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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882.

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oder wohl gar auf einem ostpreußischen Dorfkirchhofe begraben zu
werden, barg etwas Trostloses für ihn und sein alter, unerkünstelter
Frohsinn kam ihm erst wieder, wenn er die beiden Gensd'armen-
Thürme und die Schloßkuppel am Horizont auftauchen sah.

So erschien der Spätherbst 1861. Hensel sollt' ihn nicht
überdauern. Schön, wie er gelebt, so starb er. Eine menschen-
freundliche Handlung wurde die mittelbare Ursache seines Todes.
Ein Kind aufraffend, das in Gefahr war von einem Omnibus
überfahren zu werden; verletzte er sich selbst am Knie. Von da ab
lag er darnieder. Am 26. November schloß sich sein Auge. Sein
Tod weckte Trauer bei Vielen, Theilnahme bei Allen.


So viel über den Gang seines Lebens. Wir werfen noch
einen Blick auf seinen Charakter, seine Begabung, seine Arbeiten,
immer nur bei dem Bemerkenswerthesten verweilend.

Wilhelm Hensel gehörte ganz zu jener Gruppe märkischer
Männer, an deren Spitze, als ausgeprägteste Type, der alte
Schadow stand. Naturen, die man als doppellebig, als eine Ver-
quickung von Derbheit und Schönheit, von Gamaschenthum und
Faltenwurf, von preußischem Militarismus und klassischem Idealis-
mus ansehen kann. Die Seele griechisch, der Geist altenfritzig,
der Charakter märkisch. Dem Charakter entsprach dann meist
auch die äußere Erscheinung. Das Eigenthümliche dieser mehr
und mehr aussterbenden Schadow-Typen war, daß sich die Züge
und Gegensätze ihres Charakters nebeneinander in Gleichkraft
erhielten, während beispielsweise bei Schinkel und Winkelmann
das Griechische über das Märkische beinah vollständig siegte. Bei
Hensel blieb alles in Balance; keines dieser heterogenen Elemente
drückte oder beherrschte das andre und die Neu-Uniformirung eines
Garde-Regiments oder ein Witzwort des Professor Gans interes-
sirten ihn ebenso lebhaft wie der Ankauf eines Raphael.

Seine Begabung, wie schon hervorgehoben, war eine eminent
gesellschaftliche. Das bewies sein Leben bis zuletzt. Er
excellirte am Festtisch, war ein immer gerngesehener Gast, heiter,
gesprächig, jedem Scherze zugeneigt, und zugleich doch voll jenes

oder wohl gar auf einem oſtpreußiſchen Dorfkirchhofe begraben zu
werden, barg etwas Troſtloſes für ihn und ſein alter, unerkünſtelter
Frohſinn kam ihm erſt wieder, wenn er die beiden Gensd’armen-
Thürme und die Schloßkuppel am Horizont auftauchen ſah.

So erſchien der Spätherbſt 1861. Henſel ſollt’ ihn nicht
überdauern. Schön, wie er gelebt, ſo ſtarb er. Eine menſchen-
freundliche Handlung wurde die mittelbare Urſache ſeines Todes.
Ein Kind aufraffend, das in Gefahr war von einem Omnibus
überfahren zu werden; verletzte er ſich ſelbſt am Knie. Von da ab
lag er darnieder. Am 26. November ſchloß ſich ſein Auge. Sein
Tod weckte Trauer bei Vielen, Theilnahme bei Allen.


So viel über den Gang ſeines Lebens. Wir werfen noch
einen Blick auf ſeinen Charakter, ſeine Begabung, ſeine Arbeiten,
immer nur bei dem Bemerkenswertheſten verweilend.

Wilhelm Henſel gehörte ganz zu jener Gruppe märkiſcher
Männer, an deren Spitze, als ausgeprägteſte Type, der alte
Schadow ſtand. Naturen, die man als doppellebig, als eine Ver-
quickung von Derbheit und Schönheit, von Gamaſchenthum und
Faltenwurf, von preußiſchem Militarismus und klaſſiſchem Idealis-
mus anſehen kann. Die Seele griechiſch, der Geiſt altenfritzig,
der Charakter märkiſch. Dem Charakter entſprach dann meiſt
auch die äußere Erſcheinung. Das Eigenthümliche dieſer mehr
und mehr ausſterbenden Schadow-Typen war, daß ſich die Züge
und Gegenſätze ihres Charakters nebeneinander in Gleichkraft
erhielten, während beiſpielsweiſe bei Schinkel und Winkelmann
das Griechiſche über das Märkiſche beinah vollſtändig ſiegte. Bei
Henſel blieb alles in Balance; keines dieſer heterogenen Elemente
drückte oder beherrſchte das andre und die Neu-Uniformirung eines
Garde-Regiments oder ein Witzwort des Profeſſor Gans intereſ-
ſirten ihn ebenſo lebhaft wie der Ankauf eines Raphael.

Seine Begabung, wie ſchon hervorgehoben, war eine eminent
geſellſchaftliche. Das bewies ſein Leben bis zuletzt. Er
excellirte am Feſttiſch, war ein immer gerngeſehener Gaſt, heiter,
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[443/0459] oder wohl gar auf einem oſtpreußiſchen Dorfkirchhofe begraben zu werden, barg etwas Troſtloſes für ihn und ſein alter, unerkünſtelter Frohſinn kam ihm erſt wieder, wenn er die beiden Gensd’armen- Thürme und die Schloßkuppel am Horizont auftauchen ſah. So erſchien der Spätherbſt 1861. Henſel ſollt’ ihn nicht überdauern. Schön, wie er gelebt, ſo ſtarb er. Eine menſchen- freundliche Handlung wurde die mittelbare Urſache ſeines Todes. Ein Kind aufraffend, das in Gefahr war von einem Omnibus überfahren zu werden; verletzte er ſich ſelbſt am Knie. Von da ab lag er darnieder. Am 26. November ſchloß ſich ſein Auge. Sein Tod weckte Trauer bei Vielen, Theilnahme bei Allen. So viel über den Gang ſeines Lebens. Wir werfen noch einen Blick auf ſeinen Charakter, ſeine Begabung, ſeine Arbeiten, immer nur bei dem Bemerkenswertheſten verweilend. Wilhelm Henſel gehörte ganz zu jener Gruppe märkiſcher Männer, an deren Spitze, als ausgeprägteſte Type, der alte Schadow ſtand. Naturen, die man als doppellebig, als eine Ver- quickung von Derbheit und Schönheit, von Gamaſchenthum und Faltenwurf, von preußiſchem Militarismus und klaſſiſchem Idealis- mus anſehen kann. Die Seele griechiſch, der Geiſt altenfritzig, der Charakter märkiſch. Dem Charakter entſprach dann meiſt auch die äußere Erſcheinung. Das Eigenthümliche dieſer mehr und mehr ausſterbenden Schadow-Typen war, daß ſich die Züge und Gegenſätze ihres Charakters nebeneinander in Gleichkraft erhielten, während beiſpielsweiſe bei Schinkel und Winkelmann das Griechiſche über das Märkiſche beinah vollſtändig ſiegte. Bei Henſel blieb alles in Balance; keines dieſer heterogenen Elemente drückte oder beherrſchte das andre und die Neu-Uniformirung eines Garde-Regiments oder ein Witzwort des Profeſſor Gans intereſ- ſirten ihn ebenſo lebhaft wie der Ankauf eines Raphael. Seine Begabung, wie ſchon hervorgehoben, war eine eminent geſellſchaftliche. Das bewies ſein Leben bis zuletzt. Er excellirte am Feſttiſch, war ein immer gerngeſehener Gaſt, heiter, geſprächig, jedem Scherze zugeneigt, und zugleich doch voll jenes

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 443. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/459>, abgerufen am 23.11.2024.