr. Iſt es ſo was? He?“
Moll lächelte vor ſich hin und ſchien ausdrücken zu wollen: auf eine ſo feine Frage laß ich mich nicht ein.
Eine kleine Weile danach erreichten wir einen Wald, über deſſen ſchmalen Fahrweg von rechts und links her eine Menge Wurzelwerk gewachſen war. Das gab nun ein entſetzliches Ge- holper und Geſtolper, und ich flog hin und her, aber ich freute mich doch, aus Wind und Sonne heraus zu ſein.
Es waren hochſtämmige Kiefern und Tannen geweſen, womit der Wald begonnen hatte; bald aber kam Laubholz und inmitten deſſelben eine moorige Lichtung, auf deren höher gelegenen Stellen
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0050"n="34"/>ſtein von beſſeren Zeiten redete (<hirendition="#g">wenn</hi> es beſſere Zeiten waren)<lb/>
in die ſandig hügelige Feldmark hinaus.</p><lb/><p>„Hören Sie, Moll,“ hob ich an, „das war ’ne forſche Frau.“</p><lb/><p>„Woll, forſch war ſie. Man blos zu ſehr, un eigentlich<lb/>
wüthig; un nahm ja gar keine Raiſon an.“</p><lb/><p>„Ja hören Sie, das ſagen Sie wohl; Sie ſind ein behäbiger<lb/>
Mann. Aber ſolch armes Volk, das jeden Tag ſeine Noth fühlt,<lb/>
das wird eben wüthend und muckſch und ſtarrt vor ſich hin.<lb/>
Uebrigens laſſen wir’s, und ſagen Sie mir lieber, was iſt das<lb/>
mit dem alten Emeritus? Der Pieskowſche Lehrer konnte ja<lb/>
gar nicht von ihm los. Iſt er denn noch bei Wege?“</p><lb/><p>„Freilich. Und wir kommen ſogar an dem kleinen Hauſe<lb/>
vorbei, das er ſich aus Feldſtein hat aufmauern laſſen. Und hat<lb/>ſelber mitgeholfen. Und wenn ich es ſo liegen ſeh’ in Kapper-<lb/>
folium und Epheu, muß ich immer an Robinſon und Freitag<lb/>
denken.“</p><lb/><p>„Und da wohnt er? Und iſt ſchon ſehr alt?“</p><lb/><p>„Sehr alt und weiß alles. Er hat noch den Kaiſer Napoleon<lb/>
geſehn, als er aus Rußland kam, und als Studente war er mit<lb/>
in Griechenland und iſt auch mal mit in die Luft geflogen. Aber<lb/>ſie haben ihn wieder ’rausgefiſcht. Und ich hab’ ihn öfter ſagen<lb/>
hören: Ein jeder hat ſo ſein Schickſal, und wer Paſtor in Pies-<lb/>
kow werden ſoll, an den kann kein Türke ’ran. Und Feuer und<lb/>
Waſſer auch nich.“</p><lb/><p>„Ei, das muß ja ein reizender alter Herr ſein, und wohl<lb/>ſehr aufgeklärt und freiſinnig. Oder vielleicht auch ein bischen<lb/>
zu ſehr. Iſt es ſo was? He?“</p><lb/><p>Moll lächelte vor ſich hin und ſchien ausdrücken zu wollen:<lb/>
auf eine ſo feine Frage laß ich mich nicht ein.</p><lb/><p>Eine kleine Weile danach erreichten wir einen Wald, über<lb/>
deſſen ſchmalen Fahrweg von rechts und links her eine Menge<lb/>
Wurzelwerk gewachſen war. Das gab nun ein entſetzliches Ge-<lb/>
holper und Geſtolper, und ich flog hin und her, aber ich freute<lb/>
mich doch, aus Wind und Sonne heraus zu ſein.</p><lb/><p>Es waren hochſtämmige Kiefern und Tannen geweſen, womit<lb/>
der Wald begonnen hatte; bald aber kam Laubholz und inmitten<lb/>
deſſelben eine moorige Lichtung, auf deren höher gelegenen Stellen<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[34/0050]
ſtein von beſſeren Zeiten redete (wenn es beſſere Zeiten waren)
in die ſandig hügelige Feldmark hinaus.
„Hören Sie, Moll,“ hob ich an, „das war ’ne forſche Frau.“
„Woll, forſch war ſie. Man blos zu ſehr, un eigentlich
wüthig; un nahm ja gar keine Raiſon an.“
„Ja hören Sie, das ſagen Sie wohl; Sie ſind ein behäbiger
Mann. Aber ſolch armes Volk, das jeden Tag ſeine Noth fühlt,
das wird eben wüthend und muckſch und ſtarrt vor ſich hin.
Uebrigens laſſen wir’s, und ſagen Sie mir lieber, was iſt das
mit dem alten Emeritus? Der Pieskowſche Lehrer konnte ja
gar nicht von ihm los. Iſt er denn noch bei Wege?“
„Freilich. Und wir kommen ſogar an dem kleinen Hauſe
vorbei, das er ſich aus Feldſtein hat aufmauern laſſen. Und hat
ſelber mitgeholfen. Und wenn ich es ſo liegen ſeh’ in Kapper-
folium und Epheu, muß ich immer an Robinſon und Freitag
denken.“
„Und da wohnt er? Und iſt ſchon ſehr alt?“
„Sehr alt und weiß alles. Er hat noch den Kaiſer Napoleon
geſehn, als er aus Rußland kam, und als Studente war er mit
in Griechenland und iſt auch mal mit in die Luft geflogen. Aber
ſie haben ihn wieder ’rausgefiſcht. Und ich hab’ ihn öfter ſagen
hören: Ein jeder hat ſo ſein Schickſal, und wer Paſtor in Pies-
kow werden ſoll, an den kann kein Türke ’ran. Und Feuer und
Waſſer auch nich.“
„Ei, das muß ja ein reizender alter Herr ſein, und wohl
ſehr aufgeklärt und freiſinnig. Oder vielleicht auch ein bischen
zu ſehr. Iſt es ſo was? He?“
Moll lächelte vor ſich hin und ſchien ausdrücken zu wollen:
auf eine ſo feine Frage laß ich mich nicht ein.
Eine kleine Weile danach erreichten wir einen Wald, über
deſſen ſchmalen Fahrweg von rechts und links her eine Menge
Wurzelwerk gewachſen war. Das gab nun ein entſetzliches Ge-
holper und Geſtolper, und ich flog hin und her, aber ich freute
mich doch, aus Wind und Sonne heraus zu ſein.
Es waren hochſtämmige Kiefern und Tannen geweſen, womit
der Wald begonnen hatte; bald aber kam Laubholz und inmitten
deſſelben eine moorige Lichtung, auf deren höher gelegenen Stellen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der vierte Band "Spreeland. Beeskow-Storkow und Barnim-Teltow" 1882 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/50>, abgerufen am 22.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.