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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882.

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"Freilich. Ich kenne Möven. Aber woher kennst Du sie?
Sie sind ja nur selten hier."

"Wi hebben een."

"Lebendig."

"Ne, utstoppt. Und wi hebben ook en Reiger, un is ook ut-
stoppt un hatt 'ne Schlang in't Muul."

"Aber Vögel ausstopfen ist nicht leicht. Wer macht denn
das hier?"

"Mien' Vader sien Vader. De künn' all so wat."

"Ist er todt?"

Er nickte. Da wir aber bereits in der Nähe des dichten
Schilf-Ufers waren, an dem er den Einfahrtspunkt nicht verfehlen
durfte, so schwieg er jetzt, und sah bei jedem Ruderschlage nach
rückwärts. Und nun war er heran, gab dem Boote geschickt eine
Wendung und glitt zwischen dem knisternden Schilf hin auf die
Pieskower Landungsstelle zu.

Das Ufer war nicht hoch und erkletterte sich leicht. Als ich
oben war, grüßt' ich noch einmal zurück und schlenderte dann
zwischen zwei Heckzäunen hin auf einen Grasplatz zu, der allem
Anscheine nach die Mitte des Dorfes bildete. Häuser und Ge-
höfte faßten ihn ein, unter denen ich gerade der Kirche gegenüber
auch ein preußisches Schulhaus in seiner eigenthümlichen Mischung
von Backstein-Sauberkeit und Stil-Jammer erkannte. Die Nach-
mittagssonne stand prall auf die Scheiben und sah stechend und
inspektionsmäßig in die langweilig leeren Räume hinein.

Es kam niemand als ich klopfte. "Wohnt hier der Lehrer?"
fragt' ich endlich eine vorübergehende Frau. "Geihen's man in'n
Goarden." Und richtig, da stand er in Front eines Bienenschobers
und grub ein von ein paar kleinen Kirschbäumen eingefaßtes
Stück Land um.

Ich fand einen freundlichen Mann, der auch gleich bereit
war, mir das zu zeigen, um was sich's einzig und allein für mich
handeln konnte: die Kirche. Diese war keine von den alt-ehr-
würdigen aus Feldstein, die stets einen Reiz und eine Schönheit
haben, sondern ein Neubau, den man hier unter Benutzung der
alten Fundamente vor länger oder kürzer errichtet hatte. Von
rechts her lehnte sich ein Thurm an, eigentlich nur ein Thürmchen

„Freilich. Ich kenne Möven. Aber woher kennſt Du ſie?
Sie ſind ja nur ſelten hier.“

„Wi hebben een.“

„Lebendig.“

„Ne, utſtoppt. Und wi hebben ook en Reiger, un is ook ut-
ſtoppt un hatt ’ne Schlang in’t Muul.“

„Aber Vögel ausſtopfen iſt nicht leicht. Wer macht denn
das hier?“

„Mien’ Vader ſien Vader. De künn’ all ſo wat.“

„Iſt er todt?“

Er nickte. Da wir aber bereits in der Nähe des dichten
Schilf-Ufers waren, an dem er den Einfahrtspunkt nicht verfehlen
durfte, ſo ſchwieg er jetzt, und ſah bei jedem Ruderſchlage nach
rückwärts. Und nun war er heran, gab dem Boote geſchickt eine
Wendung und glitt zwiſchen dem kniſternden Schilf hin auf die
Pieskower Landungsſtelle zu.

Das Ufer war nicht hoch und erkletterte ſich leicht. Als ich
oben war, grüßt’ ich noch einmal zurück und ſchlenderte dann
zwiſchen zwei Heckzäunen hin auf einen Grasplatz zu, der allem
Anſcheine nach die Mitte des Dorfes bildete. Häuſer und Ge-
höfte faßten ihn ein, unter denen ich gerade der Kirche gegenüber
auch ein preußiſches Schulhaus in ſeiner eigenthümlichen Miſchung
von Backſtein-Sauberkeit und Stil-Jammer erkannte. Die Nach-
mittagsſonne ſtand prall auf die Scheiben und ſah ſtechend und
inſpektionsmäßig in die langweilig leeren Räume hinein.

Es kam niemand als ich klopfte. „Wohnt hier der Lehrer?“
fragt’ ich endlich eine vorübergehende Frau. „Geihen’s man in’n
Goarden.“ Und richtig, da ſtand er in Front eines Bienenſchobers
und grub ein von ein paar kleinen Kirſchbäumen eingefaßtes
Stück Land um.

Ich fand einen freundlichen Mann, der auch gleich bereit
war, mir das zu zeigen, um was ſich’s einzig und allein für mich
handeln konnte: die Kirche. Dieſe war keine von den alt-ehr-
würdigen aus Feldſtein, die ſtets einen Reiz und eine Schönheit
haben, ſondern ein Neubau, den man hier unter Benutzung der
alten Fundamente vor länger oder kürzer errichtet hatte. Von
rechts her lehnte ſich ein Thurm an, eigentlich nur ein Thürmchen

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[29/0045] „Freilich. Ich kenne Möven. Aber woher kennſt Du ſie? Sie ſind ja nur ſelten hier.“ „Wi hebben een.“ „Lebendig.“ „Ne, utſtoppt. Und wi hebben ook en Reiger, un is ook ut- ſtoppt un hatt ’ne Schlang in’t Muul.“ „Aber Vögel ausſtopfen iſt nicht leicht. Wer macht denn das hier?“ „Mien’ Vader ſien Vader. De künn’ all ſo wat.“ „Iſt er todt?“ Er nickte. Da wir aber bereits in der Nähe des dichten Schilf-Ufers waren, an dem er den Einfahrtspunkt nicht verfehlen durfte, ſo ſchwieg er jetzt, und ſah bei jedem Ruderſchlage nach rückwärts. Und nun war er heran, gab dem Boote geſchickt eine Wendung und glitt zwiſchen dem kniſternden Schilf hin auf die Pieskower Landungsſtelle zu. Das Ufer war nicht hoch und erkletterte ſich leicht. Als ich oben war, grüßt’ ich noch einmal zurück und ſchlenderte dann zwiſchen zwei Heckzäunen hin auf einen Grasplatz zu, der allem Anſcheine nach die Mitte des Dorfes bildete. Häuſer und Ge- höfte faßten ihn ein, unter denen ich gerade der Kirche gegenüber auch ein preußiſches Schulhaus in ſeiner eigenthümlichen Miſchung von Backſtein-Sauberkeit und Stil-Jammer erkannte. Die Nach- mittagsſonne ſtand prall auf die Scheiben und ſah ſtechend und inſpektionsmäßig in die langweilig leeren Räume hinein. Es kam niemand als ich klopfte. „Wohnt hier der Lehrer?“ fragt’ ich endlich eine vorübergehende Frau. „Geihen’s man in’n Goarden.“ Und richtig, da ſtand er in Front eines Bienenſchobers und grub ein von ein paar kleinen Kirſchbäumen eingefaßtes Stück Land um. Ich fand einen freundlichen Mann, der auch gleich bereit war, mir das zu zeigen, um was ſich’s einzig und allein für mich handeln konnte: die Kirche. Dieſe war keine von den alt-ehr- würdigen aus Feldſtein, die ſtets einen Reiz und eine Schönheit haben, ſondern ein Neubau, den man hier unter Benutzung der alten Fundamente vor länger oder kürzer errichtet hatte. Von rechts her lehnte ſich ein Thurm an, eigentlich nur ein Thürmchen

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/45>, abgerufen am 21.11.2024.