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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882.

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und als Kommandirender stand er an der Spitze des "Berliner
Künstler-Corps."

Keiner war dazu berufener als er. Royalist und alter Mili-
tair auf der einen Seite, kannt' er doch andererseits auch die
Künstlernatur genau genug, um mit diesem Faktor zu rechnen.
So gelang es ihm, dem ganzen Corps, das sich aus disparaten
und zum Theil auch wohl aus desperaten Elementen zusammen-
setzte, einen preußisch-loyalen Charakter zu geben, und eine Truppe
heran zu bilden, die wenigstens so zuverlässig war, wie's ein solches
Freicorps überhaupt zu sein vermag.

Die politische Erregung Hensel's überdauerte den Sommer 48,
ja sie steigerte sich während des Reactionsfiebers und schwand erst,
als auch dieses geschwunden war. Es kehrten ihm nun ruhigere
Tage zurück und an dieselbe Wand, an der die Büchse des frei-
willigen Jägers und die Palette des Malers bereits hingen, hing
er nun auch das Rüstzeug des Parteikämpfers: die politische
Brochüre, den Aufruf und das Wahlprogramm. Er war jetzt über
60 und die Zeit war da, wo man nicht mehr vorwärts und
kaum noch um sich, sondern nur noch rückwärts blickt.

Nur in einem blieb er ganz und gar der Alte: in seinen
geselligen Beziehungen. Nicht mehr die Kämpfe der großen Stadt,
auch nicht eigentlich ihre Bestrebungen bewegten ihn, aber dem
Leben und Geplauder der mannigfachsten ihm befreundeten Kreise
blieb er mit Vorliebe zugewandt. Er war nun ganz das gewor-
den, was man eine "Figur" nennt. Jeder kannt' ihn, Jeder
wußte Dies und Das von ihm zu erzählen: Gutthaten und
Schwänke, Bonmots und Impromptus. Er war in gewissem
Grade "der alte Wrangel in Civil." Dies Gefühl der Zugehörig-
keit zu Berlin, in dem er ein volles halbes Jahrhundert gelebt
hatte, überkam ihn mit immer steigender Gewalt und nahm schließ-
lich fast die Form einer Krankheit an. Der Aufenthalt bei den
liebsten Personen, wenn diese nicht dem hauptstädtischen Verbande
zugehörten, begann ihm nach wenig Tagen schon ängstlich und be-
drücklich zu werden, und durch all seine Heiterkeit hindurch er-
kannte man dann eine Unruhe, die nichts Anderes war als Heimweh.
Ein Gefühl, das Manchem ein Lächeln abnöthigen wird. Aber
es war so. Der Gedanke von einem Provinzial-Arzt behandelt

und als Kommandirender ſtand er an der Spitze des „Berliner
Künſtler-Corps.“

Keiner war dazu berufener als er. Royaliſt und alter Mili-
tair auf der einen Seite, kannt’ er doch andererſeits auch die
Künſtlernatur genau genug, um mit dieſem Faktor zu rechnen.
So gelang es ihm, dem ganzen Corps, das ſich aus disparaten
und zum Theil auch wohl aus desperaten Elementen zuſammen-
ſetzte, einen preußiſch-loyalen Charakter zu geben, und eine Truppe
heran zu bilden, die wenigſtens ſo zuverläſſig war, wie’s ein ſolches
Freicorps überhaupt zu ſein vermag.

Die politiſche Erregung Henſel’s überdauerte den Sommer 48,
ja ſie ſteigerte ſich während des Reactionsfiebers und ſchwand erſt,
als auch dieſes geſchwunden war. Es kehrten ihm nun ruhigere
Tage zurück und an dieſelbe Wand, an der die Büchſe des frei-
willigen Jägers und die Palette des Malers bereits hingen, hing
er nun auch das Rüſtzeug des Parteikämpfers: die politiſche
Brochüre, den Aufruf und das Wahlprogramm. Er war jetzt über
60 und die Zeit war da, wo man nicht mehr vorwärts und
kaum noch um ſich, ſondern nur noch rückwärts blickt.

Nur in einem blieb er ganz und gar der Alte: in ſeinen
geſelligen Beziehungen. Nicht mehr die Kämpfe der großen Stadt,
auch nicht eigentlich ihre Beſtrebungen bewegten ihn, aber dem
Leben und Geplauder der mannigfachſten ihm befreundeten Kreiſe
blieb er mit Vorliebe zugewandt. Er war nun ganz das gewor-
den, was man eine „Figur“ nennt. Jeder kannt’ ihn, Jeder
wußte Dies und Das von ihm zu erzählen: Gutthaten und
Schwänke, Bonmots und Impromptus. Er war in gewiſſem
Grade „der alte Wrangel in Civil.“ Dies Gefühl der Zugehörig-
keit zu Berlin, in dem er ein volles halbes Jahrhundert gelebt
hatte, überkam ihn mit immer ſteigender Gewalt und nahm ſchließ-
lich faſt die Form einer Krankheit an. Der Aufenthalt bei den
liebſten Perſonen, wenn dieſe nicht dem hauptſtädtiſchen Verbande
zugehörten, begann ihm nach wenig Tagen ſchon ängſtlich und be-
drücklich zu werden, und durch all ſeine Heiterkeit hindurch er-
kannte man dann eine Unruhe, die nichts Anderes war als Heimweh.
Ein Gefühl, das Manchem ein Lächeln abnöthigen wird. Aber
es war ſo. Der Gedanke von einem Provinzial-Arzt behandelt

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[442/0458] und als Kommandirender ſtand er an der Spitze des „Berliner Künſtler-Corps.“ Keiner war dazu berufener als er. Royaliſt und alter Mili- tair auf der einen Seite, kannt’ er doch andererſeits auch die Künſtlernatur genau genug, um mit dieſem Faktor zu rechnen. So gelang es ihm, dem ganzen Corps, das ſich aus disparaten und zum Theil auch wohl aus desperaten Elementen zuſammen- ſetzte, einen preußiſch-loyalen Charakter zu geben, und eine Truppe heran zu bilden, die wenigſtens ſo zuverläſſig war, wie’s ein ſolches Freicorps überhaupt zu ſein vermag. Die politiſche Erregung Henſel’s überdauerte den Sommer 48, ja ſie ſteigerte ſich während des Reactionsfiebers und ſchwand erſt, als auch dieſes geſchwunden war. Es kehrten ihm nun ruhigere Tage zurück und an dieſelbe Wand, an der die Büchſe des frei- willigen Jägers und die Palette des Malers bereits hingen, hing er nun auch das Rüſtzeug des Parteikämpfers: die politiſche Brochüre, den Aufruf und das Wahlprogramm. Er war jetzt über 60 und die Zeit war da, wo man nicht mehr vorwärts und kaum noch um ſich, ſondern nur noch rückwärts blickt. Nur in einem blieb er ganz und gar der Alte: in ſeinen geſelligen Beziehungen. Nicht mehr die Kämpfe der großen Stadt, auch nicht eigentlich ihre Beſtrebungen bewegten ihn, aber dem Leben und Geplauder der mannigfachſten ihm befreundeten Kreiſe blieb er mit Vorliebe zugewandt. Er war nun ganz das gewor- den, was man eine „Figur“ nennt. Jeder kannt’ ihn, Jeder wußte Dies und Das von ihm zu erzählen: Gutthaten und Schwänke, Bonmots und Impromptus. Er war in gewiſſem Grade „der alte Wrangel in Civil.“ Dies Gefühl der Zugehörig- keit zu Berlin, in dem er ein volles halbes Jahrhundert gelebt hatte, überkam ihn mit immer ſteigender Gewalt und nahm ſchließ- lich faſt die Form einer Krankheit an. Der Aufenthalt bei den liebſten Perſonen, wenn dieſe nicht dem hauptſtädtiſchen Verbande zugehörten, begann ihm nach wenig Tagen ſchon ängſtlich und be- drücklich zu werden, und durch all ſeine Heiterkeit hindurch er- kannte man dann eine Unruhe, die nichts Anderes war als Heimweh. Ein Gefühl, das Manchem ein Lächeln abnöthigen wird. Aber es war ſo. Der Gedanke von einem Provinzial-Arzt behandelt

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 442. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/458>, abgerufen am 23.11.2024.