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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882.

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wenn ihr dann weiterfahrt, dann werdet ihr ungefähr dasselbe
denken, was ich seinerzeit gedacht habe: "Weit hinaus über alles
Erwartete!"

Ja, vorfahren vor dem Krug und über die Kirchhofsmauer
klettern, ein Storchennest bewundern oder einen Hagebuttenstrauch,
einen Grabstein lesen oder sich einen Spinnstubengrusel erzählen
lassen -- so war die Sache geplant und so wurde sie begonnen.
Und sehr wahrscheinlich auch, daß es dabei geblieben wäre, wenn
es dabei hätte bleiben können. Allein dies verbot sich. Ein
Vorgehen, wie das eben geschilderte, hatte doch immer ein be-
stimmtes Maaß von Kenntniß und Interesse zur Voraussetzung
und mußte von dem Augenblick an hinfällig werden, wo die
Voraussetzung selbst es ward und mich im Stiche ließ. In dem
Wustrau-Kapitel lagen die Dinge bequem, Wustrau war ein
Idealstoff, aber solcher Stoffe gab es in ganz Mark Brandenburg
eigentlich nur noch drei: Rheinsberg, Küstrin und Fehrbellin.
Ueber diesen Kreis hinaus versagte sofort das Vorweg-Interesse,
weil das Wissen zu versagen anfing, und schon bei Tamsel und
Alt-Moeglin, bei Friedersdorf und Friedland ergaben sich arge
Verlegenheiten. In ihnen waren einerseits die Schöning's und Bar-
fuß' und andrerseits die Marwitz' und die Lestwitz' zu Hause.
Wer aber waren die Schöning und die Barfuß'? Und wer waren
die Marwitz' und die Lestwitz'? Und das Recht zu dieser Frage nur
einen Augenblick zugestanden, war auch die Pflicht zugestanden, sie
zu beantworten.

Eine Folge davon war, daß ich aus dem ursprünglichen
Plauderton des Touristen in eine historische Vortragsweise hineinge-
rieth, und Band II. (Oderland) ist denn auch mehr oder weniger
ein Zeugniß und Beweis dafür geworden, indem er aus einer An-
schauungs- und Arbeits-Epoche stammt, in der mir diese verän-
derte Vortragsweise, will sagen das Vorherrschen des Historischen,
als unerläßlich erschien.

Aber nicht lange, so bemerkt ich den Irr- und Gefahrsweg
auf den ich gerathen war und bestrebte mich, mich in die frühere
Weise zurückzufinden, ein Bestreben, das in den beiden Schluß-
bäuden, so hoff' ich, deutlich erkennbar zu Tage tritt. Auch sie
noch weisen genug des Historischen auf, aber es verbirgt sich oder

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wenn ihr dann weiterfahrt, dann werdet ihr ungefähr daſſelbe
denken, was ich ſeinerzeit gedacht habe: „Weit hinaus über alles
Erwartete!“

Ja, vorfahren vor dem Krug und über die Kirchhofsmauer
klettern, ein Storchenneſt bewundern oder einen Hagebuttenſtrauch,
einen Grabſtein leſen oder ſich einen Spinnſtubengruſel erzählen
laſſen — ſo war die Sache geplant und ſo wurde ſie begonnen.
Und ſehr wahrſcheinlich auch, daß es dabei geblieben wäre, wenn
es dabei hätte bleiben können. Allein dies verbot ſich. Ein
Vorgehen, wie das eben geſchilderte, hatte doch immer ein be-
ſtimmtes Maaß von Kenntniß und Intereſſe zur Vorausſetzung
und mußte von dem Augenblick an hinfällig werden, wo die
Vorausſetzung ſelbſt es ward und mich im Stiche ließ. In dem
Wuſtrau-Kapitel lagen die Dinge bequem, Wuſtrau war ein
Idealſtoff, aber ſolcher Stoffe gab es in ganz Mark Brandenburg
eigentlich nur noch drei: Rheinsberg, Küſtrin und Fehrbellin.
Ueber dieſen Kreis hinaus verſagte ſofort das Vorweg-Intereſſe,
weil das Wiſſen zu verſagen anfing, und ſchon bei Tamſel und
Alt-Moeglin, bei Friedersdorf und Friedland ergaben ſich arge
Verlegenheiten. In ihnen waren einerſeits die Schöning’s und Bar-
fuß’ und andrerſeits die Marwitz’ und die Leſtwitz’ zu Hauſe.
Wer aber waren die Schöning und die Barfuß’? Und wer waren
die Marwitz’ und die Leſtwitz’? Und das Recht zu dieſer Frage nur
einen Augenblick zugeſtanden, war auch die Pflicht zugeſtanden, ſie
zu beantworten.

Eine Folge davon war, daß ich aus dem urſprünglichen
Plauderton des Touriſten in eine hiſtoriſche Vortragsweiſe hineinge-
rieth, und Band II. (Oderland) iſt denn auch mehr oder weniger
ein Zeugniß und Beweis dafür geworden, indem er aus einer An-
ſchauungs- und Arbeits-Epoche ſtammt, in der mir dieſe verän-
derte Vortragsweiſe, will ſagen das Vorherrſchen des Hiſtoriſchen,
als unerläßlich erſchien.

Aber nicht lange, ſo bemerkt ich den Irr- und Gefahrsweg
auf den ich gerathen war und beſtrebte mich, mich in die frühere
Weiſe zurückzufinden, ein Beſtreben, das in den beiden Schluß-
bäuden, ſo hoff’ ich, deutlich erkennbar zu Tage tritt. Auch ſie
noch weiſen genug des Hiſtoriſchen auf, aber es verbirgt ſich oder

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[451/0467] wenn ihr dann weiterfahrt, dann werdet ihr ungefähr daſſelbe denken, was ich ſeinerzeit gedacht habe: „Weit hinaus über alles Erwartete!“ Ja, vorfahren vor dem Krug und über die Kirchhofsmauer klettern, ein Storchenneſt bewundern oder einen Hagebuttenſtrauch, einen Grabſtein leſen oder ſich einen Spinnſtubengruſel erzählen laſſen — ſo war die Sache geplant und ſo wurde ſie begonnen. Und ſehr wahrſcheinlich auch, daß es dabei geblieben wäre, wenn es dabei hätte bleiben können. Allein dies verbot ſich. Ein Vorgehen, wie das eben geſchilderte, hatte doch immer ein be- ſtimmtes Maaß von Kenntniß und Intereſſe zur Vorausſetzung und mußte von dem Augenblick an hinfällig werden, wo die Vorausſetzung ſelbſt es ward und mich im Stiche ließ. In dem Wuſtrau-Kapitel lagen die Dinge bequem, Wuſtrau war ein Idealſtoff, aber ſolcher Stoffe gab es in ganz Mark Brandenburg eigentlich nur noch drei: Rheinsberg, Küſtrin und Fehrbellin. Ueber dieſen Kreis hinaus verſagte ſofort das Vorweg-Intereſſe, weil das Wiſſen zu verſagen anfing, und ſchon bei Tamſel und Alt-Moeglin, bei Friedersdorf und Friedland ergaben ſich arge Verlegenheiten. In ihnen waren einerſeits die Schöning’s und Bar- fuß’ und andrerſeits die Marwitz’ und die Leſtwitz’ zu Hauſe. Wer aber waren die Schöning und die Barfuß’? Und wer waren die Marwitz’ und die Leſtwitz’? Und das Recht zu dieſer Frage nur einen Augenblick zugeſtanden, war auch die Pflicht zugeſtanden, ſie zu beantworten. Eine Folge davon war, daß ich aus dem urſprünglichen Plauderton des Touriſten in eine hiſtoriſche Vortragsweiſe hineinge- rieth, und Band II. (Oderland) iſt denn auch mehr oder weniger ein Zeugniß und Beweis dafür geworden, indem er aus einer An- ſchauungs- und Arbeits-Epoche ſtammt, in der mir dieſe verän- derte Vortragsweiſe, will ſagen das Vorherrſchen des Hiſtoriſchen, als unerläßlich erſchien. Aber nicht lange, ſo bemerkt ich den Irr- und Gefahrsweg auf den ich gerathen war und beſtrebte mich, mich in die frühere Weiſe zurückzufinden, ein Beſtreben, das in den beiden Schluß- bäuden, ſo hoff’ ich, deutlich erkennbar zu Tage tritt. Auch ſie noch weiſen genug des Hiſtoriſchen auf, aber es verbirgt ſich oder 29*

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 451. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/467>, abgerufen am 23.11.2024.