Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882.
Dies Bild, zum Gedächtniß Anna v. Schlabrendorfs gemalt, Es war um die vierte Stunde fast, als wir aus dem Kirch- *) Schwert und Sporen hingen früher dem herrschaftlichen Chore
gegenüber, zu dem eine Treppe von außen hinaufführt. Diese beiden Zufälligkeiten waren genug, um folgende Sage heranwachsen zu lassen. "Da war mal ein Edelmann, der kümmerte sich nicht um Gott und Menschen. Er dacht', er sei Herr über Alles und in seinem Uebermuth ritt er in die Kirche, gleich die Treppe hinauf, die zu dem Chore führt. Hier aber bäumte das Pferd und überschlug sich, so daß beide in das Schiff der Kirche stürzten und Hals und Beine brachen. Zum Zeichen deß und zugleich zur Warnung sind Degen, Schwert und Sporen dem Chore gegenüber aufgehängt worden." -- So die Sage. Schon bei früheren Gelegenheiten hab' ich ausgeführt, wie die "mythen- bildende Kraft" des Volkes mit Vorliebe, ja vielleicht immer, an solche rein äußerlich gegebenen Dinge anknüpft, vorausgesetzt, daß diese Dinge zugleich unklar und räthselvoll genug sind, um die Phantasie in Bewegung zu setzen und die freieste und selbst willkürlichste Auslegung zuzulassen. Aber so will- kürlich die Auslegung sein mag, sie schwebt nie ganz in der Luft und haftet immer an etwas Gegebenem. Die ganze Gruppe von Sagen, um die sich's hier handelt, könnte man als poetische Mißverständnisse, noch richtiger als poetische Mißdeutungen bezeichnen. Mißdeutung im Sinne von irrthümlicher Deutung. Dies Bild, zum Gedächtniß Anna v. Schlabrendorfs gemalt, Es war um die vierte Stunde faſt, als wir aus dem Kirch- *) Schwert und Sporen hingen früher dem herrſchaftlichen Chore
gegenüber, zu dem eine Treppe von außen hinaufführt. Dieſe beiden Zufälligkeiten waren genug, um folgende Sage heranwachſen zu laſſen. „Da war mal ein Edelmann, der kümmerte ſich nicht um Gott und Menſchen. Er dacht’, er ſei Herr über Alles und in ſeinem Uebermuth ritt er in die Kirche, gleich die Treppe hinauf, die zu dem Chore führt. Hier aber bäumte das Pferd und überſchlug ſich, ſo daß beide in das Schiff der Kirche ſtürzten und Hals und Beine brachen. Zum Zeichen deß und zugleich zur Warnung ſind Degen, Schwert und Sporen dem Chore gegenüber aufgehängt worden.“ — So die Sage. Schon bei früheren Gelegenheiten hab’ ich ausgeführt, wie die „mythen- bildende Kraft“ des Volkes mit Vorliebe, ja vielleicht immer, an ſolche rein äußerlich gegebenen Dinge anknüpft, vorausgeſetzt, daß dieſe Dinge zugleich unklar und räthſelvoll genug ſind, um die Phantaſie in Bewegung zu ſetzen und die freieſte und ſelbſt willkürlichſte Auslegung zuzulaſſen. Aber ſo will- kürlich die Auslegung ſein mag, ſie ſchwebt nie ganz in der Luft und haftet immer an etwas Gegebenem. Die ganze Gruppe von Sagen, um die ſich’s hier handelt, könnte man als poetiſche Mißverſtändniſſe, noch richtiger als poetiſche Mißdeutungen bezeichnen. Mißdeutung im Sinne von irrthümlicher Deutung. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0445" n="429"/> <p>Dies Bild, zum Gedächtniß Anna v. Schlabrendorfs gemalt,<lb/> iſt, wie das künſtleriſch beſte, ſo auch das intereſſanteſte was die<lb/> Kirche bietet. Keineswegs aber iſt die Reihe der Sehenswürdig-<lb/> keiten und Erinnerungsſtücke damit abgeſchloſſen. In einer Ecke,<lb/> beinah unmittelbar über dem vorerwähnten Grabſtein, hängen<lb/> Schwert und Sporen<note place="foot" n="*)">Schwert und Sporen hingen früher dem <hi rendition="#g">herrſchaftlichen Chore<lb/> gegenüber</hi>, zu dem eine Treppe <hi rendition="#g">von außen</hi> hinaufführt. Dieſe beiden<lb/> Zufälligkeiten waren genug, um folgende Sage heranwachſen zu laſſen. „Da<lb/> war mal ein Edelmann, der kümmerte ſich nicht um Gott und Menſchen. Er<lb/> dacht’, er ſei Herr über Alles und in ſeinem Uebermuth <hi rendition="#g">ritt</hi> er in die Kirche,<lb/> gleich die Treppe hinauf, die zu dem Chore führt. Hier aber bäumte das<lb/> Pferd und überſchlug ſich, ſo daß beide in das Schiff der Kirche ſtürzten und Hals<lb/> und Beine brachen. Zum Zeichen deß und zugleich zur Warnung ſind Degen,<lb/> Schwert und Sporen dem Chore gegenüber aufgehängt worden.“ — So die<lb/> Sage. Schon bei früheren Gelegenheiten hab’ ich ausgeführt, wie die „mythen-<lb/> bildende Kraft“ des Volkes mit Vorliebe, ja vielleicht immer, an ſolche rein<lb/> äußerlich gegebenen Dinge anknüpft, vorausgeſetzt, daß dieſe Dinge zugleich<lb/> unklar und räthſelvoll genug ſind, um die Phantaſie in Bewegung zu ſetzen<lb/> und die freieſte und ſelbſt willkürlichſte Auslegung zuzulaſſen. Aber ſo will-<lb/> kürlich die <hi rendition="#g">Auslegung</hi> ſein mag, ſie ſchwebt nie ganz in der Luft und haftet<lb/> immer an etwas Gegebenem. Die ganze Gruppe von Sagen, um die ſich’s<lb/> hier handelt, könnte man als poetiſche Mißverſtändniſſe, noch richtiger als<lb/> poetiſche Mißdeutungen bezeichnen. Mißdeutung im Sinne von <hi rendition="#g">irrthümlicher</hi><lb/> Deutung.</note> eines längſt heimgegangenen v. Thümen,<lb/> und in der Höhe des neuerbauten Thurmes befinden ſich die<lb/> durch den ganzen Thümenſchen Winkel hin bei Jung und Alt be-<lb/> kannten „Glocken von Blankenſee“, daran allerlei Sagen anknüpfen<lb/> wie an den Kapellenberg.</p><lb/> <p>Es war um die vierte Stunde faſt, als wir aus dem Kirch-<lb/> hofsthor wieder in die Dorfgaſſe hinaustraten. Hier hatte ſich<lb/> inzwiſchen das Bild verändert: die Stille des Sonntag-Vormit-<lb/> tags war hin und die Heiterkeit des Nachmittags hatte begonnen.<lb/> Um die Dorflinde drehte ſich das junge Volk im Ringelreihen<lb/> und die Dirnen — wie immer tanzluſtiger als das männliche<lb/> Element — deckten jedes Deficit durch Anleihen bei ſich ſelbſt.<lb/> Wir ſahen auf das fröhliche Treiben und hätt’ uns Jemand die<lb/> Ehre angethan, wir hätten’s wohl auf jede Gefahr hin ſelber noch<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [429/0445]
Dies Bild, zum Gedächtniß Anna v. Schlabrendorfs gemalt,
iſt, wie das künſtleriſch beſte, ſo auch das intereſſanteſte was die
Kirche bietet. Keineswegs aber iſt die Reihe der Sehenswürdig-
keiten und Erinnerungsſtücke damit abgeſchloſſen. In einer Ecke,
beinah unmittelbar über dem vorerwähnten Grabſtein, hängen
Schwert und Sporen *) eines längſt heimgegangenen v. Thümen,
und in der Höhe des neuerbauten Thurmes befinden ſich die
durch den ganzen Thümenſchen Winkel hin bei Jung und Alt be-
kannten „Glocken von Blankenſee“, daran allerlei Sagen anknüpfen
wie an den Kapellenberg.
Es war um die vierte Stunde faſt, als wir aus dem Kirch-
hofsthor wieder in die Dorfgaſſe hinaustraten. Hier hatte ſich
inzwiſchen das Bild verändert: die Stille des Sonntag-Vormit-
tags war hin und die Heiterkeit des Nachmittags hatte begonnen.
Um die Dorflinde drehte ſich das junge Volk im Ringelreihen
und die Dirnen — wie immer tanzluſtiger als das männliche
Element — deckten jedes Deficit durch Anleihen bei ſich ſelbſt.
Wir ſahen auf das fröhliche Treiben und hätt’ uns Jemand die
Ehre angethan, wir hätten’s wohl auf jede Gefahr hin ſelber noch
*) Schwert und Sporen hingen früher dem herrſchaftlichen Chore
gegenüber, zu dem eine Treppe von außen hinaufführt. Dieſe beiden
Zufälligkeiten waren genug, um folgende Sage heranwachſen zu laſſen. „Da
war mal ein Edelmann, der kümmerte ſich nicht um Gott und Menſchen. Er
dacht’, er ſei Herr über Alles und in ſeinem Uebermuth ritt er in die Kirche,
gleich die Treppe hinauf, die zu dem Chore führt. Hier aber bäumte das
Pferd und überſchlug ſich, ſo daß beide in das Schiff der Kirche ſtürzten und Hals
und Beine brachen. Zum Zeichen deß und zugleich zur Warnung ſind Degen,
Schwert und Sporen dem Chore gegenüber aufgehängt worden.“ — So die
Sage. Schon bei früheren Gelegenheiten hab’ ich ausgeführt, wie die „mythen-
bildende Kraft“ des Volkes mit Vorliebe, ja vielleicht immer, an ſolche rein
äußerlich gegebenen Dinge anknüpft, vorausgeſetzt, daß dieſe Dinge zugleich
unklar und räthſelvoll genug ſind, um die Phantaſie in Bewegung zu ſetzen
und die freieſte und ſelbſt willkürlichſte Auslegung zuzulaſſen. Aber ſo will-
kürlich die Auslegung ſein mag, ſie ſchwebt nie ganz in der Luft und haftet
immer an etwas Gegebenem. Die ganze Gruppe von Sagen, um die ſich’s
hier handelt, könnte man als poetiſche Mißverſtändniſſe, noch richtiger als
poetiſche Mißdeutungen bezeichnen. Mißdeutung im Sinne von irrthümlicher
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| Zitationshilfe: | Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 429. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/445>, abgerufen am 22.11.2024. |
